Moderne Architektur hat es in Würzburg noch nie leicht gehabt. Das ist heute so und war auch vor 90 Jahren nicht anders, als Architekt Peter Feile im Frauenland eine Mustersiedlung mit Häusern errichten wollte, die stark an die Bauhaus-Architektur des frühen 20. Jahrhunderts angelehnt waren. Wäre die Feile-Siedlung seinerzeit realisiert worden, hätte von Würzburg ein starkes architektonisches Signal ausgehen können. Doch Feiles Siedlungspläne scheiterten, stattdessen entstanden 1928/29 in der Keesburgstraße und im Lerchenhain insgesamt vier moderne Flachdachhäuser, die heute noch eine Besonderheit im Würzburger Stadtbild darstellen.
In diesem Jahr wird der 100. Bauhaus-Geburtstag deutschlandweit gefeiert. Peter Feile, der 1899 als Sohn eines Bildhauers in Würzburg geboren wurde, war eindeutig von der Formensprache des Bauhauses beeinflusst, wenngleich er dort nicht studiert hat. Feile besuchte das Neue Gymnasium in Würzburg und studierte nach Kriegsende in Würzburg Kunstgeschichte. Er brach das Studium ab, um in Stuttgart Innenarchitektur zu studieren. Anschließend arbeitete er in Düsseldorf, Berlin und Wien, wo er sich weitere Inspirationen für das "Neue Bauen" holte. 1926 kehrte er nach Würzburg zurück und eröffnete ein eigenes Architekturbüro.
Mit Flachdach-Haus am Leutfresserweg gescheitert
Im gleichen Jahr trat er mit einem Entwurf für ein Wohnhaus am Leutfresserweg auf den Plan – in dem von ihm bevorzugten modernen Stil. Der Bauantrag für das "dachlose Haus" wurde im Stadtrat im August 1927 heftig diskutiert. Das Gebäude war ein Präzedenzfall: Es wäre das erste in Bayern gebaute Flachdach-Haus gewesen. Der Stadtrat stimmte dem Entwurf mit knapper Mehrheit zu, doch die Regierung von Unterfranken lehnte es ab. In der Nähe zur Festung entstünde ein "Fremdkörper", der im "Gegensatz zur heimischen Baugesinnung steht". Der Plan wurde schließlich von Feile überarbeitet und das Haus mit einem Walmdach gebaut. Mit der ursprünglichen Idee hatte es nichts mehr zu tun.
Der Vorgang sorgte über Würzburg hinaus für Aufsehen. In der Fachzeitschrift für Architekten "Der Baumeister" erschien in der Mai-Ausgabe von 1928 ein Aufsatz des Würzburger Kunsthistorikers Justus Bier mit dem Titel "Das flache Dach in unserem Landschaftsbild". Darin kritisiert er die Argumentation der Regierung, die zu dem Ergebnis kam: "Der geplante kastenförmige Baukörper lässt die notwendige Einfühlung in das Landschaftsbild vermissen. Das städtebaulich hervorragende Gebiet zwischen Käppele und der Festung Marienberg ist zu wertvoll, um als Versuchsfeld für modische Bauweise zu dienen."
Justus Bier meinte, dass die Ablehnung des flachen Daches durch die Regierung nur auf ästhetischen Argumenten beruhe. Bier schreibt dazu: "Man begnügt sich mit dem Schaubild, prüft dies auf seine Einpassung ins Gewohnte, statt zu fragen, ob die als vorbildlich erkannten Bauten etwa der Barockzeit im Augenblick ihrer Entstehung, nicht ebenso gegensätzlich zu allem Bisherigen gewirkt haben, wie heute ein Haus mit flachem Dach und asymmetrischer Aufteilung der Fenster."
Erfolgreich in der Keesburgstraße
Dies war die Vorgeschichte dafür, was Feile mit seinen Plänen für die "Villenanlage Lerchenhain" noch bevorstand. Zunächst aber plante er noch ein Doppelwohnhaus auf dem Grundstück Keesburgstraße 29/29a. "Der Baumeister" widmete diesem Projekt in seiner Ausgabe vom März 1929 einen ebenfalls von Justus Bier verfassten zehnseitigen Artikel ("Ein Doppelwohnhaus in Würzburg") mit zahlreichen Fotografien und Planzeichnungen.
Auch dieses Mal habe es Einwände gegen den Bau gegeben, schreibt Bier: "So hat eine Zeitschrift für Baukunst gerügt, dass der Kubus inmitten der Walmdächer brutal herausplatze, der Bau unnatürlich und blasiert wirke." Bier weist dies mit dem Hinweis zurück, dass in der näheren Umgebung bereits unterschiedlichste Dachformen vorhanden seien. "Inmitten der stark romantisierenden Nachbarn erfrischt der terrassenförmig zurückgestufte, breit hingelagerte Feile-Bau mit seiner strengen kubischen Begrenzung ..."
