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Würzburg
Coronavirus: Warum die Impfstoff-Suche schwierig ist
Bei der Schweinegrippe ging es sehr schnell: In nur vier Monaten gab es einen Impfstoff. Warum es beim Coronavirus viel länger dauern könnte, erklärt ein Würzburger Chefarzt.
Mitarbeiter des Instituts für Virologie der Philipps-Universität Marburg sind an der Entwicklung eines Impfstoffs gegen das Coronavirus beteiligt.
Foto: Arne Dedert, dpa | Mitarbeiter des Instituts für Virologie der Philipps-Universität Marburg sind an der Entwicklung eines Impfstoffs gegen das Coronavirus beteiligt.
Angelika Kleinhenz
 |  aktualisiert: 07.04.2020 13:10 Uhr

Wie schnell können Mediziner einen Impfstoff gegen das Coronavirus entwickeln? Professor Tino Schwarz vom Klinikum Würzburg Mitte (KWM) glaubt nicht an eine schnelle Lösung. Der Experte ist Chefarzt des Instituts für Labormedizin, in dem auch ein Impfzentrum angesiedelt ist. In diesem Zentrum führt das Juliusspital seit 20 Jahren klinische Studien durch. Dort werden beispielsweise Impfstoffe hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Sicherheit geprüft. Der Experte erklärt, warum es lange dauern kann, bis ein neuer Impfstoff auf den Markt kommt.

Professor Tino Schwarz vom Klinikum Würzburg-Mitte.
Foto: Inline Internet & Werbeagentur | Professor Tino Schwarz vom Klinikum Würzburg-Mitte.
Frage: Wie schnell kann man mit einem Impfstoff gegen das Coronavirus rechnen?

Tino Schwarz: Das kann dauern...

Warum so pessimistisch?

Schwarz: Sie müssen erst einmal gewisse Grundkenntnisse über den Erreger und die Antwort des menschlichen Immunsystems haben, bevor Sie einen Impfstoff entwickeln können.

Bei der Schweinegrippe ging das doch ganz schnell. 

Schwarz: Die ersten Fälle von Schweinegrippe traten im April 2009 in Mexiko auf. Schon im September wurde der Impfstoff zugelassen. Es war deshalb so einfach, weil bereits ein so genannter Modell-Impfstoff zur Verfügung stand, in den man nur das jeweilige neue Virus hineinpacken musste.

Das müssen Sie erklären...

Schwarz: Sie können sich das vorstellen wie das Modellgerüst eines Impfstoffs, in das Sie nur den zentralen Bestandteil einsetzen, der dieses Virus von anderen Viren unterscheidet. Ganz egal, ob Schweinegrippe, Vogelgrippe, Influenza H7/N9: Sie können das Modell sofort an den neuen Typ anpassen. Dann haben Sie drei Monate später den fertigen Impfstoff. Die Pharmaindustrie könnte sofort am nächsten Tag in die Produktion gehen. Erkrankte brauchen nur ein bis zwei Dosen, die man innerhalb von 21 Tagen verabreicht. Das ist die Idealvorstellung, wie ein neuer Impfstoff entsteht.

Doch bei Corona ist alles anders?

Schwarz: Ja. Wir haben keinen zugelassenen Impfstoff gegen ein anderes Coronavirus und wir haben schon gar keinen Modell-Impfstoff. Im Grunde fangen wir bei Null an.

Auf welchem Kenntnisstand sind die Mediziner beim Coronavirus?

Schwarz: Eine Allianz zwischen Regierungen, der WHO, der EU-Kommission, Forschungseinrichtungen und der Impfstoffindustrie namens CEPI finanziert derzeit drei Firmen, die drei unterschiedliche medizinische Strategien verfolgen, einen Impfstoff gegen das Virus zu entwickeln. Zwei sind kleine Biotech-Firmen. Denn die großen Pharmahersteller haben nicht die Kapazität, sofort in die Grundlagenforschung einzusteigen. Die dritte ist das NIH, eine Behörde des US-amerikanischen Gesundheitsministeriums. Vereinfacht gesagt geht es um einen DNA,- einen mRNA- und einen Zellkulturansatz, auf dessen Grundlage man einen neuen Impfstoff gegen das Coronavirus entwickeln könnte.

