Es ist 5.15 Uhr an diesem Julitag und in Würzburg erwacht Mainfrankens größtes Freibad zum Leben. Schwimmmeister Andreas Oehrlein hat heute Frühschicht. Im Raum neben dem Eingang brennt schon Licht. In einer dreiviertel Stunde kommen die ersten Schwimmer, dann muss das Dallenbergbad startklar sein. "Und vor allem sicher", sagt Oehrlein, 51 Jahre alt, Schwimmmeister aus Leidenschaft und mit dem "Dalle" seit Jahrzehnten innig verbunden.
So innig, dass er Aktionen ins Leben gerufen hat, die mit einem Innovationspreis ausgezeichnet worden sind. Das Wintergrillen im beliebten Freibad etwa erreicht in der dritten Auflage schon Kultstatus, auch das White Dinner an diesem Samstag, 28. Juli, bei dem die Gäste, die weiß gekleidet zum Event kommen, freien Eintritt haben, gilt als Highlight. Das Dalle, das ist für viele Besucher hier irgendwie auch der Andi. Und der Andi, der ist hier mehr als einer, der bloß seinem Beruf nachgeht. Er ist Schwimmmeister mit Leib und Seele.
Bademeister: Falscher Begriff
"Viele glauben, der Begriff Bademeister ist Programm. In Badehose am Beckenrand stehen und ein bisschen für Ordnung sorgen", sagt er. Das sei aber genauso falsch wie die Berufsbezeichnung Bademeister, die sich aber nun mal im Sprachgebrauch festgesetzt habe. "Ich habe kein Problem damit, korrekt ist aber der Begriff Schwimmmeister", sagt der Würzburger. Oder amtlich: Fachangestellter für Bäderwesen.
Rekord: 17 683 Badegäste im Dalle
Ein Beruf, für den sich vielerorts im Land, auch in Unterfranken, immer seltener jemand finden mag. Fakt ist: Deutschlandweit werden händeringend Schwimmmeister gesucht. Der Schwimmmeister-Schwund hat bereits Folgen: Bäder müssen den Betrieb reduzieren oder an manchen Tagen ganz einstellen. Im Würzburger Dallenbergbad, in dem sich am 7. Juli 1991, dem bisher ungeschlagenen Rekordtag, 17 683 Menschen tummelten, läuft der Betrieb noch reibungslos. Wie es im größten Bad der Region in Zukunft aussehen wird, vermag jedoch heute noch niemand zu sagen. Aktuell arbeiten 25 fest angestellte Mitarbeiter hier. Es gibt 19 Aufsichten/Rettungsschwimmer und zehn Aushilfen an der Kasse, erklärt die zuständige Würzburger Versorgungs- und Verkehrs-GmbH (WVV).
"Wir beobachten den Nachwuchsmangel mit Sorge", sagt Robert Kratzenberg, Bayerischer Landesvorsitzender im Bundesverband Deutscher Schwimmmeister (BDS). "Wir haben schon länger einen Mangel an Fachkräften. Wenn wir von tausend Bädern in Bayern ausgehen, fehlen hundert bis zweihundert Fachkräfte." Für die Interessenten am Beruf des Schwimmmeisters stehe noch die Hürde der körperlichen und schwimmerischen Fitness an, die für viele eine nicht zu bewältigende Hürde sei.
Sozialer Brennpunkt Freibad ?
Dazu kommen in diesem Sommer 2019 vermehrt Meldungen von Schlägereien und Übergriffen in deutschen Freibädern. Im Michaelibad in München, aber auch in Essen und Düsseldorf kam es im Juni zu massiven Polizeieinsätzen, eskalierten Streitigkeiten zu Massenschlägereien. Eine Krawallstimmung wie im Fußballstadion – und mitten drin der Schwimmmeister. Sozialer Brennpunkt Freibad? "Nein, das sind eher Einzelfälle", glaubt Robert Kratzenberg.
Gespräche über derlei Probleme muten an diesem stillen Sommermorgen im Würzburger Dallenbergbad, wo Tropfen aus den Rasensprengern auf eine ins Wasser watschelnde Gänsefamilie fallen, seltsam an. In der Tat, so sagt Schwimmmeister Oehrlein, befinde man sich im Würzburger Dalle auf der vielleicht letzten Insel der Seligen. "Natürlich gibt es mal Auseinandersetzungen. Aber da war nicht eine kritische Situation, in der irgendetwas völlig aus dem Ruder gelaufen wäre oder ich das Gefühl gehabt hätte, das Wohl der Gäste oder die Sicherheit wären gefährdet", erzählt Andreas Oehrlein.
Duzen ja, aber immer mit Respekt
Oehrlein ist einer, der mit den Leuten kann. Einer, der am liebsten gleich zum Du übergeht. "Aber immer mit Respekt." Genau das mache vieles einfacher. Der viel beklagten Respektlosigkeit dieser Zeit begegnet der 51-Jährige mit lockerem aber sehr bestimmten Ton. "Wenn jemand zu mir sagt, ey Alda, was willst du, schleich dich, kann ich ja schlecht antworten, ich möchte das bitte nicht, dass Sie so mit mir reden. Der kriegt von mir eine Antwort, die er auch versteht."
Oehrlein gehört zu jenen, die in ihrem Beruf mehr sehen, als die bloße Erfüllung von Pflichten. Von denen allerdings gibt es an diesem Morgen in der ganz normalen Frühschicht mehr als genug. Tätigkeiten, die ein Badegast nicht sieht, wenn er später in eine saubere Umkleidekabine oder Toilette kommt. 18 Warmwasser-Duschen, sieben Außenduschen, sieben Herrentoiletten, zwölf Pissoirs und zwölf Damen-Toiletten gibt es im Dalle. Oehrlein zeigt auf den Boden. "Ganz wichtig ist die Verkehrssicherheitspflicht. Es darf nichts rumliegen."
