Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) übt heftige Kritik an der Stadt Würzburg. Die KBV behauptet auf ihrer Internetseite, die Stadtverwaltung habe Vertragsärzte bestimmten Pflegeeinrichtungen zugeteilt, um dort in der Corona-Krise die hausärztliche Versorgung zu sichern. In dem Kontext bezeichnet die Vereinigung das als eine "Zwangsverpflichtung". Die Behörde zwinge Ärzte dazu, "mehr oder minder ihre Patienten im Stich zu lassen, um sich ab sofort in einem Pflegeheim um Menschen zu kümmern, die sie nicht kennen und die umgekehrt wiederum auch nicht die Ärzte kennen".
Stadt, Landkreis und Gesundheitsamt Würzburg haben gemeinsam in Abstimmung mit dem Bayerischen Gesundheitsministerium eine seit 1. April geltende Regel verfügt, bestätigt Rathaussprecherin Claudia Lother auf Nachfrage dieser Redaktion. Seitdem gilt: In Heimen versorgen nur noch wenige, ausgesuchte Ärzte die Bewohner. "Ziel ist, die Zahl der Kontakte von außen in die Pflegeeinrichtungen hinein insgesamt zu verringern", so Lother. Hierzu wurden zwei Verfügungen erstellt: Zum einen werden die Hausärzte, die bereits aktuell die meisten oder viele Patienten in einem Heim betreuen, für diese Einrichtung für zuständig erklärt. Zum anderen wird allen übrigen Ärzten der Zugang zu diesen Einrichtungen untersagt. Der ärztliche Bereitschaftsdienst, die notärztliche Versorgung und spezialisierte Fachärzte sind davon ausgenommen.
Als Grundlage für die Verfügung dienen das Bayerische Katastrophenschutzgesetz (BayKSG), das Bayerische Verwaltungsverfahrensgesetz und das Infektionsschutzgesetz. So heißt es im BayKSG beispielsweise in Artikel 9: "Die Katastrophenschutzbehörde kann zur Katastrophenabwehr von jeder Person die Erbringung von Dienst-, Sach- und Werkleistungen verlangen sowie die Inanspruchnahme von Sachen anordnen." Die KBV bezeichnet die Rechtsgrundlage als fraglich.
Insgesamt sind etwa 40 Hausärztinnen und Hausärzte zur Versorgung in die Würzburger Pflegeheime bestellt, informiert die Stadt. Die Einteilung der Hausärzte übernehmen die Versorgungsärzte, die die Führungsgruppe Katastrophenschutz der Stadt Würzburg und des Landratsamtes Würzburg beraten.
Dr. Christian Pfeiffer, Bezirksvorsitzender im Hausärzteverband, kennt die Kritik. Er ist der Meinung, dass die Kommunikation mit den Ärzten teilweise "schief gelaufen ist". Das erklärt sich Pfeiffer vor allem mit dem situationsbedingten Handlungszwang, der eine schnelle Entscheidung zu dieser Verfügung vorausgesetzt habe. "Man muss eigentlich versuchen, die Ärzte mitzunehmen", so Pfeiffer gegenüber dieser Redaktion. Das habe auf städtischer Seite weniger gut geklappt als auf der Seite des Landkreises, meint er. Wie Pfeiffer bestätigte, lag der Verfügung im Landkreis ein Zusatzschreiben bei, in dem Landrat Eberhard Nuß über die Notwendigkeit der Maßnahme informierte. Die Pressestelle des Würzburger Rathauses betont, es habe auch ein solches Schreiben des Ordnungsreferenten Wolfgang Kleiner gegeben.
