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Würzburg
"Das war das Café Michel für mich . . .": Sieben Menschen erzählen ihre ganz persönliche Geschichte
Das Café Michel in Würzburg hat nach 111 Jahren für immer geschlossen. Vielen bleibt es in Erinnerung – nicht ausschließlich in guter. Sieben Menschen erzählen.
Sigrid Mahsberg mit dem Bild des Malers Hermann Strobl, das den Blick aus dem ersten Stock des Cafés zeigt.
Foto: Daniel Peter | Sigrid Mahsberg mit dem Bild des Malers Hermann Strobl, das den Blick aus dem ersten Stock des Cafés zeigt.
Lara Meißner
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:54 Uhr

Der letzte Strudel ist verkauft: Das Café Michel hat nach 111 Jahren in Familienhand endgültig geschlossen. Nach einer längeren Umbauphase wird das Kaffeehaus am Würzburger Marktplatz zu BrotHaus. Das Aus des Cafés und der neue Pächter aus Mittelfranken wurden leidenschaftlich diskutiert - nach über einem Jahrhundert verbinden die Würzburger und Würzburgerinnen unzählige Erinnerungen mit dem Kaffeehaus. Viele Leserinnen und Leser sind unserem Aufruf gefolgt und haben uns von ihren Erinnerungen ans Café Michel berichtet. Einige davon haben wir aufgeschrieben. 

Sigrid und Thomas Lang: Ein langersehntes Wiedersehen bei Kürbisbutterbrezel

Sigrid und Thomas Lang in ihrem Garten in Oberdürrbach.
Foto: Daniel Peter | Sigrid und Thomas Lang in ihrem Garten in Oberdürrbach.

2012 war es, als Sigrid Lang aus Oberdürrbach für längere Zeit in die Uniklinik musste: Isolationsaufenthalt, keiner durfte sie besuchen, selbst das Personal konnte nur in Schutzkleidung zu ihr. "Als diese schlimme Zeit endlich, endlich rum war, hat mich mein Mann Thomas abgeholt. 'Wo gehen wir jetzt als erstes hin?' hat er damals gefragt. Und die Antwort war klar: ins Café Michel auf ein Stück Kürbisbrezel." Zu dieser Zeit wohnten die Langs gar nicht in Würzburg, sondern in Hof, erst vor einigen Jahren zogen sie zurück in ihre Heimat. "Doch das Café Michel war einfach 'unser Ort', das war es über all die Jahre hinweg", sagt Sigrid Lang heute.

Wenn sie damals zu Besuch in der Stadt waren, war der erste Gang an den Oberen Markt. Ihre Bestellung war fast immer die gleiche: Mohnkuchen, Kürbisbutterbrezel und ein Achtele Silvaner. Seitdem die Langs wieder hier wohnen, gehen sie alle paar Wochen nach dem Einkaufen ins Café Michel. "Wir sind schon traurig, dass diese Zeit jetzt endet", sagt Sigrid Lang. Das Wiedersehen im Kaffeehaus wird sie nie vergessen - und auch nicht den Geschmack der Kürbisbutterbrezel. 

Stephan Schürger: Die falsche Frisur fürs Café Michel

Stephan Schürger aus Prichsenstadt (Landkreis Kitzingen) wurde seinerzeit nicht bedient, weil er lange Haare hatte. Den Zettel, den er damals von der Bedienung zugeschoben bekam („Sie werden hier nicht bedient. Die Geschäftsleitung“), hat er bis heute gerahmt neben dem Esstisch hängen.
Foto: Thomas Obermeier | Stephan Schürger aus Prichsenstadt (Landkreis Kitzingen) wurde seinerzeit nicht bedient, weil er lange Haare hatte. Den Zettel, den er damals von der Bedienung zugeschoben bekam („Sie werden hier nicht bedient.

"Es war gegen Ende der siebziger Jahre. Ich war gerade in den ersten Semestern meines Psychologie- und Pädagogikstudiums, als ich zufällig meine Schulkameradin Petra in Würzburg traf", erinnert sich Stephan Schürger aus Prichsenstadt (Landkreis Kitzingen). Petra schlägt vor, doch einen spontanen Kaffee im Café Michel zu trinken, Schürger zögert: "Ich hatte gehört, dass in diesem Café Studenten mit langen Haaren, Mütter mit Kindern und behinderte Menschen nicht bedient werden würden. Ich trug damals schulterlange Haare und wollte deswegen nicht hin. Petra konnte das nicht glauben und so gingen wir beide zusammen ins Café Michel. Kaum hatten wir einen Platz gefunden, kam flugs eine Bedienung und schob mir seitlich einen kleinen Zettel hin, auf dem stand: 'Sie werden hier nicht bedient. Die Geschäftsleitung'."

