Gregor Frede ist genau in seinem Element, wie er da in der ersten Bankreihe in der kleinen Darstadter St.-Laurentius-Kirche sitzt. Hinter ihm auf der Empore wird gerade die Orgel auseinander genommen. Sie hat eine ausführliche Kur in der Markelsheimer Orgelbauwerkstatt Heissler vor sich. Eine Restaurierung, die vermutlich gar nicht nötig gewesen wäre, sagt Frede, Diözesanmusikdirektor und Orgelsachverständiger der Diözese. Wenn nicht Mitte der 1970er Jahre schon einmal der Versuch einer Restaurierung unternommen worden wäre, der sich aus heutiger Sicht wohl nur als Verschlimmbesserung bezeichnen lässt.
Ein sehr hochwertiges Instrument
"1975 wurde leider, leider, leider nicht mit Materialien aus der Entstehungszeit der Orgel gearbeitet", bedauert Frede. Und es ist nicht irgendeine Orgel, der damals mit viel Enthusiasmus, aber wenig Sachkenntnis zu Leibe gerückt wurde. Die Darstadter Orgel hat 1750 Hoforgelbaumeister Johann Philipp Seuffert gebaut. "Das ist der Mercedes unter den Orgeln", erklärt Frede. Ein sehr hochwertig gebautes Instrument, angepasst an den kleinen Innenraum, das die Jahrhunderte recht gut überlebt hat. Etwa zu 50 Prozent ist es noch original erhalten.
Doch auch die hochwertigste Orgel unterliegt einem gewissen Verschleiß, wenn sie jahrzehnte-, jahrhundertelang gespielt wird. Maria Kräuter, Kirchenpflegerin und Organistin in St. Laurentius, merkte das zuletzt beim Spielen recht deutlich. "Manche Töne pfiffen, die Pedale blieben hängen", sagt sie. Zunächst hatte sie mit einer kostengünstigen Instandsetzung gerechnet.
Doch eine genaue Untersuchung des denkmalgeschützten Instruments zeigte: Da liegt eine ganze Menge im Argen. Die Restaurierung, für die die Kirchenstiftung zuständig ist, wird rund 40 000 Euro kosten. Neben der bischöflichen Finanzkammer steuern die Pfarreiengemeinschaft Tückelhausen und verschiedene Stiftungen Geld bei, auch Spenden gingen schon ein, sagt Maria Kräuter.
Gregor Frede erklärt, was 1975 schief gegangen war. Johann Philipp Seuffert verwendete 1750 die damals verfügbaren Materialien: Eisen, Holz, Zinn, Blei, Leder und Filz unter anderem. Das Eisen, mit dem die Verbindung zwischen Taste und Pfeife hergestellt wurde, hat einen geringen Ausdehnungskoeffizienten. Das heißt, sagt Frede, dass diese Verbindung sehr stabil bleibt und die Orgel präzise arbeitet. Dann kam die Nachkriegszeit, und mit ihr eine große Begeisterung für die Fülle an neuen Materialien, die nun zur Verfügung standen. Die kamen auch bei der Restaurierung der Darstadter Orgel zum Einsatz, als sie die üblichen Verschleißsymptome zeigte.
Das Wissen um alte Bautechniken ging verloren
Leider nicht zum Vorteil des Instruments. Das komplette Spielwerk wurde durch Aluminium ersetzt, das sich im Gegensatz zu Eisen mächtig ausdehnen kann. Es kam zu Reibung, und dadurch entstand Rost. "Wäre 1975 die Mechanik nicht neu gemacht worden, hätte heute eine Reinigung genügt", resümiert der Orgelsachverständige und ergänzt: "Das hat man häufig." Alle wollten damals etwas Neues ausprobieren, Langzeiterfahrungen mit den innovativen Materialien gab es noch nicht. Und über die Zeit war das Wissen um die alten Bautechniken verloren gegangen.
Gregor Frede ist seit Jahrzehnten in diesem Metier tätig. Die Restaurierung hunderter von Orgeln hat er begleitet. Mit jedem Instrument habe man dazu gelernt, sagt er. "Wir versuchen, uns in den Orgelbauer von damals hinein zu versetzen." Das sei wichtig, denn nur so könnten die Orgelbauer von heute verstehen lernen, warum ihre Vorgänger in der Barockzeit etwas so und nicht anders gemacht haben.
Alte Substanz wird erhalten
"Damals hat Arbeit fast nichts gekostet, dafür war das Material teuer. Heute ist es umgekehrt", verrät Frede. Und deshalb kann es sein, dass ein Orgelbauer um 1750 mit viel Zeitaufwand eine bestimmte Konstruktion geschaffen hat, nur, um Material einsparen zu können. Bei der Restaurierung soll so viel von der historischen Substanz wie möglich erhalten werden. "Alte" Materialien werden genommen, wo etwas ersetzt werden muss.
Die Orgelpfeifen sind übrigens in erstaunlich gutem Zustand. "Die sind 100 Prozent alt, bis auf ein paar Ersatzpfeifen", begeistert sich Gregor Frede. Der Blasebalg könne zur Not sogar noch mit Muskelkraft betrieben werden. Normalerweise wird das aber in Darstadt nicht mehr gemacht. Dort gibt es schon seit langem ein elektrisch betriebenes Gebläse. Nur von dem Orgelautomaten, der mangels Organisten eine Zeit lang zum Einsatz gekommen war, haben sich die Darstadter wieder verabschiedet. Er ist inzwischen überflüssig: Drei Organistinnen teilen sich jetzt die Einsätze bei den Gottesdiensten in dem 200-Einwohner-Dorf, sagt Maria Kräuter.
In der Markelsheimer Orgelbauwerkstatt wird das Instrument in den kommenden Monaten Detail für Detail betrachtet, repariert und gereinigt. Im Herbst soll es an seinen angestammten Platz zurückkehren können, wo in der Zwischenzeit ein Keyboard die Vertretung übernimmt. Eigentlich müsse das gebührend gefeiert werden, wenn in St. Laurentius der unverwechselbare Barockklang der Seuffert-Orgel wieder zu hören sein wird, sagt Maria Kräuter. Je nachdem, was die Coronasituation dann zulässt, soll es ein Konzert oder sogar eine ganze Konzertreihe in Darstadt geben.