"Bisher läuft es gut. Das Altersheim unterstützt uns in allen Dingen", sagt Dr. Wynfrith Batzner, der seit Anfang April zusammen mit zwei Kollegen für alle Patienten des Juliusspital Seniorenstifts zuständig ist. Schon zuvor betreute er rund 70 Patienten in diesem Heim – und bekam "von heute auf morgen" noch einmal so viele dazu. "Es war schon eine Herausforderung", so Batzner. Mit den Krankenakten aller neuer Patienten habe er sich jeweils mindestens eine halbe Stunde zur Vorbereitung beschäftigen müssen. "Es war ein Glücksfall, dass ich vorher Urlaub hatte – auch wenn ich ihn mir anders vorgestellt hatte." Was die Kommunikation der Behörden betrifft, hätte sich auch der Allgemeinmediziner mehr erhofft: Den letzten Brief dieser Art habe er vor rund 40 Jahren zu seiner Musterung von der Bundeswehr erhalten. "Ich will keinem einen Vorwurf machen. Aber ein nettes Begleitschreiben wäre schön gewesen."
Die KBV spricht von einer Sieben-Tage-Woche für die Ärzte. An fünf Tagen betrage die Dienstzeit je 14 Stunden, an zwei Tagen je elf Stunden. Die Stadt widerspricht: "Es sind keine Arbeitszeiten vorgegeben, sondern vielmehr handelt es sich um eine telefonische Rufbereitschaft von 8 bis 22 Uhr unter der Woche und von 9 bis 20 Uhr an Wochenenden", so Sprecherin Lother. Darüber hinaus sei nicht nur ein Hausarzt oder eine Hausärztin für diese Zeit mit telefonischer Rufbereitschaft eingeteilt, sondern es teilen sich mindestens zwei Praxen beziehungsweise Praxengemeinschaften mit jeweils mehreren Ärzten diese Zeiten im Wechsel. An den Wochenenden können sich die verpflichteten Ärzte zu einer telefonischen Erreichbarkeit zusammenschließen. "Dieser Zusammenschluss soll maximal vier Einrichtungen und insgesamt maximal acht Ärzte umfassen", so die Rathaussprecherin.
Diesen Vorwurf kann Claudia Lother nicht verstehen. Die für die Versorgung verpflichteten Ärzte erhalten laut Rathaussprecherin Schutzausrüstung von der jeweiligen Pflegeeinrichtung und können bei Bedarf Schutzmaterial bei der Katastrophenschutzbehörde anfordern. Darüber seien die Ärzte informiert. Die hausärztliche Versorgung in der jeweiligen Arztpraxis bleibe zudem unberührt. In Gemeinschaftspraxen werde die Vertretung des Arztes, der eine Pflegeeinrichtung betreut, von den ärztlichen Kollegen übernommen. Bei Einzelpraxen werde die Vertretung nach den allgemeinen Vertretungsregeln (ähnlich Urlaubsfall der Hausärzte) geregelt.
Abgesehen davon sehe ich die vorgeschriebenen Zeiten, die die Ärzte in den Pflegeheimen Dienst tun sollen, als bestenfalls realitätsfremd an. Denn es heißt nichts anderes, als dass sie ihre eigenen Praxen (und ihre eigenen Patienten) fast völlig im Stich lassen sollen. Hier wäre ein wenig mehr Fingerspitzengefühl durchaus angebracht gewesen.
Natürlich sollen die Pflegeheime sorgfältig betreut werden. Das tun die Ärzte mit Sicherheit auch. Aber sie haben halt auch Verpflichtungen ihren anderen Patienten gegenüber. Zerteilen können sie sich aber nicht, und irgendwann müssen sie halt auch mal schlafen.
Meines Wissens ist der Kathastrophenfall gar nicht ausgerufen worden - also ist es sehr fraglich, ob das Kathastropohenschutzgesetz hier angewendet werden darf.
