
Ob Schilddrüsentumore oder Fettleber, Herzinsuffizienz oder eine seltene Erkrankung: Um neue Verfahren, Therapien und Medikamente zu entwickeln, sind Forscherinnen und Forscher auf menschliche Proben angewiesen. Sei es Gewebe, Blut oder andere Körperflüssigkeiten: Seit zehn Jahren werden an der Würzburger Uniklinik in der Interdisziplinären Biomaterial- und Datenbank (IBDW) solche Proben eingelagert. Über 800.000 sind es inzwischen Ein Teil davon wird am kältesten Ort Würzburgs aufbewahrt – bei minus 180 Grad.
Was genau ist das für Biomaterial? Von wem stammt es und wer nutzt es? Das wichtigste im Überblick.
Was ist die Biomaterial- und Datenbank an der Uniklinik Würzburg?
Die IBDW ist eine Einrichtung der Medizinischen Fakultät der Uni Würzburg und eine von fünf deutschen zentralisierten Biobanken, die vom Bundesforschungsministerium gefördert wurden. Heute sind deutschlandweit 17 akademische Biobanken in einem Netzwerk zusammengeschlossen. Die Bioproben und zugehörige Daten stehen grundsätzlich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der ganzen Welt auf Anfrage zur Verfügung. Sie stammen von Patientinnen und Patienten der Uniklinik, die sich freiwillig zu einer Spende bereit erklärt haben.
Laut Biobankleiter Prof. Roland Jahns wächst der Bestand stetig: Während pro Jahr 25.000 bis 50.000 Probenröhrchen routinemäßig oder für bestimmte Zwecke die hochmodernen, robotergestützten Kühllager verlassen, kommen rund 80.000 neue hinzu. Beispiel für die Nutzung: Im Sommer 2020 war das Helmholtz-Institut Braunschweig für die Entwicklung von Corona-Tests auf der Suche nach Grippeseren aus den Jahren 2015 bis 2017. Die Würzburger Biobank konnte 100 Seren liefern.
Was wird in der Würzburger Biobank gelagert – und wie?
Das Gebäude der Biobank nennt Leiter Jahns selbst liebevoll "Schuhkarton" oder "Garage": ein unscheinbarer Quader auf dem Campus der Uniklinik, schräg gegenüber dem Parkhaus. Herzstück sind zwei automatisierte Gefrierlager, riesige Kästen mit einer Temperatur von minus 80 Grad. Gelagert werden dort Flüssigproben: Blut, Urin, Speichel oder Rückenmarksflüssigkeit.

Ein vollautomatischer Pipettierroboter portioniert und füllt die Bioproben in kleine Röhrchen, 96 passen auf einen handgroßen Träger. Der Roboter holt auch angefragte Proben aus den beiden Lagern, die ein Fassungsvermögen von gut einer Million Proben haben. Rund 80 Prozent sind laut Jahns bereits belegt.
Besonders wertvolle Flüssigproben, etwa für Spezialuntersuchungen, werden im Stickstofflager sogar bei minus 180 Grad aufbewahrt. Vorteil der Extremtemperatur: "Die Zellen können sozusagen wieder zum Leben erweckt werden", erklärt der Biobank-Direktor. Nirgendwo in Würzburg ist es laut IBDW kälter als in diesen drei Behältern. Deren Bodenwannen werden mit flüssigem Stickstoff befüllt, dadurch erreicht man die Extremtemperatur. Rund 100.000 Proben können derzeit hier für die medizinische Forschung gelagert werden – über viele Jahre.
Die Gewebeproben, die meist von Operationen stammen, werden nicht im IBDW-Bau, sondern im Zentrum für Operative Medizin (ZOM) der Uniklinik in Gefrierschränken bei minus 80 Grad eingelagert. Rund 5000 solcher Proben sind dort aktuell vorrätig.
Wer darf die Proben für die Forschung verwenden?
Etwa zwei Drittel der eingelagerten Bioproben gehören Jahns zufolge zu bestimmten Studien, etwa für die Herz-Kreislauf-Forschung und zunehmend auch für die Krebsforschung. Das heißt: Im Auftrag von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern – häufig im Verbund mit der Pharmaindustrie – werden solche Proben in der Biodatenbank für weitere Untersuchungen im Rahmen der Studien aufbewahrt. Die Auftraggeber erstatten dafür eine Verarbeitungs- und Lagergebühr. Den Hauptteil der Biobankkosten tragen die Medizinische Fakultät und das Uniklinikum Würzburg.