Und welcher der drei medizinischen Ansätze Erfolg hat, ist derzeit nicht abzusehen?

Schwarz: Nein. Nicht einmal, ob man überhaupt Erfolg hat.

Tropenmediziner testen doch aber gerade Impfstoff-Kandidaten gegen das im Jahr 2012 erstmals aufgetretene MERS-Coronavirus am Menschen. Sie könnten in einigen Monaten verfügbar sein, hieß es. Darauf ließe sich aufbauen und einen Impfstoff gegen den neuen Erreger entwickeln.

Schwarz: Ja, aber man kann erst nach Auswertung der Studien wissen, ob der Impfstoff überhaupt klinisch wirksam ist.

Wie prüft man denn, ob ein Impfstoff klinisch wirksam ist?

Schwarz: Zuerst erfolgt die analytische Arbeit, dann kommen die ersten Tierversuche (meist an Mäusen). Wenn abgeklärt ist, dass der Wirkstoff immunogen (das Immunsystem anspricht), nicht giftig und verträglich ist, beginnt die Phase 1 beim Menschen. Abhängig vom Impfschema (wie viele Impfdosen erforderlich sind) erhält man die ersten Ergebnisse nach drei bis sieben Monaten.

Hatten Sie Phase 1-Studien auch schon in Würzburg?

Schwarz: Ja. Zum Beispiel haben wir eine RSV-Studie gemacht. Das ist eine Atemwegsinfektion bei ganz kleinen Kindern. Wir haben Frauen im gebärfähigen Alter geimpft und überprüft, wie hoch die Antikörperspiegel sind, mit denen die Säuglinge in den ersten Lebensmonaten dann geschützt wären.

Wie geht es weiter nach der Phase 1?

Schwarz: Wenn Phase 1 ausgewertet ist, testet man den Impfstoff in Phase 2 an einer größeren Menge menschlicher Probanden auf Immunogenität (Antikörperbildung) und Verträglichkeit. Wenn alles gut läuft, wird in Phase 3 der Impfstoff an einer großen Zahl von Menschen getestet. Dies geschieht in so genannten "placebo-kontrollierten" Wirksamkeitsstudien, die abhängig von der Erkrankung, die man verhindern will, meist mehrere Jahre dauern. Das heißt, ein Teil der Probanden erhält Placebos.

Wie lange dauern Phase 2 und 3?

Schwarz: Wenn Sie heute beginnen, können Sie - optimistisch gesehen - frühestens nach eineinhalb Jahren in die Phase 3 gehen. Doch dann haben Sie vielleicht ein Problem...

Warum?

Schwarz: Weil dann die Epidemie schon vorbei ist. Das ist einerseits gut, andererseits kann der neue Impfstoff nicht mehr auf seine Wirksamkeit getestet werden. Das Problem haben wir aktuell beim Zika-Virus. Wir können keine Wirksamkeitsstudie machen, weil sich die Menschen dort, wo Zika vorkommt, meist schon infiziert haben. Der Impfstoff kommt zu spät. Wenn Mediziner in einem Jahr in Wuhan eine Corona-Impfstoff-Wirksamkeitsstudie machen wollen, werden sie dort vermutlich nur wenige Menschen finden, die sie noch schützen können.

Und wenn man den Impfstoff hier in Deutschland testen würde?

Schwarz: Dann fehlt den Probanden die Exposition zum Erreger. Dann kann man auch nicht nachweisen, dass der Impfstoff überhaupt wirksam ist. Man könnte dann nur über die gebildeten Antikörper annehmen, dass ein Schutz vorliegt. Bei allen neuartigen Impfstoffen benötigt man aber Studien, die die Wirksamkeit belegen.

