Es ist warm und die Kaffeemaschine zischt im Hintergrund, als sich fünf Menschen aus Würzburg im Café "Senza Limiti" über Inklusion austauschen. Ursprünglich wollte der Autor dieses Artikels, Moritz Hanl, drei Menschen mit Behinderungen zu dem Thema Inklusion befragen. "Genau das ist falsch verstandene Inklusion", sagt Evi Gerhard deutlich, "denn die Teilhabe aller geht nicht nur Menschen mit Behinderungen etwas an." Gerhard sensibilisiert in den sozialen Medien für das Thema Behinderungen. So entstand aus einem Interview kurzerhand eine Gesprächsrunde mit zwei weiteren Cafébesucherinnen, dem Autor selbst und den zwei ursprünglich geplanten Interviewpartnerinnen über das Thema Inklusion.
Über missverstandene Inklusion
Amina Boulahia und Paula Lüer wollten sich nur kurz auf einen Kaffee mit mehreren Freundinnen und Freunden treffen, um danach auf eine Demonstration zu gehen. Sie verschoben ihre Pläne, um von ihren Erfahrungen zu dem Thema Inklusion zu erzählen. "Wir hatten an meiner Schule eine Partnerklasse mit Jugendlichen mit Behinderungen, zu denen wir aber kaum Kontakt hatten", sagt die Würzburger Studentin Boulahia. Ihre damalige Schule nannte sich deswegen inklusiv, doch sie selbst sieht das nicht als gelungene Inklusion. Evi Gerhard pflichtet ihr bei: "So kann man sich nennen, wenn Kinder mit und ohne Behinderung zusammen in einer Klasse sind und gemeinsam die gleichen Lernstoffe bekommen, ansonsten ist der Titel reines Profilieren."
Auch die Studentin Greta Niewiadomski erzählt, auf einer ähnlichen Schule gewesen zu sein. Dort wurden die Fächer Sport, Musik und Kunst gemeinsam unterrichtet. "Gerade beim Sport fiel auf, wie viel leistungsorientierte Schülerinnen und Schüler davon hatten, den Ball auch mal abzugeben", sagt die 21-Jährige, "Inklusion deckt Strukturen auf, die für alle toxisch sind, nicht nur für Menschen mit Behinderungen." Sie findet es wichtig, dass die Gesellschaft versteht, dass die Teilhabe aller auch alle etwas angeht. Schaden würde Inklusion niemandem.
"Im Gegenteil", sagt die Würzburgerin Lüer, "ich habe während meines Bundesfreiwilligendienstes an einer G-Schule viel dazu gelernt." Dabei handelt es sich um eine Förderschule mit dem Schwerpunkt auf geistiger Entwicklung. Die Lebensläufe von Lüer und Boulahia ähneln sich: Beide hatten wenig Kontakt zu dem Thema Inklusion und wählten dann einen Bundesfreiwilligendienst, bei dem sie mit Menschen mit Behinderungen zusammen arbeiteten.
Kontakt baut Berührungsängste ab
"Ich hatte vor meinem Dienst Berührungsängste", sagt Lüer, "doch die waren schnell weg." Stattdessen habe sie bei gemeinsamen Ausflügen gemerkt, wie wichtig ihr die Wahrnehmung von anderen war. "Wir waren ein paar Mal tanzen und zu Beginn stand ich immer unsicher daneben, während alle anderen einfach drauf los tanzten", sagt die 19-Jährige, "das hat mir Mut gemacht, mich auch zu trauen." Heute studiert sie Sonderpädagogik. Auch Boulahia entschied sich, Sonderpädagogik zu studieren, allerdings auf Lehramt. Die Beiden sind sich einig: "Der Kontakt zu Menschen mit Behinderungen war dafür ausschlaggebend."
Gerhard nippt an ihrem Kaffee, bevor sie von der Diskriminierung durch die Gesellschaft aufgrund ihrer Behinderung erzählt. "Wenn ich mit einer Freundin in der Stadt einkaufen bin, wird sie gefragt, ob ich etwas kaufen darf und bei Berichten in der Zeitung wird immer von Evi Gerhard der Rollstuhlfahrerin geschrieben", sagt die Mitarbeiterin der Jugendbildungsstätte Unterfranken, "dabei könnte dort genauso gut der Basketballfan, die Frau oder der Waffelfan stehen."
Ein Rollstuhl ist nur eines von vielen Merkmalen
Es geht ihr darum, dass der Rollstuhl nichts über ihren psychischen Zustand aussagt und nur eins von vielen ihrer Merkmale ist. Sie gründete einen Instagram-Account "aktiv.mit.rolli", auf dem sie Interessierte in ihren Alltag mitnimmt. So können alle sehen, dass sie Gleitschirm fliegt, rätselt oder Ausflüge macht.
Auch Niewiadomski möchte mit ihrem Instagram-Auftritt "gretamariq" Einblicke in ihr Leben als Aktivistin und Feministin ermöglichen. Sie veröffentlicht in einigen Zeitungen eigene Kolumnen über aktuelle politische Themen, die sie beschäftigen. "Ich glaube auch, dass es wichtig ist in den Fokus zu rücken, dass Inklusion alle betrifft und kein Randgruppenthema ist," sagt die 20-Jährige, "die Beispiele zeigen ja, dass der Kontakt zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen immer zu etwas Positivem führt."
Wann Inklusion gelungen ist
Als das letzte Getränk geleert wird, geht auch das Gespräch zu Ende. Lüer sagt, sie stelle sich immer mehr die Frage, was eine Behinderung überhaupt ist. Die Definition sei von einem gesellschaftlichen Idealbild abhängig, das wandelbar ist. Sich damit auseinanderzusetzen wäre ein Prozess, der nie abgeschlossen ist. Gerhard drückt es umgangssprachlicher aus: "Erst wenn ich vor einem Stadtbesuch nicht mehr extra schauen muss, wo ich barrierefrei hinein komme oder die Toilette benutzen kann, ist Inklusion gelungen."