Dass die fünf Wirtschaftsweisen, der Sachverständigenrat der Bundesregierung, am Donnerstag in der Würzburger Uni tagte, ist kein Zufall: Es war die letzte Sitzung mit dem Würzburger Volkswirtschaftsprofessor Peter Bofinger (64). Er scheidet Ende Februar nach drei Amtsperioden und 15 Jahren als dienstältestes Mitglied aus dem Gremium aus. Ein Gespräch über Wirtschaftsweisheiten, Politik und Persönliches.
Peter Bofinger: Ich bin ja weiter als Professor an der Uni tätig und will mich verstärkt der China-Forschung und dem Wachstum dort widmen. Die deutsche Wirtschaftswissenschaft beschäftigt sich noch erstaunlich wenig mit China.
Bofinger: Pforzheim ist ein Beispiel dafür, dass der Strukturwandel nicht immer gelingt. Die Stadt hat den Strukturwandel von der Schmuckindustrie zu neuen Industrien und Dienstleistungen nicht wirklich geschafft. Da ist die Regionalpolitik gefordert. Und es ist zu überlegen, ob man solchen Städten nicht Schulden erlassen müsste, um eine Abwärtsspirale wegen ungünstiger Finanzlage und immer geringerer Standortattraktivität zu stoppen.
Bofinger: Bei allen Problemen hat Deutschland den Strukturwandel mit Globalisierung und Digitalisierung bisher sehr gut geschafft, mit einer insgesamt sehr guten Arbeitsmarktentwicklung. Darum werden wir weltweit beneidet. Die Globalisierung hat uns nicht Wohlstand gekostet, sondern gebracht. Allerdings ist er nicht bei allen in gleicher Weise angekommen. Für Bezieher niedriger Einkommen hat sich die wirtschaftliche Lage kaum verbessert.
Bofinger: Wir haben so große ungenutzte Finanzspielräume wie kein anderes Land! Wir sollten dazu übergehen, die öffentliche Verschuldung nicht in Euro, sondern im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung konstant zu halten. Dann hätten wir jedes Jahr 60 Milliarden Euro mehr zum Investieren – in Bildung, Infrastruktur, Bahn oder Umwelt.
Bofinger: Weil die schwarze Null in Politik und Öffentlichkeit sehr ideologisch gesehen wird. Das hat sich festgesetzt. Wenn man in 20 bis 30 Jahren auf unsere Zeit zurückschaut, wird man fragen: Wie konnten die Briten so bescheuert sein, den Brexit zu machen. Und warum haben wir in Deutschland an einer reinen Ideologie festgehalten, die uns so viele Potenziale genommen hat, unser Land noch viel stärker zu machen. Es gibt keinerlei ökonomische Rechtfertigung für diese schwarze Null.
Bofinger: Eher weniger. Die Preise haben sich auch recht moderat entwickelt… Und Aufregen liegt nicht gerade in meinem Gemüt.
Bofinger: Es ist ja ein Unterschied, ob man als Staat, Unternehmer oder als Professor agiert. Da ist es besser, vorsichtig zu sein und nicht in großem Stile Kredite aufzunehmen.
Bofinger: Ja. Aber Ihre Frage verdeutlicht den Denkfehler, den die Leute machen: Sie übertragen das Denken eines Privathaushalts auf den Staat. Eine Privatperson kann nur in einer bestimmten Lebensphase ein hohes Einkommen erzielen und muss damit auch für das Alter sorgen. Staaten dagegen leben ewig und sollten wie vernünftige Unternehmen handeln: Wenn die Investition eine Rendite bringt, die höher ist als die Verzinsung, sollte man in die Verschuldung gehen.
Bofinger: Ja, die Leute fragen manchmal. Was ich grundsätzlich nicht mache: spezielle Aktientipps zu geben. Meine Prognosen sind da zu schlecht.
Bofinger: Das klingt zu planwirtschaftlich. Die Frage ist doch: Wie schaffen wir es, dass die großen Technologiesprünge auch weiterhin bei uns in Deutschland stattfinden? Die Batteriezellen kommen zum größten Teil aus China. Das haben wir schon fast verpennt.
Bofinger: Natürlich. Schauen Sie nach China: Dort hat der Staat so viel Geld in die Entwicklung der Solarenergie gepumpt, dass die Chinesen dominant wurden und unsere Solarindustrie kaputt gemacht haben.
