
Die Corona-Masseninfektionen spülten das Thema in die Medien: Die Ausbeutung und teils prekären Lebensverhältnisse meist osteuropäischer Arbeiter in der Fleischindustrie. Bereits drei Jahre zuvor drehte Filmemacherin Yulia Lokshina den preisgekrönten Dokumentarfilm "Regeln am Band, bei hoher Geschwindigkeit". Er wird ab diesem Donnerstag beim 47. Internationalen Filmwochenende in Würzburg neben rund zwei Dutzend weiteren Spiel- und Dokumentarfilmen digital zu sehen sein.
In dem Film dokumentiert die 34-jährige Regisseurin nach einem tödlichen Arbeitsunfall in einer Schlachterei 2017 weitere Tragödien und stellt diese den Theaterproben von Bertolt Brechts "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" an einem Gymnasium gegenüber. Im Interview sagt Lokshina, warum es sie nicht überrascht, dass selbst in Unterfranken zwei Betriebe unter Verdacht stehen, Arbeiter über Scheinfirmen im Ausland auszubeuten.
Yulia Lokshina: Nein. Viele Betriebe behaupten, "aus der Not heraus" zu handeln, um Produktionsspitzen abzufangen. Doch im Grunde geht es um höhere Gewinne. Die Frage ist: Warum folgen Gesellschaft und Politik, warum folgen wir, dieser Rhetorik: "Es geht ja nicht anders. Die Menschen aus Polen und Rumänien kommen ja freiwillig. Es zwingt sie ja niemand. Zuhause geht es ihnen ja noch schlechter."

Lokshina: Weil es unangenehm ist, sich selbst als Teil dieser Struktur zu sehen und somit mitverantwortlich zu sein.
Lokshina: Sicher nicht. Denn in dem Film geht es nicht um eine Infektionskatastrophe, sondern um Missstände bei der Beschäftigung und Unterbringung der Arbeiter, mit denen wir uns schon sehr lange arrangieren.
Lokshina: Es ist ein wichtiger Schritt. Sinnvoll wären weitere Regulierungen. Das Problem ist nicht der Werkvertrag allein, sondern die Art der Produktion, ihre Massenhaftigkeit. Am Anfang der Pandemie gab es kurz eine Lust und Bereitschaft zum Umdenken. Man wollte diese "systemrelevanten" Berufsgruppen wie Verkäufer oder Busfahrer sozial und ökonomisch aufwerten. Davon ist kaum etwas übrig. Jetzt wollen viele nur noch zurück zur Normalität.
Lokschina: Nein. Es geht nicht darum, ob ich Fleisch esse oder nicht, sondern wie wir als Gesellschaft zusammenleben und welche Rolle dabei Arbeit und unsere Ideale von Wohlstand spielen. Die Fleischbranche zeigt die Probleme besonders verdichtet.
Lokshina: Ja, denn Missstände halten sich besonders stabil, wenn manche gesellschaftliche Gruppen überhaupt nicht miteinander in Berührung kommen. Somit fühlen sie sich auch nicht füreinander zuständig. Es macht unser Leben nicht schwerer, dass diese Menschen temporär nach Deutschland kommen, hier sehr prekär leben, sehr hart arbeiten und sich im schlimmsten Fall noch verstümmeln oder ums Leben kommen. Das betrifft uns nicht.

Lokshina: Wir müssen erkennen, dass das Problem nicht irgendwo ausgelagert in fernen Schlachthallen existiert. Die Zustände sind das Ergebnis einer Weltanschauung und einer Gesellschaft, die sie toleriert hat und die nicht imstande war, sie zu ändern. Die sogar erlaubt hat, Arbeitskraft zu entwerten und anschließend Menschen zum Arbeiten billig wieder zu importieren. Das müsste man erstmal anerkennen.
Lokshina: Mehr Kontrolle und höhere Strafen für diese Betriebe ist absolut sinnvoll. Mit der Festanstellung wird sich die Situation vieler Arbeiter etwas verbessern. Das ist aber noch keine große Reform. Wir müssen uns darüber verständigen, wie wir solche Strukturen in Zukunft verhindern.
Alle Informationen zum Filmwochenende stehen auf www.filmwochenende.de – dort gibt es ab 27. Januar auch die Online-Tickets zu 6 Euro (Paypal oder Kreditkarte). Für 10 Euro gibt es Soli-Tickets zur Unterstützung der Filminitiative. Kauft man das Ticket, hat man 24 Stunden Zeit, sich den Film beliebig oft anzusehen. Geeignet sind alle Endgeräte mit einem aktuellen Browser. Hotline während des Filmwochenendes: Tel. (0931) 78023888
"Ich kann mich nicht erinnern, dass es früher, als noch jeder Dorfmetzger sein benötigtes Vieh selber geschlachtet hat, solche Skandale gab!"