
Betritt man den Nachtwächter in Würzburg, scheint die Zeit stillzustehen: Rustikal verputzte Wände, geschmückt mit rund 180 historischen Emaille-Schildern, eine alte Holztheke, die sich durch den kleinen Raum schlängelt, und eine antike Personenwaage zwischen den dunkel belederten Bänken. Würzburgs älteste Studentenkneipe feiert in diesem Jahr ihren 50. Geburtstag. Im Jahr 1974 pachteten die Großcousins Gerd Ehehalt und Reinhard "Sonny" May das markante Eckhaus in der Korngasse und eröffneten die legendäre Bar.
Seitdem haben unzählige Gäste in dem nur 60 Quadratmeter großen Raum Erinnerungen gesammelt. Sechs Menschen erzählen, welche besonderen Geschichten sie mit der liebevoll "Nachti" genannten Kneipe verbinden.
1. Jörg Haupt: Ein Kauf aus Liebe zu seiner Studentenkneipe

Wenn man mit Jörg Haupt spricht, bemerkt man schnell seine Liebe zum Nachtwächter in der Korngasse. 2011 hat er das Gebäude gekauft, doch seine Liebe zum Nachtwächter begann schon viel früher. "Als Studenten waren wir dort jedes Wochenende, wir haben so viel Bier dort getrunken und so viel Geld in dem Laden ausgegeben, dass das quasi schon unsere Anzahlung für das Gebäude war", sagt Haupt ironisch und lacht.
Dass er irgendwann der Besitzer des Hauses sein wird, daran habe er als junger Student nicht mal denken können. "Es war ein Kauf aus Liebe zur Stadt Würzburg und ein Kauf aus Liebe, weil wir dort so viel Zeit damals verbracht haben", sagt er. Im Keller habe er kurz nach dem Kauf tausende von alten Vinyl-Schallplatten entdeckt. Über Jahrzehnte seien diese im Nachtwächter früher gespielt worden.
2. Gerd Ehehalt: Er hat den Nachtwächter gegründet - und bereut bis heute den Verkauf

Gerd Ehehalt wuchs in Leinach auf, im Elternhaus, dem traditionsreichen Gasthaus zum Lamm, das bereits seit 1571 besteht. "Meine Mutter wollte nicht, dass ich als Gastronom auf dem Land versauere, also schickte sie mich ins Internat", erzählt er. Nach sieben Jahren kehrte er zurück und eröffnete 1974, als Student im zweiten Semester, den Nachtwächter. "Ich bin meiner Natur gefolgt – meine Leidenschaft für die Gastronomie war und ist bekannt", sagt er.
Ehehalt erinnert sich an viele Geschichten aus der Zeit im Nachtwächter, von denen jedoch manche zu wild seien, um sie öffentlich zu erzählen. Besonders gerne denkt er an die sonntäglichen Frühschoppen zurück, die es von Anfang an gab. Während die Gäste genüsslich tranken, lief im Hintergrund die Augsburger Puppenkiste oder Urmel aus dem Eis im Fernsehen. "Das war der absolute Renner, die Leute waren begeistert. Wir hatten unglaublich viele Stammgäste."
Einige Jahre später verkaufte Ehehalt die Kneipe an Georg Stößel – ein Schritt, den er bis heute bereut. "Das war einer meiner größten Fehler. Es schmerzt, zu sehen, dass so ein Laden 50 Jahre läuft und ich nicht mehr Teil davon bin."
3. Yvonne Häußler: Einen besonderen Moment im Nachtwächter wird sie nie mehr vergessen