Zum zweiten geht es bei dieser Problematik gar nicht allein um die Ärzte. Die Patienten / Pflegeheimbewohner haben ein Recht auf freie Arztwahl - das wurde von der Behörde einfach ignoriert. Besonders ältere Patienten haben in der Regel ein besonderes Vertrauensverhältnis zu IHREN Ärzten, das eine Behörde nicht einfach ignorieren kann. Einige Würzburger Ämter scheinen in der derzeitigen Situation deutlich überfordert zu sein, und dies sollte möglichst bald aufgearbeitet werden.
vielen Dank für Ihren Kommentar. Sie haben natürlich Recht, das Thema bietet weitere Ansatzpunkte, die es gilt, zu untersuchen. Mit diesem Artikel ist es noch nicht getan, wir werden natürlich weiter dranbleiben. Ihre angesprochenen Punkte werden wir dabei gerne berücksichtigen. Mit freundlichen Grüßen, L. Kesselhut
„Die Bayerische Staatsregierung unter Führung von Ministerpräsident Dr. Markus Söder hat heute aufgrund der Corona-Pandemie ab sofort den Katastrophenfall für ganz Bayern ausgerufen. Damit ist zur Bekämpfung der weiteren Ausbreitung des Corona-Virus eine klare Steuerung mit zentralen Eingriffs- und Durchgriffsmöglichkeiten möglich.“ so zufinden auf der Webseite der Staatsregierung Bayern vom 16.03.2020.
anders kann ich mir diese Schlagzeile nicht erklären. Von einer "sogenannte(n) Führungsgruppe Katastrophenschutz (FüGK)" zu sprechen ist insoweit nicht zu beanstanden, als die Obere Führungsebene tatsächlich so heißt. Zur Doppeldeutigkeit des Wortes "sogenannt" muss ich hier allerdings sicher keine näheren Ausführungen machen. Wer mehr über die Aufgaben einer FüGK erfahren möchte, der sei auf folgende Seite des Staatsministeriums des Innern verwiesen: https://www.stmi.bayern.de/sus/katastrophenschutz/katastrophenschutzsystem/aufgabenundorganisation/index.php
In der Unterzeile heißt es im Konjunktiv, dass Ärzte verpflichtet worden sein sollen. Im Artikel führt selbst Dr. Christian Pfeiffer, Bezirksvorsitzender im Hausärzteverband, aus, dass zwar die Kommunikation mit den Ärzten "teilweise schief gelaufen (sic!) ist", relativiert diese Probleme allerdings gleichzeitig, indem er von situationsbedingtem Handlungszwang spricht.
Das Thema hat mehr Seriosität verdient.
vielen Dank für Ihren Kommentar. Gerne nutze ich die Möglichkeit, darauf einzugehen. Für Clickbaiting gibt es viele Definitionen, von gut bis schlecht. DIE richtige Definition rauszupicken, ist nicht ganz einfach. Oft neinhalten Erklärungen dazu, dass Clickbaiting-Artikel bzw. Überschriften rein darauf ausgezielt sein sollen, Lesern etwas "vorzugaukeln", was ein Artikel dann überhaupt nicht hält. Ich kann Ihre Kritik bei diesem Fall nicht ganz nachvollziehen. Es steht eine Frage im Raum, die durch die Kritik der KBV bis jetzt offen geblieben ist. In dem Artikel der Vereinigung kommen die Behörden nicht zu Wort, weswegen einem Leser nicht klar sein kann, ob die Verpflichtung stattgefunden hat oder nicht. In der Freizeit beschäftigt sich ja selten jemand mit Allgemeinverfügungen. Diese Frage dient (meiner Meinung nach legitim) als Überschrift und wird ausführlich beantwortet. Mit freundlichen Grüßen L. Kesselhut
wenn man Leute herumkommandieren kann, und noch dazu Ärzte...
Hinter vorgehaltener Hand hört man immer wieder mal, der Artikel 20 GG gehört schon lange umgeschrieben in "alle Macht geht von der Verwaltung aus".
Tja: quis custodiet ipsos custodes? (= Klassiker von vmtl. Juvenal, bedeutet etwa "wer soll die Wächter bewachen?")