Es geht um einen "komplett neuen Blick" auf die Honigbiene, sagt einer der bekanntesten und populärsten Bienenforscher im Land. Zwei Jahre lang hat Verhaltensbiologe Jürgen Tautz, emeritierter Professor am Biozentrum der Uni Würzburg, mit dem Naturfotografen Ingo Arndt an einer Dokumentation über wilde Honigbienen gearbeitet. "Dabei fiel mir wie Schuppen von den Augen, was ich auch in meiner eigenen Forschung anders gemacht hätte, wenn ich schon früher verstanden hätte, dass die Honigbiene ein geheimnisvoller Waldbewohner ist", sagt Tautz.
Wie leben wilde Bienenvölker? Was macht sie - ohne Imker - so erfolgreich? Ein Gespräch über Irrtümer und neue Erkenntnisse.
Prof. Jürgen Tautz: Unsere Honigbienen sind ursprünglich Waldbewohner, aber im Bewusstsein der meisten Menschen sind es Nutztiere, die beim Imker in viereckigen Kästen wohnen. Die Honigbienen brauchen den Imker nicht, sie haben in vielen tausend Jahren unter der Obhut des Menschen nicht verlernt, wie man ohne Imker klar kommt. Ein „nutzbares Haustier“ ist die Honigbiene seit 1928, als der Deutsche Reichstag die Honigbiene unter dem Viehseuchengesetz als nutzbares Haustier erfasste. Das war eine Weichenstellung, die für die Honigbiene in der Obhut des Menschen klare Regeln geschaffen hat, aber die Biene nicht mehr als Wildtier verstand.
Tautz: Das gebremste Interesse der Wissenschaft an unserer Honigbiene als Wildtier hat viele Ursachen. Bienen unter imkerlichen Haltungsbedingungen sind vergleichsweise einfach zu erforschen. Im Wald an Nestern in Bäumen in mehreren Metern Höhe lassen sie sich nicht so einfach studieren. Wildlebende Honigbienen waren und sind auch nicht wirklich geschützt oder gar gefördert, sie galten als möglicher Quelle von Krankheiten, die dann den be-imkerten Bienen Probleme machen.
Tautz: Ja, unsere Honigbiene ist ein Waldbewohner. Sie benötigt Baumhöhlen zur Errichtung ihrer Kolonien, die nur so die Winter überstehen können. Die Honigbiene ist ein essentieller Bestandteil des Ökosystem Wald. Dabei spreche ich nicht von Baumplantagen, sondern von gesunden Mischwäldern mit einem hohen Artenreichtum, zu dem die Honigbienen vielfältige Beiträge leisten.
Tautz: Es erstaunt wie viele Meldungen man zu wildlebenden Honigbienen bekommt, wenn man den Menschen erst einmal dafür die Augen geöffnet hat. Zwei Doktoranden an der Uni Würzburg, Benjamin Rutschmann und Patrick Kohl, erforschen wildlebende Honigbienenkolonien vor allem im Nationalpark Hainich in Thüringen, aber auch auf der Schwäbischen Alb, im Raum Coburg, im Steigerwald und im Bayerischen Wald.
Tautz: Es wird beides geben. Die spannende Forschungsfrage, die die beiden Würzburger Biologen untersuchen, ist, ob die Populationen in den Schutzgebieten im Wald sich selbst erhalten können.
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Tautz: Für meine eigenen Arbeiten leider erst sehr spät, ja. Ich war in der Tradition der Bienenforschung verhaftet, in der man Bienen in Beobachtungsstöcken hält, wo man ihnen durch eine Glasscheibe zusehen kann. Mit diesem Ansatz, der nun etwa 300 Jahre alt ist, haben wir sehr viel gelernt, aber eben nichts darüber, wie es in einem hohlen Baum zugeht. Das hätte dort zwar genau so sein können, aber auch komplett anders. Mein Interesse an wildlebenden Honigbienen wurde durch Karin Sternberg aus Südafrika geweckt, die wildlebende Honigbienen in Fynbos südlich von Kapstadt erforscht. Sie hatte mich für eine Frage kontaktiert. Das hat meine Neugier geweckt, wie es eigentlich bei uns mit diesen Bienen ausschaut.
Tautz: Die größte Überraschung war für mich die dreidimensionale Nutzung des Raumes in einer Baumhöhle. Als Skelett der Kolonie werden die Waben angelegt, diese aber von einem hoch dynamischen Netz aus lebenden ineinander verhakten Bienen umgeben.
Tautz: Das betrifft unsere Forschung zu Orientierung, Navigation und Kommunikation der Bienen außerhalb ihres Nestes. Wenn wir von „Freiland-Forschung“ sprechen, hat das in diesem Zusammenhang eine sogar wortwörtlich zu nehmende Bedeutung. Wir - da muss ich mich auch an die eigene Nase fassen - legen Versuche so an, dass der Forscher den Überblick behalten kann: auf möglichst freiem Feld ohne große Hindernisse und Sicht-Barrieren. Dort sind auf jeden Fall wertvolle Erkenntnisse gewonnen worden, die für diese Umständen gelten. Aber wie ist es im Wald, „den man vor lauter Bäumen nicht sieht“? Da werden andere Regeln gelten, über die wir bisher so gut wie nichts wissen. Aber dieses Unbekannte ist genau die Welt, denen die Bienen in ihrer natürlichen Umgebung unterworfen sind.
Tautz: Nichts. Es gibt immer wieder Zuchtbemühungen mit dem Ziel, das Erbgut der Honigbienen so zu verändern, dass es unseren Vorstellungen entspricht. Das geht so lange gut, so lange diese so veränderten Bienen „unter sich“ bleiben. Die Paarungsbiologie frei fliegender Honigbienen sorgt rasch für die Rückkehr zum alten Zustand.