Das weitere Drittel des gelagerten Biomaterials steht der Forschung allgemein zur Verfügung, die Spenderinnen und Spender haben einer breiten Nutzung zugestimmt. Wichtig: Diese "Broad Consent"-Proben werden nicht kommerziell "verkauft". An Pharmafirmen werden Proben nicht direkt abgegeben, sagt Jahns. Lediglich für gemeinsame Projekte mit der akademischen Wissenschaft.
Und da lautet das Motto von Medizin-Dekan Prof. Matthias Frosch: "Würzburg first". Zwar werden Würzburger Proben auch an andere Universitäten abgegeben, aber Priorität hat die eigene Forschung.
Kann eine Probe für heikle oder negative Zwecke genutzt werden?
Könnten die Bioproben der Würzburger Uniklinik auch missbraucht werden? Etwa für militärische Zwecke durch die Entwicklung biologischer Waffen oder die Züchtung und Verbreitung gefährlicher Viren? Um jeglichen Missbrauch zu verhindern, ist bei jeder Anfrage nach "Broad Consent"-Proben die medizinische Ethik-Kommission der Universität Würzburg eingeschaltet. Hat das mehr als 50-köpfige Gremium unter Leitung von Roland Jahns die Freigabe erteilt, entscheidet die Biobank über den Nutzungsantrag. Bei einer Genehmigung werden die Proben dann innerhalb von 14 Tagen ausgeliefert.
Wer kann für die Biobank spenden – und wie?
Die Biodatenbank arbeitet mit dem Großteil der 25 Fachkliniken am Würzburger Uniklinikum zusammen, um Proben zu gewinnen. Patientinnen und Patienten werden vor einer Behandlung gefragt, ob sie mit einer Spende einverstanden sind – meist bei einer Blutabnahme auf den Stationen oder in den Ambulanzen des Uniklinikums. Über 90 Prozent der Befragten willigen laut Jahns ein.

Körpergewebe, zum Beispiel von Tumorresten, fällt regelmäßig bei Operationen an und kann mit vorheriger Zustimmung des Patienten in die IBDW-Gewebebank eingelagert werden. Von der Entnahme bis zur Einlagerung dürfen nur wenige Minuten vergehen.
Wer an einer Studie zur medizinischen Forschung teilnimmt, stellt Flüssig- oder Gewebeproben nur für diesen konkreten Zweck zur Verfügung. Nur dafür werden sie eingelagert.
Wie wird der Datenschutz sichergestellt?
Gesundheitsdaten sind höchst sensibel, ihr Schutz ist bei der Biobank mehrfach gesichert. Alle Proben werden pseudonymisiert: Das heißt, sie werden verschlüsselt und erhalten Nummern bzw. Barcodes. Dort sind wesentliche Daten der Probe, nicht aber Name oder Geburtsdatum der Spenderinnen und Spender hinterlegt.
Sollte eine Identifizierung wichtig werden – zum Beispiel bei einer später festgestellten Erkrankung – kann ein sogenannter Daten-Treuhändler Nummer und Name zusammenführen. Niemand sonst hat die Möglichkeit dazu. Zweiter wichtiger Schutz: Spenderinnen und Spender können ihre Einwilligung zur Nutzung ihrer Proben jederzeit widerrufen.
Wie viele Proben können in der Biobank noch eingelagert werden?
Nach zehn Jahren stößt die Würzburger Biomaterial- und Datenbank an ihre räumlichen Grenzen. Die Kühllager sind zu vier Fünfteln voll, ein Anbau ist in Planung und soll Anfang 2025 fertiggestellt sein. Leiter Jahns will hier eine zusätzliche Kapazität für eine Million Probenplätze mit Stickstoffkühlung bei minus 180 Grad schaffen.
Die neuen Stickstofflager sollen insbesondere auch die Forschung des Nationalen Tumorzentrums (NCT) unterstützen, dessen neuer Standort jetzt am Uniklinikum Würzburg aufgebaut wird. Gerade die onkologische Forschung ist auf die spezialgekühlten menschlichen Proben angewiesen.