Bofinger: In der alten Koalition habe ich mit Herrn Gabriel häufiger telefoniert und mich mit ihm getroffen. Mit dem neuen Wirtschaftsminister hat das noch nicht stattgefunden.
Bofinger: Nein. Mir wäre es lieber gewesen, mit vier ähnlich denkenden Ökonomen die Zeit zu verbringen. Da hätte man konstruktivere Lösungen erarbeiten und mehr bewirken können.
Bofinger: Ich war relativ unpolitisch. Aber es ging mir nie ums pure Dagegen- oder Anderssein, sondern um die eigene Überzeugung. Ich freue mich heute, wenn die Bundesregierung die Industriepolitik entdeckt und die SPD Hartz VI als falschen Weg erkennt.
Bofinger: Wir haben 2011 einstimmig ein Gutachten mit Lösungen zur europäischen Schuldenkrise gemacht, das war eines der besten und wurde weltweit zitiert. Stolz ist das falsche Wort. Aber ich bin doch zufrieden, wenn meine Einschätzungen durch die spätere Entwicklung bestätigt werden.
Bofinger: Klar beim Mindestlohn, der verteufelt wurde – den ich aber für richtig gehalten habe. Ähnlich bei der Bewertung der EZB-Politik, die ich im Gegensatz zu meinen Kollegen immer positiv gesehen habe.
Bofinger: Ich finde nur, man sollte behutsam vorgehen. Der Mindestlohn sollte angehoben werden – aber zehn Euro würden als erster Schritt reichen.
Bofinger: Lob bekommt man nicht wirklich. Aber als Herr Draghi als EZB-Präsident zu meinem Ausscheiden gesagt hat: „This will be a desaster“ – das war schon nett…
Bofinger: Mit keinem, das hat sich nicht ergeben.
Bofinger: Das nehme ich nicht so wahr. Ich habe mich in all den 15 Jahren auch nie als Gewerkschaftsvertreter gefühlt. Ebenso gab es nie Versuche der Einflussnahme von Gewerkschaften auf mich. Ein einziges Mal haben sie mich explizit kritisiert – ausgerechnet, als ich 2013 eine pauschale Lohnerhöhung gefordert habe.
Bofinger: Die Entwicklung vor der Finanzkrise 2008 habe ich nicht richtig wahrgenommen. Es hatte sich eine Riesenwelle aufgebaut, die habe ich nicht gesehen – wie die meisten anderen Wirtschaftswissenschaftler auch.
Bofinger: Rückblickend muss ich sagen, dass ich gleich nach der Ernennung 2004 etwas forsch war. Ich hatte schon vorher über die Medien Vorschläge gemacht – das kam nicht so gut an und die Stimmung war im ersten Jahr relativ schlecht. Aber man hat sich die Hörner abgestoßen…
Bofinger: Wir wandern gern am Wochenende in der Rhön, auch längere Strecken.
Bofinger: Meistens…
Bofinger: Eher Letzteres. Aber wichtig ist auch, sich über Dinge nicht viel zu ärgern.
Bofinger: Es geht nicht um die Provokation. Aber es ist doch der Job von Wissenschaftlern, bestimmte Sichtweisen zu hinterfragen und nicht alles zu glauben. Hartz IV ist so ein Beispiel. Finden alle großartig, aber dann schauen Sie sich mal die Fakten an…
Bofinger: Überhaupt nicht. Die Agenda wird völlig überschätzt. Wenn man die alten Bundesländer 2001 und 2016 vergleicht, dann haben wir gerade mal 90 000 Langzeitarbeitslose weniger. Und es gab 2016 sogar mehr Arbeitslose mit einem Leistungsanspruch als 2001. Ostdeutschland muss man aufgrund der Historie separat betrachten. Warum ist denn die deutsche Wirtschaft in den letzten zehn Jahren super gelaufen? Doch nicht, weil man Druck auf ältere, qualifizierte Arbeitslose gemacht hat, sondern weil wir eine fantastische Unternehmenslandschaft und engagierte Arbeitnehmer haben – auch in Mainfranken.
Bofinger: Nein. Eigentlich habe ich mir meinen Beruf früh so gewünscht, wie er gekommen ist. Dafür bin ich auch dankbar. Und mit dem Sachverständigenrat hatte ich einfach auch Glück.
Also mir ist dieser Prof. Bofinger öfter mit seinem Minderheitsvotum im Kreis der Wirtschaftsweisen positiv aufgefallen.
Aber Sie sind sicher der bessere Volkswirt.😁