Bei der Schulfreundin ist damals die Empörung groß, sie will den Geschäftsführer sprechen. Schürger möchte kein Aufsehen erregen und die beiden verlassen das Café Michel. Dort war Stephan Schürger seitdem nicht mehr. Der Zettel aber blieb ihm als Erinnerung: "Den habe ich aufbewahrt und eingerahmt. Er hängt bei mir seitdem immer in der Nähe des Esstischs."

Sigrid Mahsberg: Im Café Michel war sie immer mit ihrer Mutter Charlotte 

Sigrid Mahsberg mit dem Bild des Malers Hermann Strobl, das den Blick aus dem ersten Stock des Cafés zeigt.
Foto: Daniel Peter | Sigrid Mahsberg mit dem Bild des Malers Hermann Strobl, das den Blick aus dem ersten Stock des Cafés zeigt.

Sigrid Mahsberg aus Waldbrunn denkt vor allem an eine Person, wenn sie im Café Michel sitzt: An ihre Mutter Charlotte. Sie erinnert sich: "Das Michel war für mich wie ein zentral gelegenes Wohnzimmer. In manchen Wochen war ich fast jeden Tag dort: Mit der Kollegin in der Mittagspause, mit Gästen aus dem Ausland, zum Plausch mit einer Nachbarin. Am liebsten aber führte ich meine hoch betagte Mutter ins Michel aus." Jahrelang war das Café für Mutter und Tochter wichtigster Treffpunkt zu heißer Schokolade mit Sahne. Als er noch gelebt hatte, war Sigrid Mahsberg Vater ab und an mit dabei - "aber dem war es eigentlich immer zu laut und hektisch. Es war ein ständiges Kommen und Gehen, zwischen den Tischen standen oft schon Leute, die auf einen freien Platz warteten", erinnert sich Sigrid Mahsberg.

Zu Mutter Charlotte Mahsbergs 95. Geburtstag 2018 machte die Familie ihr ein besonderes Geschenk: ein Ölgemälde des Würzburger Malers Hermann Strobl, das den Blick von ihrem Stammplatz im ersten Stock hinunter auf den Marktplatz zeigt. "Im Michel war immer was los, man kam mit Menschen ins Gespräch, die man sonst nie getroffen hätte", erinnert sich Sigrid Mahsberg. "Einem Herrn am Nebentisch fiel etwa einmal die Munterkeit meiner Mutter auf und er fragte sie, was sie denn noch so für Pläne hätte. Ihre prompte Antwort: 'Jetzt werde ich erst mal 100 und dann sehen wir weiter.'" Das hat leider nicht geklappt: Charlotte Mahsberg starb im März mit 99 Jahren, ein viertel Jahr vor ihrem 100. Geburtstag. Das Michel-Gemälde hängt jetzt bei Tochter Sigrid - und ist für sie jeden Tag eine Erinnerung an ihre Mutter und das alte Kaffeehaus.  

Elisabeth Müller: In der Nachkriegszeit war ein Stück Gebäck im Café Michel etwas Besonderes

Elisabeth Müller in ihrem Garten in Würzburg.
Foto: Fabian Gebert | Elisabeth Müller in ihrem Garten in Würzburg.

"Ich kann mich noch gut an die Nachkriegszeit in Würzburg erinnern: Würzburg lag in Schutt uns Asche, unser Haus in der Zellerau war komplett zerbombt. Mit drei anderen Familien lebten wir in einer Drei-Zimmer-Wohnung", erzählt Elisabeth Müller. Sie ist Jahrgang 1937 und erlebte den zweiten Weltkrieg als Kind in Würzburg. Einige Jahre nach Kriegsende eröffnete das Café Michel wieder, denn auch das Haus am Marktplatz war am 16. März 1945 beinahe komplett zerstört worden. Elisabeth Müller erinnert sich: "Meine Mutter hatte ein paar Jahre nach dem Krieg einer Dame einen Gefallen getan. Was es war, weiß ich nicht mehr. Zum Dank lud die Dame uns Kinder ins Café Michel ein - das war für mich wahnsinnig besonders. Ich hab ein sogenanntes Schweineöhrchen aus Blätterteig bestellt und mir gedacht: 'So etwas gutes hab ich noch nie gegessen.' Die letzten Dinge, an die meine Familie und ich damals denken konnten, war Gebäck und Torte - wir mussten zusehen, dass wir überlebten."

