Es soll sogar Schüler geben, die den Schwänzeltanz selbst tanzen müssen. Wie findet die Biene zur Blume? Und wie wird von der Blume im Bienenstock „erzählt“? Wohl kaum jemand, dem im Laufe seines Schullebens nicht der Schwänzeltanz, die Tanzsprache der Bienen, begegnet. Wo immer es im Unterricht um Verständigung und Kommunikation in der Tierwelt geht: Die Bienen und ihr Geschwänzel kommen vor.
Weit mehr als tausend wissenschaftliche Publikationen über die Tanzsprache sind in den vergangenen Jahrzehnten erschienen, der Schwänzeltanz ist Lernstoff in ungezählten Schul- und Biologiebüchern weltweit.
Lehrbuchmeinung Schwänzeltanz: Alle Infos über Futterquelle
Die Kurzform geht so: Die Tanzsprache ist wesentliche Kommunikationsform der Honigbienen. Im Bienentanz geben erfahrene Bienen den unerfahrenen Bienen im Bienenstock die Entfernung und Distanz einer Futterquelle an. Anders gesagt: Durch das Tanzen vermitteln Bienen ihren Artgenossen Informationen über die Position einer lohnenswerten Sammelstelle. „So habe ich es auch gelernt und so habe ich es lange, lange meinen Studenten auch vermittelt“, sagt Jürgen Tautz mit kaum hörbarem Seufzen in der Stimme.
Tautz hat als Professor am Biozentrum der Universität Würzburg geforscht und gelehrt, er ist Vorsitzender des Vereins Bienenforschung Würzburg, hat das Projekt „HoneyBee online Studies“, kurz Hobos, und dessen Nachfolgeprojekt „we4bee“ erfunden und entwickelt und etliche Bücher über Honigbienen für die breite Öffentlichkeit geschrieben. Als Bestsellerautor und unermüdlicher Wissenschaftsvermittler ist der „Bienenprofessor“ aus Würzburg bundesweit bekannt.
Zweifel nach 25 Jahren Forschung
Und jetzt sitzt der 71-jährige Soziobiologe, Verhaltensforscher und Imker da und sagt, eben leicht seufzend: „Es ist hoch kompliziert!“ Okay. Es klingt ja so schön, so einfach. Eine Biene entdeckt einen Kirschbaum voller Blüten, fliegt zurück in ihren Stock, tanzt die Koordinaten des Ziels und teilt so den Kolleginnen durch Zittern und Ruckeln ihres ganzen Insektenleibes mit, wo die leckere Speise zu finden ist. Aber, sagt Tautz, nach Jahrzehnten Bienenbeobachtung und Datenauswertung: „Die Funktion und die Bedeutung des Schwänzeltanzes werden bis heute überschätzt.“
Bekannteste Kommunikationsform im Tierreich
Das Thema hat ihn umgetrieben, jahrelang. Der Schwänzeltanz ist berühmt. Zoologe Karl von Frisch erhielt für die Erforschung der Sinneswahrnehmungen der Honigbienen und die Art und Weise ihrer Verständigung untereinander 1973 den Nobelpreis für Physiologie und Medizin. Der Bienentanz wurde die wohl bekannteste Kommunikationsform im gesamten Tierreich.
Was der Verhaltensforscher im Bienenstock beobachtet hatte, das beeindruckte und faszinierte. Auch Jürgen Tautz. Eines der ersten Bücher, die er sich als kleiner Junge vom Taschengeld gekauft habe, sei Karl von Frischs „Aus dem Leben der Bienen“ gewesen. Aber erst als er Jahrzehnte später – als Wissenschaftler gerade mit der Erforschung von Krebstieren beschäftigt – durch Zufall ein Bienenvolk geschenkt bekam, begann er sich selbst mit den staatenbildenden kleinen Pollensammlerinnen zu befassen.