Für welche Erreger haben Sie die Phasen 2 und 3 schon in Würzburg gemacht?

Schwarz: Für sehr viele. Etwa für Gürtelrose, humane Papillomviren (Auslöser für Gebärmutterhalskrebs), Hepatitis A und B , Meningokokken, Pneumokokken und COPD.

Und ohne die Wirksamkeitsstudie (Phase 3) kommt kein Impfstoff auf den Markt?

Schwarz: Nein. Vorher erteilen die Behörden keine Zulassung für einen neuen Impfstoff. Klinische Studien laufen in vielen Ländern. Sie brauchen dafür weltweit 5000 bis 80000 Probanden mit unterschiedlichen ethnischen Hintergründen. Hier in Würzburg nehmen an klinischen Impfstudien normalerweise zwischen 50 und 300 Menschen teil. Sie haben den Vorteil, einen Impfstoff zu bekommen, der oft erst Jahre später zugelassen wird.

Wie geht es nach der Phase 3 weiter?

Schwarz: Zuerst muss ein Studienbericht mit allen Daten verfasst werden. Dann kann man - abhängig davon, auf welchem Kontinent man den neuen Impfstoff einführen will - bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) oder der FDA (Lebens- und Arzneimittelbehörde in den USA) in besonders dringlichen Fällen eine so genannte Schnellzulassung ("Fast track") beantragen. Das heißt, in Ausnahmefällen könnte der Impfstoff schon während der klinischen Studien zugelassen werden, wenn alle Ergebnisse, die parallel erhoben werden, sofort an die jeweilige Behörde weitergereicht werden und keine Sicherheitsbedenken bestehen. In den USA gab es diese Art der Schnellzulassung nach Meningokokken-B-Ausbrüchen, in Europa bei der Schweinegrippe.

Wie viel Zeit vergeht also normalerweise, bis ein neuer Impfstoff auf den Markt kommt?

Schwarz: Beim Gürtelrose-Impfstoff haben wir 2007 mit Phase 2 begonnen. Zugelassen wurde der Impfstoff 2018. Das ist der normale Zeitablauf. Man muss schließlich belegen können, dass das, was neu auf den Markt kommt, wirksam und sicher in der Anwendung ist.

Und dann ist man endlich soweit, dass man Menschen impfen kann?

Schwarz: Nein. Erst muss der Impfstoff produziert werden. Das ist nicht immer einfach. Für den Dengue-Impfstoff musste der Hersteller erst eine große Fertigungsanlage für ein paar Milliarden Euro bauen. Das hat drei Jahre gedauert.

Und am Ende muss der Impfstoff in die Region der Erde gebracht werden, in der er gebraucht wird.

Schwarz: Das ist das Einfachste. Ich denke, beim Coronavirus wird man sicher einen Impfstoff entwickeln. Die Frage ist: Kommt er rechtzeitig? Denn wenn es wärmer wird, sinkt die Übertragbarkeit der Corona-Viren. Ab dem Frühling wird sich das Virus nicht mehr so schnell ausbreiten. Und im Sommer wird es heiß in China...

Virologe Sandro Halwe pipettiert in einem Forschungslabor des Instituts für Virologie der Philipps-Universität Marburg Zellkulturmedium. Mitarbeiter des Instituts in Hessen sind an der Entwicklung eines Impfstoffs gegen das Coronavirus beteiligt.
Foto: Arne Dedert, dpa | Virologe Sandro Halwe pipettiert in einem Forschungslabor des Instituts für Virologie der Philipps-Universität Marburg Zellkulturmedium.
 
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  • P. K.
    Es war ein Genuss diesen Artikel zu lesen.
    Eindeutige und super erklärte Antworten von Professor Schwarz.
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