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Würzburg
Begegnungen in der Würzburger Bahnhofsmission: Welche Menschen an diesem Zufluchtsort Unterstützung finden
Täglich suchen Menschen mit verschiedenen Hintergründen die Würzburger Bahnhofsmission auf: Welche Geschichten stecken dahinter? Ein Besuch.
Walter Steinbach ist ein bekanntes Gesicht in der Bahnhofsmission. 
Foto: Patty Varasano | Walter Steinbach ist ein bekanntes Gesicht in der Bahnhofsmission. 
Anna Breitling
 |  aktualisiert: 06.04.2025 02:30 Uhr

Draußen ist es kalt und regnerisch, drinnen bereiten Ehrenamtliche die Abendschicht vor. Um 15 Uhr öffnet die Würzburger Bahnhofsmission nach der Mittagspause, und schnell füllt sich der Raum mit Menschen. Einer von ihnen, Walter Steinbach, zieht einen Einkaufstrolley hinter sich her, aus dem er Kleidung zum Verschenken auspackt. "Ich bringe die Sachen meiner Partnerin, sie lebt nicht mehr", sagt er leise. 24 Jahre waren sie zusammen. Seit ihrem Tod kommt er fast jeden zweiten Tag hierher. Früher nicht: "Weil ich mich schämte."

Seit 1898 ist die Bahnhofsmission Würzburg eine offene Hilfestelle. Die Kontaktaufnahme stieg laut Tätigkeitsbericht in den vergangenen Jahren stark an. Im Jahr 2023 haben insgesamt 65.596 Menschen die Bahnhofsmission aufgesucht, vor Corona waren es im Jahr 2019 vergleichsweise mit 45.281 Hilfegesuchen deutlich weniger. In großen Teilen sind es Menschen, die von besonderen sozialen Schwierigkeiten betroffen sind, die die Bahnhofsmission besuchen.

Wer sind die Menschen, die Zuflucht bei der Bahnhofsmission Würzburg suchen?

Das Gefühl der Scham kennt auch ein anderer Besucher. "Ich komme, wenn die Rente nicht reicht. Ich bin kein Trinker", betont er. Viele Menschen suchen hier nicht nur Hilfe, sondern auch ein Stück Gemeinschaft, zeigt sich bei dem Besuch. So wie Anna Hoffarth, die sich mit einer anderen Frau bei einer Tasse Tee wärmt. "Wir sind beide schon in Frauenhäusern untergekommen, jetzt treffen wir uns oft hier. Hier kann ich einfach die Wärme genießen", sagt sie. Die Bahnhofsmission vermittelte ihr einst einen Platz in einer Notunterkunft, bald dürfe sie in eine Wohngemeinschaft der Lebenshilfe ziehen.

Die Bahnhofsmission vermittelte Anna Hoffarth einst einen Platz in einer Notunterkunft.
Foto: Patty Varasano | Die Bahnhofsmission vermittelte Anna Hoffarth einst einen Platz in einer Notunterkunft.

Seit neun Jahren arbeitet Johanna Anken bei der Bahnhofsmission als Sozialarbeiterin. Fast alle Besucherinnen und Besucher kennt sie beim Namen. "Die Unterstützung und Gemeinschaft, die andere in familiären Strukturen erleben, haben unsere Besucher und Besucherinnen oft nicht mehr. Das ist uns vor allem in der Coronapandemie bewusst geworden", sagt sie. Einsamkeit sei einer von vielen Gründen, warum Menschen die Bahnhofsmission aufsuchen. Doch die Probleme seien vielfältig: psychische Belastungen, soziale Schwierigkeiten, finanzielle Not.

Das weiß auch Thomas Schimmer, der als Ehrenamtlicher bei der Bahnhofsmission tätig ist. Er erlebt tagtäglich die unterschiedlichsten Geschichten. "Die Gründe, warum jemand herkommt, sind so vielfältig", sagt er. Vom Pflaster für eine Wunde bis zur Frage: "Ich bin gerade aus dem Gefängnis gekommen, wie geht es weiter?"

Johanna Anken, Sozialarbeiterin in der Würzburger Bahnhofsmission, spricht mit einem Besucher.
Foto: Patty Varasano | Johanna Anken, Sozialarbeiterin in der Würzburger Bahnhofsmission, spricht mit einem Besucher.

Manche brauchen Hilfe beim Verstehen amtlicher Briefe, andere kommen einfach, um nicht allein zu sein. Ein 18-Jähriger mit Sporttasche hofft, hier Arbeit zu finden. "Ich weiß nicht, wo ich sonst hingehen soll", sagt er. "Vielleicht erfahre ich hier über die anderen Leute von einer Möglichkeit."

Die Bahnhofsmission als Schutzraum für Frauen

Eine weitere Spätschicht in der Bahnhofsmission beginnt, über Nacht haben sechs Frauen in der Bahnhofsmission geschlafen. Die vier Betten im Schutzraum reichen oft nicht aus, dann werden Matratzen ausgelegt. Die übernachtenden Frauen kommen aus Gewalt- und Zwangsprostitutionserfahrungen, sind wohnungslose oder geflüchtet, erklärt Anken. 2023 wurde die Notübernachtungsstelle dem Tätigkeitsbericht zufolge 967 Mal benutzt, darunter auch viele Frauen aus häuslichen Gewalterfahrungen, in Begleitung von Kindern.

Svetlana, eine Ukrainerin, kommt regelmäßig zu den Räumlichkeiten am Würzburger Bahnhof. "Ich bin allein in Deutschland und habe nicht viel Geld, die Bahnhofsmission ist für mich eine Möglichkeit etwas zu essen und mit anderen Leuten zu sprechen". In der Ukraine unterrichtete sie Deutsch, nun hofft sie, als Dolmetscherin arbeiten zu können. Gespräche mit den Mitarbeitern würden sie ermutigen, ihre Sprachkenntnisse zu nutzen.

Bei dem Besuch wird deutlich: Die Würzburger Bahnhofsmission ist für viele Menschen weit mehr als ein Zufluchtsort. Sie ist ein Raum der Begegnung, ein Ort, an dem Schicksale aufeinandertreffen und Hilfe oft im Kleinen beginnt – mit einer warmen Mahlzeit oder einem offenen Ohr. Finanziert wird sie ausschließlich durch Spenden. "Wir sind erste und letzte Anlaufstelle", sagt Johanna Anken. "Jeder ist willkommen. Oft geht es nur darum, da sein zu dürfen."

 
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Kommentare
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  • Roland Rösch
    Mit solchen Probleme sollten sich mal die vier OB Kandidaten auseinander setzen und Lösungen finden. Hier geht es um Menschen .
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  • Rita Orf
    Informativer Artikel - hat mich gleich zum Spenden animiert. Wer es mir nachtun möchte, hier Infos dazu:

    https://www.bahnhofsmission-wuerzburg.de/ueber-den-verein-2/spenden/

    Susanne Orf
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  • Christa Bullmann
    Ich finde es traurig, dass in einem Land wie Deutschland so eine Einrichtung zur jetzigen Zeit überhaupt noch nötig ist.

    Vom Sozialstaatsgedanken keine Spur.

    Mit freundlichen Grüßen

    Johannes Bullmann, MPA
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  • Karl-Heinz Schmid
    Dieser Sozialstaat funktioniert NUR durch solche u. ä. Institutionen! Dazu tragen auch die Kirchen - werden gerne verteufelt - und die Tafeln und die vielen freiwilligen Helfer bei.
    Mein Dank an alle, die sich hier engagieren!
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  • Ute Schlichting
    Vielen lieben Dank. Erledigt.❤️
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