Seit 25 Jahren forscht der Biologe nun über Bienen. Er hat Dutzende Studien durchgeführt, Hunderte Experimente in und um den Bienenstock mit seinen Mitarbeitern am Würzburger Biozentrum gemacht. Und sagt: „Ich habe an meinen eigenen Daten gezweifelt.“ Er sei überzeugt gewesen von dem Bild, dass Honigbienen im Tanz Richtung und Entfernung zu einem Ziel angeben und dass mit dieser Information die rekrutierten Bienen auch dort ankommen. In seinen Experimenten wollte er altbekannte Experimente nachstellen und sich so davon überzeugen, wie die Insekten diese Informationen ausrechnen und nutzen. „Aber da gab es viele Ungereimtheiten.“ Und er fragte sich immer häufiger: „Was habe ich übersehen?“
Die Zweifel wuchsen. So las sich der Würzburger Bienenforscher durch alles, was in den vergangenen 100 Jahren, seit der Entdeckung Karl von Frischs, über die Kommunikation von Bienen wissenschaftlich geschrieben wurde. Irgendwann sei ihm aufgefallen, dass verschiedene Deutungsmöglichkeiten nicht gleichwertig behandelt wurden. Dass viele Ansätze nicht durch Experimente weiterverfolgt wurden, dass vielmehr eine Deutung bevorzugt wurde. Für die aber, sagt Tautz, wurden immer neue, weitere – „und auch unbewiesene“ – Hilfshypothesen gebraucht.
Was aber, wenn man die vorhandene Datenfülle ohne Hilfshypothesen betrachten würde? Einfach aus einem anderen Blickwinkel? Quasi nicht aus dem Bienenstock, sondern unvoreingenommen von außen? „Auch bei den Bienen gilt, was wir als soziale Wesen kennen: Das Geheimnis der Perfektion in der Zusammenarbeit der Bienen liegt in der Kommunikation – dem Austausch und dem Einsatz von Information“, sagt der Biologe. Und wenn man Karl von Frischs Buch „Tanzsprache und Orientierung der Bienen“ genau lese, dann falle auf, dass die Aussagen und Schlussfolgerungen des Nobelpreisträgers „sehr vorsichtig und abgewogen sind“.
Populär wurde in der Wissenschaft und einer breiten Öffentlichkeit aber eben diese formelhafte, anschauliche und attraktive Vorstellung: Mit dem Tanz geben die Bienen die Koordinaten eines Ortes wieder, wonach andere Bienen diesen Ort aufsuchen können. „Diese Sicht taugt als stark vereinfachtes Modell, wird aber der Komplexität der Bienenkommunikation nicht gerecht“, sagt Tautz. Dumm nur, dass nicht so schön einfach und populär klingt, was hinter der getanzten Information wirklich stecke.
Klassische Formulierung des Schwänzeltanzes: "Nur halbwahr"
Trocken und nüchtern lasse sich über den Bienentanz nur so viel sagen: „Er reduziert in einem ersten Schritt die Unsicherheit darüber, wo im Feld die unerfahrenen Bienen mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Anschlussreize treffen können.“ Erst diese „Anschlussreize“, sagt Tautz, würden dann den Neulingen „die eigentlich zielführende Information“ bieten. Und wesentliche Anschlussreize gehen von den erfahrenen Bienen aus, die sich auch draußen im Feld sozial verhalten. Dieser Aspekt ist wesentlich für einen neuen Blick auf die Rekrutierung bei Honigbienen. Die klassische Formulierung und gestraffte Aussage: „Halbwahr“, sagt Tautz. In all den Schulbüchern würde schlicht nur die halbe Wahrheit vermittelt.
„Ist es spitzfindig, in der Formulierung dessen, was der Bienentanz leistet, genau zu sein?“, fragte sich der Biologe. Und jetzt fragt Tautz die Leser. „Welche Folgen hat es, nicht genau zu sein? Wie ist die halbwahre Aussage zustande gekommen? Und wieso hält sie sich so hartnäckig?“ Antworten darauf will der 71-Jährige in dem Buch geben, das in dieser Woche im Knesebeck Verlag erschienen ist.
Phänomen Honigbiene. Das Einmaleins der Honigbiene. Die Wunderwelt der Bienen. Das Genie der Honigbienen. Honigbienen – geheimnisvolle Waldbewohner. Der unermüdliche Wissenschaftsvermittler hat mit Kollegen, Imkern, Naturfotografen in den vergangenen Jahren so viele Bände herausgebracht, dass noch ein Buch eben wie „noch ein Buch“ scheint.
