
In diesen Wochen jährt sich der Beginn des „Großen Krieges“ zum 110. Mal. Das Narrativ des durch Hurra-Patriotismus vergifteten Volkes, das sich willig zum Einzug in den Untergang hinter seine Monarchen schart, drängt sich auf. War es jedoch wirklich so? Wie gestaltete sich der Kriegsbeginn hier? Wie nahmen die Menschen den Ersten Weltkrieg in Ochsenfurt wahr, und insbesondere die Ochsenfurter Soldaten an der Front? Der Versuch einer Rekonstruktion beschreibt in einer dreiteiligen Serie die politische Ausgangslage und ihren Einfluss auf das Leben in der Stadt, das Schicksal einzelner Soldaten aus Ochsenfurt und die Situation an der sogenannten "Heimatfront".

Ochsenfurt, 26. Juni 1914 - Königsbesuch: Die ganze Stadt ist ein Fahnen- und Blumenmeer, feiert ihren Monarchen, der erst ein Dreivierteljahr zuvor den Thron bestiegen hatte. König Ludwig III. von Bayern, seine persönlichen Offiziere und Honoratioren der Stadt besichtigen die historischen Gebäude. Königin Theresia besucht die städtische Kinderbewahranstalt und stellt sie unter ihren namentlichen Schutz. Noch ahnt niemand, dass in knapp sechs Wochen die ersten Schüsse knallen und Europa in einem vier Jahre währenden, furchtbaren Krieg versinken wird, an dessen Ende 17 Millionen Menschen getötet sein werden.
Die Königsfamilie bricht ihren Besuch in Franken ab
Die königliche Familie hatte Ochsenfurt am Abend des 26. Juni in Richtung Würzburg verlassen und erfuhr kurz darauf vom Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo durch einen serbischen Nationalisten. Der geplante Besuch von Kitzingen und Schweinfurt wurde prompt abgesagt, der König reiste nach München ab. Der Juli wurde auf dem diplomatischen Parkett Europas durch den drohenden Krieg zwischen Österreich-Ungarn und Serbien überschattet, der automatisch Russland auf den Plan gerufen hätte. Die sogenannte "Julikrise" konnte die Kriegsgefahr nicht entschärfen.
Die meisten Menschen in und um Ochsenfurt bangten wohl um den Frieden, hatten jedoch ihren Alltag zu bewältigen. Die Ernte stand an und überall wurde geschäftig auf dem Feld gearbeitet. Am 1. August 1914 endete abrupt der bis dato friedliche Hochsommer. Mit der Ablehnung der österreichischen Forderungen erfolgte der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und Serbien, sowie die Mobilmachung der serbischen und österreichischen Armee am 25. Juli.
Als Schutzmacht der slawischen Völker verfügte auch der russische Zar Nikolaus die Teilmobilmachung der westlichen Militärbezirke am 25. Juli. Dies wiederum hatte die deutsche Mobilmachung zur Folge, was den Bündnisfall der Entente zwischen Frankreich, Russland und dem Vereinigten Königreich auslöste und innerhalb einer Woche zum Kriegseintritt halb Europas führte. In Deutschland, Österreich-Ungarn, Russland, Frankreich und Serbien, kurz darauf auch in Großbritannien und im Commonwealth wurden Millionen Soldaten eingezogen, ausgerüstet und per Bahn in ihre Aufmarschgebiete geschickt.
Mit der Ortsschelle wird die Mobilmachung verkündet.
Als die Nachricht der Mobilmachung am Abend des 1. August 1914 telefonisch vom Regierungspräsidenten im Bezirksamt Ochsenfurt eintraf, war die Bestürzung unter der Bevölkerung, bis auf wenige Studenten und Angehörige der Oberschicht, groß. Der örtliche Polizeidiener verkündete mittels Ortsschelle den Kriegszustand. Innerhalb der ersten Mobilmachungstage vom 2. bis 8. August mussten Hunderttausende reservepflichtige Männer in Deutschland Haus und Hof verlassen und in die Kasernen einrücken. Im ersten Kriegsjahr 1914 rückten alleine aus Ochsenfurt etwa 280 Männer ein und zogen größtenteils ins Feld. Der erste Ochsenfurter fiel bereits drei Wochen nach Kriegsbeginn in Lothringen.
Unser Gastautor Georg Menig ist Historiker und Stadtarchivar von Ochsenfurt. In mehreren Büchern hat er sich bereits mit dem Ersten Weltkrieg und seinen Folgen für die Region befasst. In einer dreiteiligen Serie geht er der Frage nach, welche Auswirkungen der Krieg auf das Leben in Ochsenfurt hatte.