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Würzburg
Clan-Prozess: Ist die Armut der Angeklagten nur vorgespielt?
Fakten, die wie Klischees wirken: Vor Gericht in Würzburg blättern die fünf Angeklagten ein Leben in Armut auf und bitten ihre Opfer um Entschuldigung.
Um falsches Geld und echte Träume geht es im Würzburger Prozess gegen fünf Angeklagte eines Familien- Clans  in der Festscheune des Wöllrieder Hofes.
Foto: Thomas Obermeier | Um falsches Geld und echte Träume geht es im Würzburger Prozess gegen fünf Angeklagte eines Familien- Clans  in der Festscheune des Wöllrieder Hofes.
Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 15.02.2024 05:43 Uhr

So einen märchenhaften Prozess erlebt man in Würzburg selten: Vor zwei Dutzend Zuschauern wird im provisorischen Gerichtssaal Recht gesprochen – einer zweckentfremdeten Festscheune am Stadtrand, die mehr Platz bietet als die Räume im Justizzentrum. Es geht um Träume von Reichtum, die Gier nach schnell verdienten Euros und um "Schokoladengeld", was immer das sein mag.

Bündelweise falsche Scheine

Vor allem geht es um bündelweise falsche Scheine – so schlecht gemacht, dass jeder ehrenwerte Fälscher schamrot würde: mies kopierte Banknoten mit einem leeren Fleck, wo die Nummer stehen müsste, und dem höhnischen Aufdruck "Freibier". Auf der Anklagebank sitzen fünf junge Männer zwischen 18 und 25 Jahren. Die haben zugeben, mit den falschen Scheinen in Würzburg und Hof mehr als eine Viertelmillion echte Euro erbeutet zu haben. Die Beute wurde bei ihnen gefunden.

Aber sie versichern unisono, dies sei das erste Mal gewesen. Die Staatsanwaltschaft liege falsch mit der Vermutung, sie hätten mit dieser Masche regelmäßig Geld machen wollen. Überhaupt sind sie ihren eigenen Schilderungen zufolge so arm, dass man sich fragt: Wer hat die zwei Autos und den Sprit bezahlt, der sie 300 Kilometer weit – vom heimischen Leverkusen – bis nach Würzburg brachte?

Am 10. Dezember 2019 brachte Bau-Unternehmer Gerhard K. 56 000 Euro in kleinen echten Scheinen zur Übergabe in einer Bäckerei. Er bekam 70 000 Euro zurück: drei echte 500-er, der Rest waren Farbkopien. Peter E. ließ sich sechs Wochen später mit 200 000 Euro in kleinen Scheinen ins Würzburger Maritim-Hotel locken. Doch er bestand auf Prüfung bei einer Bank – dabei wären die 304 Blüten aufgeflogen. Die Übergabe eskalierte, die Dealer bauten auf der Flucht einen Unfall und wurden erwischt.

Roter Teppich für den Falschgeldprozess. Weil selbst der größte Sitzungssaal am Landgericht für die vielen Beteiligten zu klein war, tagte das Gericht in der Festhalle am Wöllrieder Hof.
Foto: Manfred Schweidler | Roter Teppich für den Falschgeldprozess. Weil selbst der größte Sitzungssaal am Landgericht für die vielen Beteiligten zu klein war, tagte das Gericht in der Festhalle am Wöllrieder Hof.

Nun mühen sich zehn teure Verteidiger um Verständnis für ihre Mandanten, die dem weitverzweigten Goman-Clan im Raum Leverkusen angehören – einer Großfamilie, die bei Ermittlern zur Organisierten Kriminalität einen mafiösen Ruf genießt. Das sei "eine andere Welt", versichert ein Anwalt. Was die Angeklagten über ihr Leben berichten, klingt wie Klischee und ist doch Fakt: 18 bis 25 Jahre alt, keiner hat die Schule beendet oder eine Ausbildung begonnen. Sie leben fast alle bei der Mutter, mit bis zu zehn Geschwistern: Den Vater kennen drei von ihnen nach eigenen Angaben nicht.

Ein Angeklagter: "Ich habe Rückenprobleme"

Jeden unterstützt die Mutter mit 50 bis 150 Euro pro Monat. Wovon die Angeklagten ihre Partnerin und bis zu drei Kinder ernähren? "Jobcenter", antworten sie unisono, "und Hartz IV".

Er könne ja nicht arbeiten, erklärt ein gerade mal Volljähriger: "Ich habe Rückenprobleme und Schmerzen." Auch die anderen vier geben den Status "Arbeit suchend" an und ignorieren geflissentlich die ungläubigen Blicke.

Von miserabler Qualität soll das Falschgeld gewesen sein, das in Würzburg getauscht wurde.
Foto: Manfred Schweidler | Von miserabler Qualität soll das Falschgeld gewesen sein, das in Würzburg getauscht wurde.