Tautz: Alle Bienen können alles. Die Bienen haben auch nach mehr als 5000 Jahren der Imkerei oder noch mehr nichts verlernt.
Tautz: Ja. Sie nehmen ein Bienenvolk vom Imker und bringen es in den Wald. Steht diesem Volk dann eine geeignete Baumhöhle zur Verfügung, lebt es wunderbar. Natürlich kann es auch sterben. Das ist sogar wichtig und notwendig, um für ein neues Volk Raum frei zu geben.
Tautz: Im Deutschland werden etwa eine Million Bienenvölker von Imkern gehalten, den Bestand an wildlebenden Bienenvölkern kann man nur schätzten. Zieht man die Anzahl natürlicher Nisthöhlen in Betracht, könnten hier etwa 80.000 Bienenvölker wild leben. Das sind europaweit nur zwei Prozent aller Bienenvölker. Das scheint auf den ersten Blick eine vernachlässigbare Anzahl zu sein. Dabei unterschätzt man aber zwei absolut relevante Aspekte: Eine solche Population bietet eine ausreichende Basis für die Arbeit der natürlichen Selektion - und die Bestäubungsleistung ist in Ergänzung zu allen anderen Bestäuberinsekten hinreichend angesichts der weit verbreiteten artenarmen Wirtschaftswälder.
Tautz: Wildlebende Honigbienen sind essentiell für das Ökosystem Wald, wenn es sich um einen gesunden Mischwald handelt. Aber auch für den Imker können diese Bienen von großer Bedeutung sein oder werden. Anders als an be-imkerten Bienenvölkern kann an wild lebenden Honigbienen die natürliche Selektion angreifen und so der einzige Prozess ablaufen, der das Erbgut der Bienen auch an sich verändernde Umweltbedingungen anpassen kann. Solche Entwicklungen sollten in geeigneten Habitaten zugelassen werden, um parallel zur üblichen Imkerei ein Reservoir an Bienenerbgut verfügbar zu haben.
Tautz: Ja, der Imker, der an einem hohen Ertrag an Honig interessiert ist, vergrößert die Bienenwohnung durch zusätzliches Aufsetzen von Kästen. Bienen bevorzugen in freier Natur Hohlräume mit einem Volumen von um die 20 bis 40 Liter, beim Imker werden 70 Liter und mehr angeboten und dann von sich entsprechend ausdehnenden Völkern auch ausgefüllt.
Tautz: Für die praktische Imkerei ergeben sich diese Überlegungen: Imker werden Honigbienen zur Honiggewinnung NIE so halten können und sollen, genau eins zu eins abgebildet, wie es deren Leben im Wald entspricht. Aber wir liefern Argumente für eine Art der Imkerei, in der zumindest für das Brutnest die Waben wild gebaut werden dürfen. Dieser „Wildbau“ sollte sich mit Blick auf die Honiggewinnung auf das Brutnest beschränken und dafür eine Zarge bereitgestellt werden, die nach unter viel Raum lässt, um den Bienen die Entfaltung ihrer natürlichen Verhaltensweisen zu geben. Ein aufgesetzter Honigraum kann dann dem üblichen Standard entsprechen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das Raumklima im Bienennest. Der Baum isoliert so wunderbar, dass sie Bienen selbst mit einem minimalen Energieaufwand ihre Brutwaben auf etwa 35 Grad Celsius aufheizen können. Die dafür freigewordene Arbeitszeit stecken sie dann in andere wichtige Tätigkeiten wie das gegenseitige Putzen, eine sehr wichtige „Waffe“ im Kampf den die parasitische Varroa-Milbe.
Tautz: Die Bienenkönigin organisiert den Staat und fällt wichtige Entscheidungen für die Kolonie. In Wahrheit bestimmt das Volk als Ganzes was geschieht, die Königin ist der „Eierlegende Sklave“, der der „Weisheit des Volkes“ folgen muss.
Tautz: Es laufen bedenkliche Entwicklungen, die uns alle beunruhigen sollten. Die Natur braucht uns nicht, aber wir brauchen die Natur. Die Honigbienen sind nicht nur essentiell, sogar alternativlos im Netzwerk der Natur, sie sind auch wunderbare Botschafter zur Vermittlung einfacher Wahrheiten. Sehr viel schwerer als Wahrheiten nachvollziehbar zu vermitteln ist es daraus Schlüsse für das eigene Verhalten zu ziehen. Der Zwiespalt, der sich beobachten lässt, äußert sich in täglicher Inkonsequenz. Man sorgt sich um unser Klima und fährt einen SUV. Man klagt die Landwirtschaft als Naturzerstörer an, kauft aber möglichst preiswerte Lebensmittel, was den Landwirt dazu zwingt, so vorzugehen wie es der Fall ist, um uns das zu liefern, was wir verlangen. All das passt nicht zusammen. Solange wir mit uns nicht ehrlich sind, sollten wir uns weniger Sorgen um die Zukunft der Bienen, als um unsere eigene Zukunft machen.
Tautz: Die Blütenpflanzen des Waldes und der Honigtau der Blattläuse ist eine kaum zu überbietende Grundlage für einen wunderbaren Honig. Das wussten schon die alten Zeidler des Mittelalters, die gerade in Franken (im Nürnberger Reichswald und andernorts) den Honig von wildlebenden Bienenvölkern geerntet haben.
„Es summt in unseren Wäldern, weitgehend unbemerkt.“ was für eine wunderbare Nachricht, was für ein wunderbarer Beitrag!
Die schönste Meldung ist jedoch diese, dass auch im Steigerwald Wildbienen zu finden sind.
Offensichtlich haben die Steigerwälder und die Förster doch sehr viel richtig gemacht.
Danke!
Gruß