Auch als es der Familie wieder besser ging und sich die Stadt allmählich vom Krieg erholte, blieb ein Besuch im Café Michel eine Besonderheit: "Was haben wir uns schick gemacht, uns aufgehübscht, wie zu einer Party. Und das nur, um ein Stück Torte zu essen oder einen Kaffee zu trinken. Auch wenn diese Zeit nicht einfach war - ich bin froh, dass ich sie erlebt habe."

Christina Hoffmann mit ihrer Tochter Sophie im Café Michel. Die Bestellung ist immer die gleiche: Kirschmichel und Spanische Vanille. 
Foto: Markus Hoffmann | Christina Hoffmann mit ihrer Tochter Sophie im Café Michel. Die Bestellung ist immer die gleiche: Kirschmichel und Spanische Vanille. 

Christina Hoffmann: Wenn es was zu feiern gab, war das Café Michel die erste Adresse

"Am 10.10.2010 hatten mein Mann Markus und ich unseren ersten Jahrestag", erinnert sich Christina Hoffmann aus Reichenberg. "Wir haben damals zusammen gearbeitet und ich hatte unseren Chef gebeten, Markus einen Tag frei zu geben. Statt zusammen auf die Arbeit zu fahren, überraschte ich ihn damals mit einem gemeinsamen Frühstück im Café Michel. Seitdem gab es für uns nur diese Adresse, wenn es was zum Feiern gab."

Und das junge Paar findet genug Anlässe: Zur Urlaubseinstimmung geht es ins Café Michel, an den Jahrestagen oder auch einfach nur am Ende der Arbeitswoche: "Freitag Nachmittag saßen wir oft an der Theke am Fenster mit Blick auf den Marktplatz, beobachteten die Passanten, bestellten ein Stück Kirschmichel und eine Spanische Vanille und teilten diese gerecht, damit jeder von beiden etwas hatte - der perfekte Start ins Wochenende", erzählt Christina Hoffmann. Als es um die Auswahl der Hochzeitstorte ging, gab es bei den beiden deshalb keine große Diskussion: Kirschtorte und Spanische Vanille vom Café Michel, ein ganz klarer Fall. 

Roland Pleier: Er wohnte zehn Jahre lang da, wo andere Strudel aßen

Roland Pleier 1997  im zweiten Stock des Café Michel. 
Foto: Roland Pleier | Roland Pleier 1997  im zweiten Stock des Café Michel. 

Roland Pleier aus Lohr, lange Jahre Main-Post-Redakteur, startete einst in den 80er-Jahren als Praktikant in der Würzburger Lokalredaktion. Diese war damals zeitweise nur wenige Meter vom Café Michel entfernt im Hahnenhof, dem Haus im Durchgang zwischen Falkenhaus und Kaufhof. Pleier erinnert sich: "Ich hatte eine Wohnung in Gerbrunn, von da aus bin ich jeden Tag runter in die Stadt gegurkt. Ich war auf der Suche nach einer Wohnung, die näher an der Redaktion war." Für sich und die Kollegen holt er regelmäßig Schwarzwälder Kirschtorte im benachbarten Café Michel und nutzt er diese Aufgabe zur Wohnungssuche. Immer wenn er am Fenster des Cafés steht, fragt er, ob die Familie Michel nicht eine Wohnung wisse.  "Lange war die Antwort 'Nein'. Aber irgendwann zahlte sich meine Hartnäckigkeit aus: 'Ich hätte da vielleicht was', sagte Florian Michel und bot mir an, zu einem wirklich sozialen Preis in den zweiten Stock übers Café zu ziehen. Von da an hatte ich den kürzesten Arbeitsweg von allen."

Ganze zehn Jahre, von 1987 bis 1997, wohnte Roland Pleier im zweiten Stock über dem Café Michel - mit allem, was dazu gehört: "Die Wohnung war nichts für Lärmempfindliche. Wenn alle Glocken des Doms läuteten, war an Telefonieren oder Radiohören nicht zu denken. Ähnlich war es während des Weindorfs: Runtergehen war noch die beste Lösung. Dass morgens zwischen vier und fünf die Teigmaschine rumpelte, gehörte zum Alltag und war in der ganzen Gasse zu hören." In diesen Jahren hatte Roland Pleier es sich zum Projekt gemacht, Café-Besucher von oben zu fotografieren: "Besonders mochte ich die Aufnahmen der Herren mit lichtem Haupthaar."

