
Zauneidechsen sind nach deutschem und europäischem Recht streng geschützt. Seitdem im Juli 2022 unter Verweis auf die seltenen Tiere der Bayerische Verwaltungsgerichtshof den Bebauungsplan für das Rottendorfer Baugebiet Sand West in großen Teilen gekippt hatte, ist dies auch in der Gemeinde bekannt. Der falsche Umgang mit dem geschützten Reptil war maßgeblich für das Urteil. Ein bedeutendes Vorkommen der Zauneidechse mit mindestens 200 Exemplaren war dem damals beauftragten Fachbüro entgangen. Der Bund Naturschutz sieht die Gemeinde nun abermals auf einem rechtlich fragwürdigen Weg. Der Landesverband wendet sich nun mit einer Klage gegen eine artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung der Höheren Naturschutzbehörde an der Regierung für Unterfranken. Damit droht dem Baugebiet eine weitere Verzögerung.
Der im Februar ausgefertigte Bescheid erlaubt es, die Zauneidechsen aus ihrem angestammten Lebensraum zu entnehmen und umzusiedeln. Ausdrücklich erwähnt sie die mit den Erschließungsarbeiten "zwangsläufig verbundene Zerstörung" der "Fortpflanzungs- und Ruhestätten" sowie eine "unvermeidbare Tötung" der Tiere. Der weitreichende Eingriff wird mit dem großen öffentlichen Interesse an einem zusätzlichen Wohngebiet in der Stadtrandgemeinde Rottendorf gerechtfertigt.
Seit etwa zehn Jahren befasst sich das Ehepaar Gernert mit der Lage der Zauneidechsen im Baugebiet. Das Ehepaar sieht in der Ausnahmegenehmigung einen krassen Verstoß gegen den Artenschutz: Die Regierung habe es nach dem Urteil von 2022 nicht geschafft, das Baugebiet in eine rechtssichere Spur zu lenken. Dem Ehepaar gehört ein Teil eines der größten Biotope, die laut Ratsbeschluss von 2019 innerhalb des geplanten Baugebiets erhalten bleiben sollen. Die frühere Streuobstwiese hat sich zwischenzeitlich zu einem komplexen Heckenbiotop fortentwickelt. Mit Altgraspolstern und Heckenstrukturen bietet es optimale Lebensbedingungen für die Zauneidechse. Beide sagen: Sie fühlten sich "verantwortlich für die Lebewesen", die auf ihrem Eigentum leben. Es gehe ihnen nicht darum, das Baugebiet zu verhindern, wie es vielfach im Ort behauptet werde: "Wenn Gemeinde und Behörden nach geltendem Artenschutzrecht vorgegangen wären, könnten hier schon längst Häuser stehen."
Die Ausnahmegenehmigung sieht vor, dass die Heckenbiotope in einen "kurzrasigen Zustand" versetzt werden sollen. Damit würden die scheuen Tiere ihrer Deckung beraubt und könnten entnommen werden. Die über viele Jahre gewachsenen Biotope wären damit jedoch zerstört. Ehepaar Gernert geht von Hunderten Eidechsen aus, die in den letzten Jahren bei ähnlichen Eingriffen bereits getötet wurden. Ebenso wie der Bund Naturschutz verweist das Ehepaar auf den obersten Grundsatz des Artenschutzes, das Vermeidungsgebot. Auch gebe es Alternativen zur Umsiedlung. Alternativvorschläge des mit der Kartierung und Umsiedlung beauftragten Fachbüros Fabion seien nicht einmal im Rat diskutiert worden. Seit dem Urteil von vor drei Jahren habe es keine öffentliche Sitzung mehr zu dem Thema gegeben.
Gernerts holten sich Rat bei der Biologin Ina Blanke, einer viel gefragten Expertin für Zauneidechsen. In einer Stellungnahme teilte diese mit, dass eine Ausnahme an hohe gesetzliche Hürden gebunden sei. "Es soll sich wirklich um Ausnahmen handeln", schreibt sie. Der Zustand der lokalen Population dürfe sich keinesfalls verschlechtern und zumutbare Alternativen müssten fehlen. Das angeführte Argument, dass die scheuen Reptilien mit einem Wohngebiet vor allem wegen der Hauskatzen nicht kompatibel sind, lässt sie nicht gelten: "Das ist absurd, in ausgeräumten Landschaften sind sie fast nur noch in Ortschaften zu finden". Seit längerem sei etwa bekannt, dass Berlin komplett von den seltenen Reptilien besiedelt ist. Sie warnt vor einer leichtfertigen Umsiedlung, die viele Tiere wohl nicht überleben würden.

Für das Ehepaar Gernert bestätigen dies die wichtigsten Eidechsen-Fundorte, die sich meist nahe des Ortes befinden. In einem "grünen Wohnbaugebiet" könnten die Biotope demnach als "Lebensachsen" wirken und es den Echsen ermöglichen, sich von hier aus in den Hausgärten auszubreiten. Es reichten kleinere Modifikationen etwa an den Kanaldeckeln. Zumal Rottendorf Erfahrungen mit problematischen Umsiedlungen habe Rottendorf: Bei einer ersten Umsiedlung von einem früheren Gärtnereigelände an den südlichen Rand des Grasholzes kurz vor dem 2022er Urteilsspruch habe sich gezeigt, dass die Tiere eine eher notdürftig mit Steinhaufen präparierte frühere Agrarfläche am Waldrand nicht annahmen. Stattdessen besiedelten sie die Erdhügel der angrenzenden Baustelle des Kindergartens.
2020 wurde bereits ein Heckenbiotop geschreddert
Eine weitere, für die Eidechsen fatale Panne ereignete sich im Sommer 2020, als ein Heckenbiotop entlang der Würzburger Straße bis auf den Boden abgeschreddert wurde. Die Gemeinde habe damals eine Rüge der Regierung kassiert.
Der Gemeinderat hat vor wenigen Tagen für einen abgeänderten, stärker am Artenschutz ausgerichteten Bebauungsplan gestimmt. Wie Bürgermeister Roland Schmitt auf Nachfrage erklärte, seien die Biotope neu vermessen und jeweils nochmals um eineinhalb Meter erweitert worden. Auch verzichte der Plan nun auf Fußwege, die die Grünstreifen zerschneiden. Es sei der Gemeinde ein Anliegen, keine geschützten Arten zu schaden. Sie vertraue auf den Sachverstand der Naturschutzbehörden sowie des beauftragten Fachbüros. Er sehe jedoch auch den großen Bedarf an Wohnraum. "Wir stehen hinter dem Artenschutz, wir haben jedoch auch eine Verantwortung gegenüber den Menschen", so Schmitt.