"So einfach geht Fernsehen: Mikro an, Kamera an, loslegen!" Bei diesem Satz muss Moderator Yared Dibaba dann doch auch ein bisschen schmunzeln. Was am Bildschirm zu Hause so wirkt wie eine entspannte, romantische Treckerfahrt, ist in Wirklichkeit pure Action.
Mit einer Hand am Lenkrad und der anderen fest an der Tür, steuert Landwirt Walter Dieck seinen Traktor geradewegs auf den Mittelpunkt der EU in Gadheim (Lkr. Würzburg) zu. Bei jedem Schlagloch auf dem schmalen Feldweg hat er Angst um seine beiden Beifahrer, Reporter Dibaba und den Kameramann. Sie könnten doch vom Bulldog fallen, so lässig sitzen sie darauf. Und dann soll er während der holprigen Fahrt auch noch live im Fernsehen Fragen beantworten. Ob das gutgeht?
Das ARD-Morgenmagazin schaltet in dieser Woche täglich zwischen 5.30 Uhr und neun Uhr immer wieder nach Veitshöchheim und an den Mittelpunkt der EU, der im Ortsteil Gadheim liegt. Berichtet wird über die Fußball-Europameisterschaft und über Allerlei aus der fränkischen Umgebung. Freilich keine Fußball-Hochburg, aber eben gut gelegen – nämlich in der geographischen Mitte der Europäischen Union.
Unweit von diesem Punkt besitzt Walter Dieck ein paar Äcker. Felder, die in der Nacht auf den 1. Februar 202o plötzlich nicht mehr nur reines Ackerland waren, sondern mit dem Austritt Großbritanniens aus der Staatengemeinschaft nun zu einer Landschaft gehören, die im Herzen der Europäischen Union liegt. Das macht Ortsvorsteher Dieck, der im Fernsehen fränkisch authentisch wirkt, an diesem Montagmorgen interessant.
Während Außenreporter Dibaba noch die aufregende Traktorfahrt im MB 1982, "einem kleinen Traum", verdaut und dabei die Abgeschiedenheit und Stille in der Gadheimer Flur genießt, dürfen jetzt ein paar Kilometer weiter seine Kolleginnen und Kollegen ackern. Mitten im Altort von Veitshöchheim, im Innenhof des Rathauses, wird der Mittelpunkt der EU, eine Nachbildung aus Pappmaschee, immer wieder mal von links nach rechts getragen und stets ordentlich in Szene gesetzt.
25 Mitarbeiter hat der WDR nach Veitshöchheim geschickt
Kamera an, Mikro an – kann Fernsehen so einfach sein? Zuhause vor dem Gerät sieht alles danach aus, aber ganz so simpel ist es dann doch nicht. Mit 25 Leuten ist der Westdeutsche Rundfunk, der das Morgenmagazin (Moma) für die ARD produziert, diese Woche und vom 5. bis 9. Juli in Veitshöchheim. Dazu kommen Live-Gäste, die unterhalten, das Sportliche analysieren oder einfach mal spontaner Besuch.
Wie der Schornsteinfeger Daniel Weiglein. Gerade noch hat er im Schatten der Vituskirche auf einem Hausdach einen Kamin ausgeputzt, und ein paar Minuten später steht er vor laufender Kamera und wird ausgefragt. Zufällig ist er vorbeigekommen, kurz mal neugierig stehengeblieben und schon ruft ihn Sport-Reporter Peter Großmann zu sich. Ein Glücksbringer soll er sein – und vielleicht ist er das ja auch. Denn Weiglein war schon 2014 Schornsteinfeger in Veitshöchheim – im Jahr als die Deutschen Weltmeister wurden.
Sieben Mal schalten die Moderatoren Susan Link und Sven Lorig aus dem Kölner Studio zu den Kollegen nach Veitshöchheim – ein Name, den sich Link für Scrabble merken will. Dabei sind Ortsnamen bei dem Spiel gar nicht zulässig. Egal. Hauptsache Veitshöchheim wird genannt, und jedes Mal lächelt der Bürgermeister mehr und mehr. "Das ist beste Fernsehwerbung", strahlt Jürgen Götz. Als dann auch noch Matthias Walz, bekannt aus der Fernsehsitzung "Fastnacht in Franken", die seit mehr als 30 Jahren aus Veitshöchheim – es sei nochmal erwähnt! – ausgestrahlt wird, ein Loblied auf den Ort singt, weiß Götz, jetzt schießen die Kartenanfragen für die beliebte Prunksitzung wieder in die Höhe.
Nur einer will an diesem Morgen nicht so wie er soll. Der Veitshöchhahn kräht zwar immer mal eifrig dazwischen, wenn er was zu krähen hat, aber das, was er tun soll, nämlich fressen, macht er nicht. Weil der Hahn neben einem Öltopf das Symbol des Heiligen Vitus ist und der wiederum der Ortspatron von Veitshöchheim, sehen die Fernsehleute das Tier, ein Zwerg-Barnevelder, schwarz-silber gesäumt, als Orakel an. Je nachdem aus welchem Töpfchen er die Körner pickt, am Montag hat er die Wahl zwischen Russland oder Dänemark, soll er den Sieger vorhersagen. Der Hahn entscheidet sich für – nichts. Großmann und Fußball-Expertin Inka Grings werten das dann schnell als Unentschieden. So einfach ist eben Fernsehen!