Manfred Dülk: Hausaufgaben "verglichen" er und seine Kumpels in der Ecke des Cafés 

Ein Portrait aus 1972: Da hatte Manfred Dülk gerade das Abitur in der Tasche - obwohl er bei den Hausaufgaben geschummelt hatte.
Foto: Manfred Dülk | Ein Portrait aus 1972: Da hatte Manfred Dülk gerade das Abitur in der Tasche - obwohl er bei den Hausaufgaben geschummelt hatte.

Manfred Dülk aus Kürnach weiß es noch genau: "Es war Anfang der Siebziger, ich war in der Abschlussklasse", erinnert er sich. "Benotete Hausaufgaben wurden im Café Michel . . . sagen wir: nochmal gemeinsam überarbeitet. Ganz hinten links der Ecktisch war der Stammplatz von uns Schülern. Dort haben wir die erste Unterrichtsstunde geschwänzt, Kaffee und Hörnchen bestellt und schulische Spitzenwerte angepeilt.

Das war so der übliche Rhythmus." Eine - wie er sie scherzhaft heute nennt  -"jungmännerfeindliche" Lehrerin wurde misstrauisch: Die sich ähnelnden Texte der Jungsclique fielen ihr auf. "Als dann einmal auf zwei Arbeiten Kaffeeflecken zu sehen waren, kam ihre große Stunde und es gab wegen Unterschleif die Note 6. Nachgewiesen werden konnte es aber im Übrigen nie richtig. Unserer Liebe zum Café Michel tat dies aber keinen Abbruch", erzählt Dülk.  "Bis zuletzt trafen wir uns hier in trauter Runde und tauschten Erinnerungen aus." Das Abitur hatte Dülk 1972 geschafft - auch mit Teamwork bei den Hausaufgaben.

 
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  • kej0018@aol.com
    Die Geschichte mit den langen Haaren gabs auch noch in der Himmelsleiter, gar nicht weit vom Café Michel entfernt... Das macht es natürlich auch nicht besser, aber diese alte Geschichte und die Zustände in der Backstube des einarmigen Bäckermeisters Michel sollte doch bitte nicht den jetzigen Michels angehängt werden, das fände ich unfair.
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  • Ironic
    Man glaubt ja, dass die Festung abgebaut wird,so viel wird über die Schließung des CM geschrieben.
    Es ist lediglich ein Café, dass durch ein anderes ersetzt wird. Passiert manchmal.
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  • heinrich.juestel
    Ich mied das Café Michel wegen des beißenden Zigarrenqualms, als noch geraucht werden durfte.
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  • Doedi.wue
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  • Lebenhan1965
    Mitte der 70er

    fuhr ich während des Semesters immer 3 bis 4 mal die Woche für die Milchhandlung Bienert in der Karmelitenstraße viele Cafés in Würzburg morgens zur Belieferung mit Sahne, Quark, Joghurts und anderen Produkten der Milchwerke an.

    Kein Betrieb hatte so eine ungepflegte Backstube wie das Michel in seinem Keller. So richtig sauber, dass man auch die Fliesen am Boden erkennen konnte, war es dort nur nach den Betriebsferien, ansonsten kam einem dort öfter mal eine Katze entgegen, die des Nachts wohl auf Mäusejagd gegangen war.

    Es gab wesentlich gepflegtere Konditoreien und Cafés, privat wäre ich nie in die Gaststätte gegangen. Bei dem Gedanken an den Zustand ein Stockwerk tiefer hätte mir nichts mehr geschmeckt.
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  • k.a.braun@web.de
    Der Fall des langhaarigen Gastes war leider nicht der einzige seiner Art. In meiner Jugend waren auch stillende Mütter dort nicht willkommen, und der Fall mit den "störenden" Behinderten ist noch gar nicht so lange her. Ich bin traurig, dass es in Würzburg immer weniger Cafés gibt, doch dem Café Michel weine ich keine Träne nach.
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  • zwang
    Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich!
    Warum lässt die Mainpost durch ihre Leser das Café Michel so glorifiziert?
    Sie, die Mainpost, hält sich sonst doch auch als vierte Gewalt im Staate .
    Einen kritischen Kommentar hätte man schon erwarten können,
    wenn man im Michel nicht der „Norm“ entsprach, und noch schlimmer Behinderten feindlich war es auch noch.
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