Im Frühjahr 2020, zu Beginn der Pandemie, herrschte Verunsicherung. Menschen hielten Abstand. Neue Begriffe kursierten: Lockdown, Quarantäne, PCR-Tests. In diesen aufgeregten Tagen entstand die Rubrik "Der gute Morgen": Leserinnen und Leser hatten sich angesichts der sich überschlagenden Nachrichten mit dramatischen Häufungen von Todesfällen in Seniorenheimen, rasant steigenden Infizierungen und immer neuen Beschränkungen des öffentlichen Lebens auch Mut machende Nachrichten gewünscht. So baten wir Menschen aus allen gesellschaftlichen Bereichen der Region, uns positive Impulse zu schreiben. Die Serie wurde ein Erfolg und gab knapp zwei Monate lang täglich kleine Denkanstöße.
Eineinhalb Jahre später, in der vierten Welle, ist Corona massiv zurück in unserem Bewusstsein. Die Infektionszahlen sind rasant gestiegen, Krankenhäuser behandeln immer mehr Covid-Patientinnen und -Patienten, wieder gibt es Beschränkungen des öffentlichen Lebens – und das alles, obwohl es einen Impfstoff gibt.
Gerne hat diese Redaktion deshalb den Wunsch zahlreicher Leserinnen und Leser aufgegriffen und eine Neuauflage der Rubrik gestartet. "Der gute Morgen" ist wieder da – nun in Form eines Fragebogens.
Diesmal beantwortet Dieter Wenderlein unsere 18 Fragen. Der 55-Jährige aus Würzburg ist seit 2002 Leiter der Eine-Welt-Arbeit von Sant’Egidio in Deutschland und dafür mehrmals jährlich im Auslandseinsatz, vor allem in Kenia und Mosambik.
Es gab zum Glück viele schöne Momente! Zu den schönsten gehörte, als wir im Frühling mit einigen älteren Menschen eines Seniorenwohnheims wieder ins Freie gehen und die Sonne und Natur genießen konnten. Das war wie eine "Befreiung" der älteren Menschen, ein Zeichen, dass das Leben gut weitergeht.
Hoffentlich wird das Bewusstsein stärker sein, wie sehr jeder die anderen Menschen braucht, und wir die zwischenmenschlichen Beziehungen mehr schätzen und pflegen.
Mut macht mir, dass in den schwierigen Monaten der Pandemie – ähnlich wie bei der Ankunft der Flüchtlinge 2015 – viele Menschen bereit waren, anderen Menschen in Not zu helfen. Unsere sozialen Dienste von Sant’Egidio sind während der Pandemie gewachsen! Man kann viel Vertrauen in die Hilfsbereitschaft der Menschen haben.
In den anstrengenden Diskussionen, ob die Pandemie nun eine Naturkatastrophe ist oder alles übertrieben wird, habe ich gelernt, dass es gar nicht so einfach ist, die Schwere der Corona-Pandemie einzuschätzen. Wie schwer ist eigentlich eine schwere Krankheit? Und wie legt man das fest? Tatsache ist, dass die Pandemie eine schreckliche Naturkatastrophe ist, und um das zu Verstehen brauchen wir sowohl einen Kompass für Menschlichkeit als auch wissenschaftliche Erkenntnisse.
Mich überrascht immer wieder, wie stark und resilient trotz aller Einschränkungen gerade Kinder und die älteren Menschen in den Heimen sind. Sie sind beides gleichzeitig: Verwundbar und doch voll Lebenskraft und der Fähigkeit, durchzuhalten. Was überwiegt, hängt sehr davon ab, ob sie allein gelassen oder unterstützt werden.
Vor Kurzem rief mich eine Patientin aus einem unserer HIV-Behandlungszentren in Kenia an, die von der hohen Zahl der Kranken und an Corona Verstorbenen in Deutschland gehört hatte, um sich zu erkundigen, wie es meiner Familie geht. Das hat mich sehr gefreut!
Vorbilder, vor denen ich Hochachtung habe, sind die afrikanischen AktivistInnen unseres HIV-Programms DREAM in Mosambik. Sie nutzen die Erfahrungen aus ihrer eigenen HIV-Infektion, um die Opfer der Corona-Pandemie zu stärken und zu unterstützen.
Aus dem christlichen Glauben, zu dem für mich gleichermaßen das Hören des Evangeliums als auch der gemeinsame Einsatz für Bedürftige gehört. Wie der protestantische Theologe Karl Barth einmal sagte: Der Christ von heute trägt in der einen Hand die Bibel und in der anderen die Zeitung.
Glücklicherweise hat in Afrika die Corona-Pandemie bisher nicht zu so vielen Opfern geführt wie viele befürchteten. Sant’Egidio trägt durch Impfprogramme dazu bei, dass sich das hoffentlich nicht ändert.
Papst Franziskus sagte in den ersten Monaten der Pandemie, dass wir in der Überzeugung lebten, "dass wir in einer kranken Welt immer gesund bleiben würden". In vielen Begegnungen in den sozialen Diensten von Sant’Egidio habe ich gelernt, mehr Vertrauen in die Kraft aufbauender Worte und auch kleiner Gesten der Freundschaft zu setzen.
Ich habe mich zu sehr geärgert, wenn Menschen wissenschaftliche Zusammenhänge leugnen und bewusst Zweifel an Fakten säen. Doch Verärgerung über Unvernunft löst nichts und schafft nur noch mehr Distanz.
Es tat sehr weh, dass ältere und behinderte Menschen in den Heimen gerade in der Advents- und Weihnachtszeit wieder isolierter und gemeinsame Veranstaltungen nicht möglich waren.
Viele Menschen möchten nach der Pandemie endlich wieder zum Leben von "vorher" zurückkehren. Aber das wird nicht möglich sein, denn viele Menschen haben Schweres durchgemacht, zu viele sind gestorben. Wir dürfen das "Vorher" nicht verklären und auch nicht denken, dass automatisch alles wieder wie vorher wird. Denn vieles war ja auch schon vor der Pandemie nicht in Ordnung. Ich bin davon überzeugt, dass wir uns zur Bewältigung anderer Krisen - wie der Ausgrenzung der Flüchtlinge, des Klimawandels oder der verbreiteten Einsamkeit - für ein Leben mit mehr Solidarität und weniger Gleichgültigkeit und Distanz entscheiden müssen.
Ein Buch über die Pest im Mittelalter: "Die Macht der Seuche" von Volker Reinhardt.
Schokolade (aber die liegt im Küchenschrank).
In unserem Lieblingsbauernhof in Oberösterreich.
"Return to Ommadawn" von Mike Oldfield.
Bei einigen Wissenschaftlern, die rational und ohne ideologische Verirrungen komplexe Zusammenhänge analysieren und Wege aus der Pandemie zeigen. Sie helfen zu verstehen, dass es keine einfachen Lösungen gibt, kein "Schwarz-Weiß", sondern dass wir in Grautönen und Ambivalenzen denken müssen.