Die Corona-Pandemie und die notwendige Kontaktsperre sind ein Stresstest für die zwischenmenschlichen Beziehungen. Es wird zudem deutlich: Mauern und Grenzen täuschen Sicherheit nur vor, sie können uns nicht schützen. Letztlich erinnert uns die Pandemie an unsere Schwäche als Menschen. Aus ihr kann aber auch eine Stärke entstehen, wenn wir unser Potenzial, mit Phantasie und Intelligenz Beziehungen aufzubauen, abrufen.
Gerade die Schwächsten unserer Gesellschaft trifft Corona besonders hart: Die meisten Todesfälle gibt es in den Seniorenheimen. Und wie soll ein Obdachloser zu Hause bleiben, wenn er keines hat? Doch die körperliche Distanz darf nicht dazu führen, die menschliche Nähe aufzugeben. Die Gemeinschaft Sant’Egidio sucht deshalb nach kreativen Wegen, die Isolation von älteren Menschen, Obdachlosen, Geflüchteten, Menschen mit Behinderung und Gefangenen zu durchbrechen.
Unbürokratische und schnelle Hilfe ist wichtig
Wir erleben, wie die Isolation von Seniorenheimen die Einsamkeit der älteren Menschen weiter vergrößert. Da viele Heimbewohner kein Smartphone und keinen Internetzugang haben, bleiben wir durch regelmäßige Telefonanrufe, das Zuschicken von Fotos und Kinderzeichnungen in Verbindung.
Wenn Kinder gerade von Familien, in denen wenig Deutsch gesprochen wird, Schwierigkeiten haben, die von den Schulen verteilten Hausaufgaben zu erledigen, helfen wir durch Videoanrufe und Chats.
Und die hohe Zahl der Anrufe bei unserem Solidaritäts-Telefon, das wir in Zusammenarbeit mit der Stadt Würzburg und anderen Institutionen eingerichtet haben, zeigt, wie schnell viele Menschen von der vorübergehenden Schließung der Anlaufstellen für Bedürftige betroffen sind. Durch ein freundliches Gespräch am Telefon, die Erledigung von Einkäufen, die Übernahme von Kosten für Lebensmittel oder durch direkte Ausgabe von Mahlzeiten, bauen wir weiter an einem Netz der Solidarität. Wichtig ist, schnell und unbürokratisch zu helfen.
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Wir sehen aber auch, dass – ähnlich wie im Herbst 2015 bei der Ankunft der Flüchtlinge – in der Krise die Hilfsbereitschaft beeindruckend groß ist. Die Pandemie zeigt, wie wichtig es ist, solidarische Netzwerke aufzubauen. Unser Leben nach Corona sollte mehr Beziehungen haben!
Dieter Wenderlein (54) aus Würzburg ist seit 2002 Leiter der Eine-Welt-Arbeit von Sant’Egidio in Deutschland und dafür mehrmals jährlich im Auslandseinsatz, vor allem in Kenia und Mosambik. Dieser Beitrag gehört zur Main-Post-Serie "Der gute Morgen", in der in Zeiten der Corona-Krise Menschen aus Franken ihre positiven Gedanken aufschreiben und mit unseren Leserinnen und Lesern teilen.
Sant'Egidio lebt das, was man sich unter echtem Christentum und tätiger Nächstenliebe wirklich vorstellt. Und das auch noch überkonfessionell.