Sie leiden an Erkrankungen mit nahezu unaussprechlichen Namen: Hypophosphatasie, Phosphatdiabetes oder Fibrodysplasia. Gemeinsam haben sie, dass ihre Krankheiten selten, einige sogar sehr selten sind. Und dass sie seit Jahren regelmäßig nach Würzburg kommen. Denn hier praktiziert an der Orthopädischen Klinik König-Ludwig Haus mit Dr. Lothar Seefried ein international anerkannter Spezialist für seltene Muskuloskelettale Erkrankungen. Seefried leitet eine Spezialsprechstunde für Osteologie, doch jetzt steht sein Behandlungs- und Forschungsbereich offenbar zur Disposition. Selbsthilfegruppen aus ganz Deutschland fürchten das Aus der Abteilung ihres beliebten Arztes.
Mit der in Würzburg ansässigen Patientenorganisation "Hypophosphatasie e.V." (HPP) hatte der im Frühjahr überraschend gestorbene Vorsitzende Gerald Brandt seit Jahrzehnten die Vernetzung von Fachärzten und Experten in Würzburg betrieben. Jetzt sei Brands Lebenswerk in Gefahr, sagt Stella Semmler-Müller vom kommissarischen Vorstand des HPP-Vereins. Nach ihren Kenntnissen werde der Orthopäde Seefried von der Klinikleitung gedrängt, einen Auflösungsvertrag zu unterschreiben.
Führend bei Hypophosphatasie: Erste Studie zu Enzym-Ersatztherapie weltweit durchgeführt
Aus ganz Deutschland kommen Patientinnen und Patienten mit HPP zu Seefried und seinem Team, berichtet Semmler-Müller. Weit über hundert wären betroffen und würden nun mit ihren Problemen wieder allein gelassen. Seefrieds Abteilung seit weltweit die größte Anlaufstelle für HPP - nicht nur bei der Behandlung, sondern auch Erforschung. Gerade würde von Seefrieds Abteilung die weltweit erste Studie zu einer neuartigen Enzym-Ersatztherapie durchgeführt. Bei Hypophosphatasie führt ein Gendefekt dazu, dass Knochen und Zähne, aber auch Nervenzellen nicht richtig gebildet werden können.
Ja, er habe von der Klinikleitung des König-Ludwig-Hauses einen Auflösungsvertrag zum Jahreswechsel vorgelegt bekommen, bestätigt Dr. Lothar Seefried auf Nachfrage. Dies würde auch seine sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betreffen, darunter eine Ärztin. Das Team finanziere er wesentlich über selbst eingeworbene Drittmittel für wissenschaftliche Projekte. Auch für die kommenden Jahre seien bereits zahlreiche Studien in Planung.
"Die Stelle von Dr. Seefried soll ersatzlos gestrichen werden, er kann dann nicht mehr für unsere Patienten tätig sein", beklagt Martha Kirchhoff, Vorsitzende des Vereins Phosphatdiabetes e.V.. Die auch Rachitis genannten Krankheit sei lange als eine Erkrankung des wachsenden Skeletts angesehen worden. Die Klinik in Würzburg gehöre zu den ganz wenigen Standorten in Deutschland, an denen sich ein multidisziplinäres Team auch um die erwachsenen Patienten kümmere, die lange vernachlässigt worden seien. Es sei ein Katastrophe, wenn das wegbrechen würde, sagt Kirchhoff. Weit über hundert Patienten wären betroffen.
Auf seltene Skeletterkrankungen wie Glasknochenkrankheit spezialisiert
Neben Hamburg und für Kinder Köln sei Würzburg eines der wichtigsten Zentren für die Glasknochenkrankheit, sagen René Bulz und Andrea König von der Deutschen Gesellschaft für Osteogenesis imperfecta (OI). Die aktuell hier laufenden Medikamentenstudien dürften auf keinen Fall abgebrochen werden, sagt Bulz. Und König fürchtet, "dass unter unseren Mitgliedern Panik ausbricht", wenn sie in Würzburg im Stich gelassen würden. Seefried sei international anerkannt und dabei zutiefst empathisch. Zu jeder Tages- und Nachtzeit sei er für seine Patienten erreichbar.
Auch die extrem seltene Fibrodysplasia ossificans progressiva (FOP), bei der nach und nach die Muskeln verknöchern, wird vom Würzburger Orthopäden behandelt. Bei dieser Krankheit müssten Behandlungsschritte besonders sorgfältig abgewogen werden, weil ungeeignete Maßnahmen zu einer lebenslangen Verschlechterung führen könnten, berichtet Ralf Fischer, Vorstandsvorsitzender des Vereins FOP e.V.. Auch aus Unterfranken kämen regelmäßig drei Patientinnen und Patienten zu Seefried, die künftig für jeden Facharztbesuch nach Garmisch-Partenkirchen fahren müssten.