Ein Verteidiger sagt, sein Mandant zeige in U-Haft in Aschaffenburg mustergültige Ansätze, eine Arbeit zu finden: Er nehme an einem Nähkurs teil. Trocken sagt der Vorsitzende Michael Schaller: "Ich meine, in einem Bericht darüber gelesen zu haben, dass das Annähen eines Knopfes mehrere Stunden dauerte."

Fotos zeigen dicke Geldbündel 

Die Fotos auf den beschlagnahmten Handys zeigen Geldbündel, so dick wie eine Bibel, und goldene Uhren, so teuer wie ein Kleinwagen. Auf Nachfrage von Oberstaatsanwalt Boris Raufeisen versichern sie aber: Das seien Wunschbilder, aus dem Internet kopiert – nicht Trophäen früherer Tauschaktionen.

Den Opfern erklären sie zerknirscht: "Es tut mir leid." Dem Opfer aus Hof überreicht ein Anwalt als Wiedergutmachung einen Teilbetrag des geklauten Geldes, 26 500 Euro – der Zeuge prüft das Geld auf Echtheit.

Das Würzburger Opfer verzichtet auf "Schokoladengeld", eine Entschädigung, die ihm die bittere Erfahrung versüßen soll. Er bietet dagegen im Interview mit "Bild" an: Er würde die Männer sogar in seiner Firma arbeiten lassen. Gelegenheit dafür gäbe es am Dienstag nach dem Urteil. Das Gericht hat den Angeklagten für vollständige Geständnisse Haftstrafen zwischen eineinhalb und dreieinhalb Jahren in Aussicht gestellt. Ein Teil könnte zur Bewährung ausgesetzt werden.

 
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  • E. V.
    Was sagt eigentlich Romani Rose zu solchen Familienverhältnissen?
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  • D. N.
    Fälle wie diese und die zur Schaustellung der Hilflosigkeit unseres politischen und juristischen Systems sind es, die der Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung gegenüber Asylsuchenden empfindlichen Schaden zufügen. Es wäre auch und vor allem im Sinne unseres an sich guten Sozialsystems, hier dynamischer zu reagieren und konsequent vorzugehen.
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  • T. M.
    Es geht hier nicht um Asylsuchende. Sie meinen eher Flüchtende egal aus welchem Grund.
    Aber zu der Clanproblematik läuft gerade eine Doku bei Spiegel TV:
    https://www.spiegel.de/panorama/justiz/spiegel-tv-vom-05-10-2020-die-macht-der-clans-a-8acfa3e7-2037-436f-890c-adc1decd4777
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  • R. S.
    Diese Armut ist doch nicht gespielt! Das sind arme Menschen die unsere Hilfe brauchen um auf den rechten Weg zurückzukehren. Keiner von uns weiß was diese armen Menschen alles durchgemacht haben.... Wir alle sind Schuld daran... der Staat hat versagt...... Jetzt haben wir die Möglichkeit alles richtig zu machen.... Ich sage: Deutschland rette die Welt... Deutschland komme deinen Verpflichtungen nach..... Einer muß es tun, denn sogar die Schweden werden jetzt böse!!
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  • R. D.
    Das sind Kriminelle, keine Opfer. Vermögen sicherstellen und abschieben.
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  • R. A.
    Wir alle. Nennt sich Prozesskostenhilfe
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  • C. H.
    Stimmt so nicht ganz. Die Kostensätze sind für diese Staranwälte zu gering.
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  • R. A.
    Naja, den Aufpreis zahlt dann der Clan, wer sonst. Aber die kennen alle Tricks und der doofe Deutsche Michel lässt sich weiter ausnehmen.
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  • S. K.
    In einem Strafverfahren gibts keine Prozesskostenhilfe, allenfalls Pflichtverteidigung, da ist "Armut" nicht Bedingung....Aber hoffentlich lassen sich StA und Gericht nicht täuschen (oder treffender: vera...) und die 5 werden trotz ihrer 10 Anwälte ordentlich verknackt!
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  • C. H.
    Sehr traurig unsere Justiz, bei so armen Menschen , mit so prominenter Anwaltschaft aufzutreten , ohne Verdacht zu schöpfen, grenzt für mich an Vorsatz. Der Staat ist nicht fähig, Recht und Ordnung durchzusetzen. Kein Wunder wenn AFD und andere nicht wählbare Parteien so viel Zulauf haben. Wacht endlich auf.
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  • H. B.
    Noch ist die Schuld der Angeklagten nicht bewiesen.
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  • S. C.
    Der Staat läßt sich von diesen Typen nach Strich und Faden verar.......

    Am Ende gibt`s 1 - 1,5 Jahre Haft, davon ein Großteil zur Bewährung und vom Rest vorzeitige Entlassung......
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  • R. U.
    Das Posting verstößt gegen unsere Netiquette und wurde daher gesperrt.
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  • R. R.
    Unglaublich was das für Schauspiel ist
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  • Veraltete Benutzerkennung
    Wer zahlt eigentlich die Armada an Rechtsverdrehern?
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