Fast 60 Jahre ist es her, dass der damalige Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard (CDU) sein Buch „Wohlstand für Alle“ über seine Vorstellungen der sozialen Marktwirtschaft geschrieben hat. Glaubt man Professor Peter Bofinger (Bild), dann haben Erhards Thesen bis heute nichts an Aktualität verloren: „Ich glaube, dass man als Demokratie nur mit Wohlstand für Alle erfolgreich ist“, sagte der Volkswirtschaftler der Uni Würzburg beim Stadtparteitag der Würzburg-SPD.
Seit 2004 gehört Bofinger dem „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ an, besser bekannt als die „fünf Wirtschaftsweisen“. Bei den Sozialdemokraten sprach er über Verteilungsgerechtigkeit: „Ein Thema, das den Menschen sehr stark unter den Nägeln brennt.“ In den vergangenen fünfzehn bis zwanzig Jahren sei der gesamtwirtschaftliche Kuchen in Deutschland um gut ein Fünftel gewachsen, bei den Menschen sei davon aber nicht viel angekommen.
Vor allem die unteren Einkommen haben sich laut Bofinger seit 1995 kaum verändert. Gleichzeitig haben sich die Bezüge der Vorstände von Unternehmen mindestens verdoppelt, bei im DAX notierten Aktiengesellschaften sogar vervierfacht.
„Dass der Anteil der Arbeitnehmer am Kuchen zurückgeht, ist ein weltweites Phänomen“, betonte Bofinger. Noch deutlicher werden die Unterschiede beim Vermögen: „Die untere Hälfte der deutschen Bevölkerung hat einen Anteil am Volksvermögen von Null.“ Von der Globalisierung profitieren lauf Bofinger nur die Unternehmen und hoch qualifizierte Arbeitskräfte. Eine vernünftige Antwort des Staats wäre daher, dass reiche Menschen etwas mehr als bisher abgeben, damit die durch die Globalisierung benachteiligten Einkommensschichten begünstigt werden. An Stelle einer fairen Verteilung seien aber die Spitzensteuersätze abgesenkt worden – unter der rot-grünen Bundesregierung.
Diese Ungleichverteilung sei wie „ein Krebsgeschwür für die Wirtschaft und das politische System. Wenn die Leute sich vom Staat zurückgelassen fühlen muss man sich nicht wundern, wenn das Vertrauen in die Parteien und in die Politik verloren geht“, kritisierte Bofinger.
Außerdem habe die Wirtschaft durch die Ungleichverteilung ein Nachfrageproblem, das nicht immer durch Export gelöst werden könne, erläuterte der Wirtschaftsweise. Die breite Masse bekomme nicht mehr die Einkommen, um ausreichend Güter nachzufragen. „Die Kaufkraft fehlt“, sagte Bofinger und sprach sich dafür aus, in Deutschland die Löhne ein paar Jahre lang stärker steigen zu lassen als in den letzten Jahren. Leider fehle selbst den Gewerkschaften dafür der Mumm. „Auch führende SPD-Politiker beschäftigen sich lieber mit TTIP statt mit solchen Themen“, sagte Bofinger. Nur mit „Wohlstand für Alle“ könne auch die Demokratie erfolgreich sein: „Je weniger wir das schaffen desto schwieriger wird es, unser demokratisches System aufrecht zu erhalten.“
„Ein klares Vermittlungsproblem“
Erste Auswirkungen hat die SPD bei den jüngsten Landtagswahlen zu spüren bekommen, als trotz Einführung des Mindestlohns, den sich die Sozialdemokraten auf die Fahnen schreiben, schlechte Ergebnisse eingefahren wurden. „Dabei profitieren vier Millionen Menschen vom Mindestlohn. Wir haben ein klares Vermittlungsproblem“, sagte SPD-Landtagsabgeordneter Georg Rosenthal.
Auch der Würzburger SPD-Vorsitzende Muchtar Al Ghusain bezeichnete die Verteilungsgerechtigkeit als zentrales Thema der SPD-Politik, mit dem die Partei die Wähler aber derzeit nicht erreicht: Frühere SPD-Wähler, so Al Ghusain, „bleiben zuhause oder wählen mit der AfD eine Partei, die in ihrem Programmentwurf frauenfeindliche und ausländerfeindliche Ziele verfolgt, die den Umweltschutz ins Lächerliche zieht, die die Atomenergie neu beleben möchte und die die soziale Ungleichheit durch Leistungskürzungen weiter verschärfen möchte“. Al Ghusain: „Für diese Partei schäme ich mich.“ Foto: Daniel Biscan