Vom Aus der Spezialsprechstunde an der Orthopädischen Klinik wäre auch die MPS-Gesellschaft mit Sitz in Aschaffenburg betroffen, die deutschlandweit zirka 800 Patienten vertritt, die an einer lysosomalen Speicherkrankheit leiden. In Deutschland gebe es noch nicht einmal eine Handvoll Orthopäden, die sich auf diese Erkrankung spezialisiert hätten, sagt Eva Schetter, die Familien betreut. Dr Seefried sei einer von ihnen.
Einzige Anlaufstelle für viele Betroffene: Dachorganisation der Selbsthilfeorganisationen besorgt
Bei der Allianz Chronisch Seltener Erkrankungen (ACHSE) in Berlin, Dachorganisation von 130 Selbsthilfeorganisationen, schrillen die Alarmglocken. "Wir verfolgen die aktuelle Entwicklung am König-Ludwig-Haus mit großer Sorge", sagt Dr. Christine Mundlos. Schriftlich habe sie sich Mitte August an Bezirkstagspräsident Erwin Dotzel und an die Würzburger Uniklinik gewandt. Denn das Fachkrankenhaus steht unter der Trägerschaft des Bezirks Unterfranken und ist zugleich Lehrstuhl für Orthopädie der Universität Würzburg.
Für viele der von Seefried betreuten Patientinnen und Patienten gebe es bundesweit keine gleichwertige Anlaufstelle, sagt Mundlos. Bisher habe sie auf ihre Briefe keine Antwort bekommen.
Die Klinikleitung antwortet auf Nachfrage, dass es am König-Ludwig-Haus zwei Einheiten für die Versorgung bei Knochenstoffwechsel-Erkrankungen gebe: die Spezialsprechstunde "Osteologie" und eine klinische Studieneinheit. Doch die Behandlung von Patientinnen und Patienten mit seltenen Erkrankungen sei zu stark angewachsen, um sie in der jetzigen Struktur der Klinik abzubilden. Künftig würden unter anderem von Seefried ausgebildete Ärzte die Osteologie-Sprechstunde weiter fortführen, heißt es in einer Stellungnahme.
Ärztlicher Direktor der Klinik: Fokussierung und Umorganisation nötig
Was die klinische Studieneinheit betrifft, werde eine engere Anbindung an das Muskuloskelettale Centrum Würzburg der Universität diskutiert, sagt der Ärztliche Direktor des König-Ludwig-Hauses, Prof. Maximilian Rudert. Man wolle Dr. Lothar Seefried damit aus dem klinischen Alltag freistellen. "Kliniken müssen sich fokussieren, also schauen: Was können wir weiterhin stemmen und wo müssen wir umorganisieren?", sagt Rudert. Die Gesundheitspolitik und die immer schwieriger werdenden Rahmenbedingungen würden dazu zwingen. "Dabei möchten wir natürlich das Wohl unserer Patientinnen und Patienten weiterhin im Blick behalten."
Orthopäde Dr. Lothar Seefried: Behandlung und Erforschung gehören zusammen
Er selbst und sein Team würden ihre Arbeit sehr gerne in Würzburg fortsetzen, sagt Orthopäde Lothar Seefried. Seit 20 Jahren arbeitet der Osteologe am König-Ludwig-Haus. Neben der Betreuung von Patienten mit seltenen Erkrankungen fungiere er auch als Referenz für komplizierte Osteoporosefälle aus ganz Deutschland. In jedem der beiden Bereiche habe er zirka 500 Patientenkontakte im Jahr, sagt der Mediziner. Er hoffe auf eine nachhaltige Lösung, die es erlaube, seine Patienten weiter zu betreuen und die Forschung fortführen zu können. Denn beides gehöre für ihn untrennbar zusammen.
Da das Team sich zu großen Teilen aus selbst eingeworbenen Drittmitteln finanziert und Dr. Seefried ein ausgezeichnetes Renommee genießt, könnten sich doch Kliniken im Würzburger Umland (KT, OCH, MSP etc.) glücklich schätzen, wenn sie hier aushelfen dürften, da sich hierdurch sicherlich auch neue Patienten für die Kliniken gewinnen lassen - von der guten Presse, die mit einem solchen Vorstoß verbunden wäre, ganz zu schweigen.