Überraschung: Lob für modernen Neubau
In Fachkreisen erhielt der Neubau positive Kritiken. Überraschenderweise wurde das Doppelwohnhaus in der lokalen Presse mit viel Lob bedacht."Das dachlose Haus ist ein Denkmal des 20. Jahrhunderts in Würzburg", hieß es im "Fränkischen Volksfreund", schreibt Architekturhistorikerin Suse Schmuck im Katalog für die Ausstellung "Tradition und Aufbruch - Würzburg und die Kunst der 1920er-Jahre", die 2003 im Kulturspeicher stattfand.
Handelte es sich in der Keesburgstraße noch um ein Solitärgebäude, plante Feile den "großen Wurf" am nicht weit entfernten Lerchenhain. Dort sollte nach einem Plan von 1929 eine Siedlung mit 27 Einfamilien- und zwei Doppelhäusern entstehen. Eine eigens dafür gegründete Baugesellschaft erwarb das 22 000 Quadratmeter große Grundstück im Juli 1929 von der Stadt Würzburg. Feile sah in der Siedlung ein zukunftsweisendes Projekt, sollten doch die unterschiedlich großen Einzelgrundstücke zu günstigen Konditionen angeboten werden. Im Stadtplanungsamt drängte man jedoch auf eine Reduzierung der Bebauung, so dass eine Häuserzeile am Lerchenweg gestrichen wurde. Schließlich waren nur noch 22 Häuser vorgesehen. Im November 1929 stimmte der Stadtrat dem Bebauungsplan zu.
Statt Wohnanlage nur drei Musterhäuser
Drei Musterhäuser, nämlich am Lerchenhain 2, 4 und 5, wurden dann tatsächlich in den Jahren 1929/30 gebaut. Die jeweils dreigeschossigen Flachdachhäuser in unterschiedlicher Größe zeichneten sich durch ihre klare Form und die Zusammenfügung einfacher weiß verputzter Baukörper sowie den Verzicht auf jegliches verzierende Beiwerk aus: Rechteckig, praktisch, gut. "Kompromisslose 'Neue Sachlichkeit'. Und das in Würzburg!", schreibt Suse Schmuck in der soeben neu aufgelegten und ergänzten Broschüre "Die Lerchenhainsiedlung" der Heiner-Reitberger-Stiftung.
Nachdem die drei Häuser am Lerchenhain fertiggestellt waren, geriet das Siedlungsprojekt ins Stocken. Offensichtlich gab es in Würzburg nicht den richtigen Käuferkreis. Nur ein Gebäude wurde verkauft. Es gab aber auch politische Gründe. Denn nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten war "Neues Bauen" nicht mehr erwünscht, weshalb der Bebauungsplan 1935 geändert wurde, schreibt Schmuck im erwähnten Ausstellungskatalog. Der Sinneswandel lässt sich noch heute erkennen. Denn zwischen den Feile-Häusern entstanden nun Giebel-Häuser im traditionellen Stil.
Erst spät als Baudenkmal erkannnt
Auch wenn Feile sein Siedlungsprojekt nicht vollenden konnte, entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg in Würzburg weitere Gebäude nach seinen Entwürfen: das Kaufhaus Woolworth an der Ecke Kaiserstraße/Juliuspromenade sowie die Kinos "Bavaria" und "CC".
Feiles Wohnhäuser im Frauenland blieben beim Bombenangriff auf Würzburg am 16. März 1945 unversehrt, was wohl an ihren Betonkonstruktionen lag. Ab den 1960er-Jahren wurde damit begonnen, die Gebäude zu "modernisieren". Sie erhielten An- und Aufbauten, neue Fenster mit falschen Einteilungen, Verkleidungen aus Eternit und Kunststoff sowie Dachblenden und vieles mehr. "Sie wurden bis zur Unkenntlichkeit überformt und entfremdet", schreibt Suse Schmuck. Immerhin: Inzwischen sind auf Drängen von Suse Schmuck alle drei Musterhäuser am Lerchenhain und das Gebäude in der Keesburgstraße in die Denkmalliste aufgenommen. Und beim Haus Lerchenhain 4 haben neue Eigentümer im Jahr 2003 alle störenden späteren Hinzufügungen entfernen lassen und damit das ursprüngliche Erscheinungsbild weitgehend wieder hergestellt.
Wer die drei Feile-Häuser am Lerchenhain heute in Augenschein nehmen möchte, darf sich nicht irritieren lassen. "Echt" sind nur die Hausnummern Lerchenhain 2, 4 und 5. Die Hausnummern 1 und 10 sind Nachbauten aus späterer Zeit, die sich am Feile-Stil orientieren.