Aber kein anderes lag dem Wissenschaftler selbst so am Herzen. Kein anderes trieb ihn so um und fiel ihm zugleich so schwer. Wissenschaftlerstreits sind um den Schwänzeltanz entbrannt. Kaum ein Thema in der Biologie wird innerhalb der Forschung aggressiver und emotionaler diskutiert. „Überschätzt wird der Informationsgehalt im Schwänzeltanz zum einen in seiner Bedeutung für das Bienenvolk insgesamt“, ist Tautz' Fazit. Auch der Urvater der Bienenforschung, Karl von Frisch habe, hat das in seinen allerersten Forschungen darüber bereits gezeigt. „Und überschätzt wird zum anderen der Tanz in seinem Informationsgehalt für die Bienen, die einen Tanz verfolgen und daraus Hinweise auf den beworbenen Ort gewinnen sollen.“
Welche Bedeutung hat also der Tanz, das Geschwänzel im Bienenstock? „Alle vorliegenden Daten, auch solche, die von gegensätzlichen und scheinbar unvereinbaren Interpretationen beansprucht werden, lassen sich problemlos zu einem schlüssigen Gebäude zusammensetzen“, sagt der Soziobiologe. „Denn betrachtet man die Rekrutierung von Bienen-Neulingen zu einem Ziel als eine dreistufige Navigation, betrifft der Bienentanz lediglich den ersten Schritt.“
Vom Bienenstock zur Blüte: Schwänzeltanz, Suchphase, Locken und Leiten
Es komme schlichtweg noch mehr hinzu, um zu einem Ziel zu gelangen. „Der Tanz hilft den Neulingen, ein Gebiet aufzusuchen, in dem sich in einer zweiten Stufe eine Suchphase anschließt.“ Aus dieser Suchphase im offenen Feld ergebe sich eine dritte, zielführende Stufe hin zur Futterquelle. Der Blütenduft kommt da beispielsweise ins Spiel. Vor allem aber die Kommunikation zwischen den Bienen selbst.
„Wissenschaftlich noch weitgehend unbekanntes Gebiet, vergleicht man es mit der Fülle an Kenntnissen, die wir über das Tanzverhalten im Bienenstock haben“, sagt Tautz. Allerdings sei Karl von Frisch in seiner allerersten Arbeit über das Rekrutierungsverhalten bei Honigbienen eigentlich schon auf der richtigen Spur gewesen: „Die Honigbienen sind auch draußen im Feld soziale Insekten, die miteinander kommunizieren. Er hatte entdeckt, dass die gleichen Bienen, die im Stock tanzen, im Feld die Kommunikation fortsetzen und so die Neulinge zu den beworbenen Zielen bringen.“
Warum diese Entdeckung nicht weiter beachtet wurde? Auch für Tautz ein Rätsel. Aber er ist nach der Analyse der Forschungen der letzten 100 Jahre sicher: Auch außerhalb des Stockes sind Bienen soziale Insekten, die stets untereinander Verbindung halten und miteinander kommunizieren.
Neue Möglichkeiten durch chemische Analyse und Radarverfolgung
Der Schwänzeltanz gebe den unerfahrenen Sammlerinnen ein grobes Zielgebiet an. Dort angekommen, würden die Düfte der Blumen und erfahrene Bienen die Führung der Neulinge übernehmen. Schon rein methodisch hätten bislang schlichtweg viele Fragen zwischen Bienenstock und Blüte nicht beantwortet werden können, sagt der Forscher. Und setzt auf die Zukunft: Die Radarverfolgung fliegender Insekten werde es möglich machen zu sehen, was sich zwischen den einzelnen Bienen auch draußen im Feld abspielt. Und durch neue Analysemethoden könnten die chemischen Kommunikationssignale der Bienen draußen im Feld räumlich und zeitlich erfasst werden.
„Die Sprache der Bienen ist ein komplexes Feld“, sagt Tautz. „Ich denke, wir dürfen uns auf viele spannende Erkenntnisse in den kommenden Jahrzehnten freuen.“ Vermutlich wird dann jemand die Schulbücher umschreiben und ein allzu einfaches Modell durch ein neues Bild ersetzen müssen.
Buchtipp: Jürgen Tautz, "Die Sprache der Bienen", Knesebeck Verlag München, 256 Seiten mit 20 farbigen Abbildungen und 30 Illustrationen, 22 Euro. Weitere Informationen: www.hobos.de
Ach ja: sehr guter Artikel!