Eineinhalb Jahre herrschte Stille. Doch im Oktober 2021 durfte der Nachtwächter trotz der Corona-Pandemie endlich wieder öffnen. Yvonne Häußler wird diesen Augenblick nie vergessen. "Wenn ich zurückblicke, war das der bewegendste Moment in all den Jahren, die ich hinter der Theke stehe", erinnert sie sich. Seit 25 Jahren gehört sie bereits zum Team des Nachtwächters, 2008 übernahm sie den Betrieb.
"Als der Song 'Don't Stop Believin' von Journey lief und alle Gäste mitgesungen haben, fühlte es sich an, als würde die Zeit stillstehen – als wäre all das nie passiert", beschreibt sie den Moment. Neben dem Nachtwächter betreibt Häußler auch das Fritzis in Würzburg. Die Gastronomie ist ihr Zuhause. "Zu sehen, dass alle Gäste zurückgekehrt sind und spüren zu können, wie sehr sie den Nachtwächter lieben, war ein unglaublich ergreifendes Gefühl" – und für Häußler der emotionalste Moment in ihren 25 Jahren.
4. Hanns-Werner Tönnes: Er machte seiner Frau im Nachtwächter einen Heiratsantrag

Manche machen ihren Partnern bei Sonnenuntergang am Strand einen Antrag, doch Hanns Werner Tönnes hatte eine andere Idee: Er stellte seiner damaligen Freundin Cornelia 1977 an einem Partyabend im Nachtwächter die entscheidende Frage. "Ich bin damals gerne dorthin gegangen, die Kneipe war nur drei Minuten von meiner Studentenwohnung in der Elefantengasse entfernt", erinnert er sich. "Ich war oft dort mit verschiedenen Freundinnen – und schließlich auch mit meiner zukünftigen Frau."
Doch ihre Antwort fiel anders aus, als er es sich erhofft hatte. "Sie wollte keine Kinder, ich schon. Deshalb sagte sie, dass das mit dem Heiraten nichts wird." Cornelia, eine Geologin, wollte promovieren und ihre Karriere stand für sie an erster Stelle, erklärt Tönnes. Mit Kindern sah sie sich nicht in der Lage, ihren Beruf auszuüben.
Dennoch fand die Geschichte ein Happy End: "Ich blieb hartnäckig, und irgendwann sagte sie doch Ja." Fünf Jahre später, 1982, heirateten sie und bekamen drei Kinder. Auch heute noch sind Cornelia und Hanns-Werner Tönnes glücklich zusammen.
5. Jonathan Zimpel: Wegen einer Wette im Nachtwächter trägt er lange Haare

Alles begann in Kanada: Während eines Auslandssemesters im Jahr 2020 lernten sich Jonathan "Jona" Zimpel und Frederik Heim kennen. Rasch entwickelte sich eine Freundschaft zwischen den beiden, die sich weiter vertiefte, als Jona Zimpel von Nürnberg nach Würzburg zog. "Unsere Freundschaft ist sehr kompetitiv, wir schließen viele Wetten ab", erklärt Frederik Heim.
So kam es, dass sie eines Sommerabends 2022 im Würzburger Nachtwächter, bei Bier und einem Shot Pfeffi, eine weitere Wette abschlossen: Beide sollten ihre Haare mindestens ein Jahr lang wachsen lassen. Wer es nicht schafft, muss dem anderen zehn Kästen Bier spendieren.
Wie auf dem Foto unschwer zu erkennen ist, hat nur einer der beiden Freunde die Wette durchgehalten. "Nach acht Monaten habe ich aufgegeben. Meine Haare wachsen so langsam und ich mochte sie einfach nicht", gesteht Heim. Auch Zimpel hatte zwischendurch seine Zweifel, hielt jedoch durch. "Es gab Momente, da sah es wirklich nicht gut aus. Aber es war ein Prozess und mittlerweile gefallen mir meine Haare", sagt er. Deshalb trägt er auch noch ein Jahr nach Abschluss der Wette seine goldblonden Haare stolz bis unter die Schultern.
Den 50. Geburtstag feiert der Nachtwächter mit einem 50-stündigen Partywochenende: Außer in der in Würzburg üblichen Kehrstunde zwischen 5 und 6 Uhr, werden die Betreiber Yvonne, René und Cherry Häußler die Kneipe von Freitag, 13. September, 18 Uhr, bis Sonntag, 15. September, 20 Uhr, durchgängig öffnen.