Blut muss man sehen können
Verletzungen sind in einem großen Schwimmbad nicht zu vermeiden, zwei Rettungseinsätze hat es heuer gegeben, beide aufgrund allergischer Reaktionen. Keinesfalls, so Andi Oehrlein, dürften Verletzungen aber aufgrund von Nachlässigkeiten im Dienst eines Schwimmmeisters entstehen. "Da schaue ich lieber zweimal hin auf dem Rasen, dem Beckenboden oder der Rutsche. Es muss nur mal eine Schraube herausstehen, das kann schon fatal enden." Beim Kehren der großen Wasserrutsche ist Oehrlein heute auf viele Steine gestoßen. Das regt ihn mächtig auf. "Da gibt es immer ein paar Spackos, die schmeißen Steine drauf, was soll das?"
Vom Sprungturm bis zum Spielplatz ist Oehrlein heute früh schon auf dem Gelände zur Kontrolle unterwegs gewesen. 20 000 Schritte, so hat er jüngst gemessen, mache er im Schnitt in einer neunstündigen Dalle-Schicht. "Zwei Paar Schuhe sind nach dem Sommer durchgelaufen." Gerade hat er die Chlorwerte im Wasser und das Kontingent der Chlorgasflaschen überprüft, vorschriftsmäßig mit Maske über dem Gesicht. "Wenn hier etwas Größeres passiert, informieren wir gleich die Feuerwehr. Im schlimmsten Fall müssen wir das Bad räumen und die Anwohner informieren."
Das Herzstück ruht unter den Liegen
Im Filterhaus, dem technischen Herzstück des Dalle unter der Sonnenterrasse, läuft an diesem Morgen ebenfalls alles nach Plan. Dort werden Wasserstand und Pumpen überprüft, kann per Hand alles gesteuert werden. Die größte technische Panne gab es im April 2019, nach einem Wasserrohrbruch standen die Pumpen für die Attraktionen unter Wasser. Die Technik im Dallenbergbad ist eine althergebrachte. Nicht zu vergleichen mit modernen Anlagen wie in dem noch im Bau befindlichen Freizeitbad Nautiland, in dem Oehrlein in den Wintermonaten arbeitet. Der Schwimmmeister läuft jetzt weiter zu den Becken, misst die Temperatur. 23,7 Grad Celsius im Schwimmerbecken. Für viertel vor sechs Uhr in der Früh eine sehr angenehme Temperatur, meint der Profi, der schon wieder auf dem Weg zurück zum Eingangsbereich ist.
Kuriose Fundsache: Frauenbrust aus Gummi
Beschwingt bespricht Oehrlein den Anrufbeantworter im Kassenraum. Gegenüber lagern Stapel von Fundsachen. Oehrlein greift sich einen Berg Klamotten und bringt sie zu den Regalen. "Das ist nur von gestern. Ein Wahnsinn! Und die meisten Leute holen ihre Sachen gar nicht ab! Teure Sachen! Hier liegen Uhren, Kreditkarten, Schmuck, Klamotten!" Als erstaunlichstes Fundstück im Dallenbergbad gilt bis heute eine Frauen-Brust aus Gummi.
"Guten Morgen!", ruft Oehrlein und winkt einer groß gewachsenen jungen Frau zu. "Warte, ich lass dich rein!" Die Sportstudentin und begeisterte Wettkampf- Schwimmerin, teilt sich heute mit Andi die Frühschicht, sie ist als Beckenaufsicht eingeteilt. Auch sie gehört zu einer kleiner werdenden Gruppe von Einsatzkräften, die einen Bäderbetrieb aufrechterhalten. Rettungsschwimmer sind gefragt wie nie in Zeiten, in denen jeder dritte Grundschüler nicht schwimmen kann.
40 000 Quadratmeter Grünfläche im Bad
Die Zeiger der großen Uhr vor den Umkleidekabinen zeigen jetzt fünf vor sechs an. Vor dem Absperrgitter hat sich schon eine kleine Gruppe versammelt. Man kennt sich, die Begrüßung ist herzlich. Traudl (63), Joshua (20) und Nathan (22) postieren sich vor der Uhr. Bei schönem Wetter kommen bis zu 120 Badegäste zum Frühschwimmen. Was Oehrlein gar nicht mag: Badegäste, die zu fordernd sind. Die meinen, der Schwimmmeister müsse auf Kommando den Sprungturm aufmachen, Liegen bereitstellen oder anderweitig ganz selbstverständlich Dienstleistungen über den Job hinaus erbringen. "Wir sind hier kein Hotel."
Wer allerdings freundlich auf ihn zukomme, könne immer mit optimaler Hilfe oder Betreuung rechnen. Und die Stammgäste haben bei Oehrlein im doppelten Sinn viel zu lachen. Die nimmt der Schwimmmeister auch schon mal abends bei der Fahrt mit dem Rasentraktor auf dem Anhänger quer übers Gelände mit. Vorausgesetzt, der Anhänger ist nicht voll mit Müll. 15 bis 20 Säcke kommen an einem normalen Betriebstag zusammen. Oehrlein sieht auch diesen Aspekt positiv: "Das ist doch super, mit so einem Ding rumzufahren, ein Kindheitstraum!" Spricht's, schwingt sich auf den Sitz und tuckert winkend davon.