Vergeblich suchen werden die Teilnehmer der Würzburger Kreuzbergwallfahrt in diesem Jahr den bekannten Träger des markanten roten Mantels und des schwarzen Huts mit roter Kordel an der Spitze der Wallfahrt: 20 mal trug Klaus Rind aus Oberwerrn (Lkr. Schweinfurt) würdevoll in erster Reihe die auffälligen Kleidungsstücke, die ihn als Pilgerfrüher kenntlich machten. So lange wie kein anderer seiner Vorgänger schritt Klaus Rind den Würzburger Pilgerinnen und Pilgern voran auf dem Weg vom Würzburger Neumünster auf den 928 Meter hohen Heiligen Berg der Franken in der Rhön und wieder zurück in die Domstadt.
Wenn er zum Abschluss der Vorbereitungsandacht am Montag, 19. August um 19 Uhr, am Tag vor der Kreuzbergwallfahrt im Neumünster den Pilgerstab an seine beiden Nachfolger übergibt, stellt dies das Ende einer Ära dar. Erstmals in der 372-jährigen Geschichte wird mit Claudia Lurz aus Holzkirchhausen (Lkr. Würzburg) eine Frau neben Thomas Schenkel aus Essfeld (Lkr. Würzburg) ein Pilgerführer-Duo die Kreuzbergwallfahrt anführen. "Meinen Mantel habe ich gemocht, auch wenn er bei heißen Temperaturen eine Last war", verriet Klaus Rind im Interview.
Frage: Herr Rind, aus welchem Grund wollen Sie im Alter von 57 Jahren den Pilgerstab abgeben?
Klaus Rind: Die Entscheidung war sehr schwer für mich, nachdem ich ohne Unterbrechung 35-mal Teil der Wallfahrt war, davon 20 mal als Pilgerführer. Aber weil wir alle nicht jünger werden und die körperlichen Strapazen nicht mehr so leicht wegstecken, habe ich mich zu diesem Schritt entschieden.
Die Kreuzbergwallfahrt 2019 findet also ohne Sie statt?
Rind: Nicht ganz. Sporadisch werde ich Teilstücke mitlaufen. Aber bei der Ankunft am Kreuzberg und in Würzburg werde ich nicht dabei sein. Was in den Folgejahren sein wird, muss man sehen. Es ist auch Erleichterung für mich, wegen des Amtes nicht mehr dabei sein zu müssen.
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Wie kam es dazu, dass jemand aus Oberwerrn bei Schweinfurt Pilgerführer der Würzburger Kreuzbergwallfahrt wurde?
Rind: Meine Wurzeln liegen in Rimpar, wo ich auch meine Kindheit verbrachte. Durch die Beteiligung von Rimparer Wallfahrern an der Würzburger Kreuzbergwallfahrt hatte ich schon früh Kontakt. Der Wohnortwechsel nach Oberwerrn war beruflich bedingt wegen meines Arbeitsplatzes in Schweinfurt. Die Wallfahrt ließ mich aber dennoch nicht los.
Welche Veränderungen rund um die Wallfahrt haben Sie in 20 Jahren als Pilgerführer registriert?
Rind: Spontan denke ich an die Änderung der Wallfahrtsordnung. Seither führen Männer- und Frauen-Gruppe im täglichen Wechsel die Wallfahrt an. Wegen des zunehmenden Straßenverkehrs veränderte sich auch immer wieder der Streckenverlauf, da soweit möglich auf Nebenstrecken ausgewichen wurde. Daneben gab es auch technische Veränderungen: Die Verständigung unter den Verantwortlichen innerhalb der Wallfahrt erfolgte einst per Handzeichen. Heute werden dazu Funkgeräte genutzt. Zur Beschallung der Wallfahrt wurden früher schwere Lautsprecher in Rucksäcken mitgetragen. Seit Jahren ist eine weitaus leichtere, mobile Lautsprecher-Anlage im Einsatz.
Hat sich auch der persönliche Hintergrund der Wallfahrtsteilnehmer verändert? Spielen bei manchen weniger Glauben und Spiritualität als eine sportlich- und fitnessorientierte Herausforderung eine Rolle?
Rind: Das scheint womöglich so, wegen der sportlicheren Ausrüstung heutzutage. Nach meiner Erfahrung hat aber jeder Teilnehmer seinen ganz persönlichen Grund, fünf Tage – durchaus mehr oder weniger betend und singend – unterwegs zu sein. Ein einziger Teilnehmer kam in meiner Zeit als Pilgerführer nach dem ersten Tag zu mir und entschuldigte sich dafür, dass er sich deswegen verabschiedet.
In Ihrem langen Wallfahrer-Leben haben Sie sicher manche Anekdote erlebt?
Rind (schmunzelt): Natürlich! Da erinnere ich mich an zwei Verbrecher, die wegen der Wallfahrt nicht weiter aus einem Waldweg flüchten konnten. Hinter ihnen kam die Polizei und nahm sie fest. Kontakt mit der Polizei gab es auch mal wegen eines Flaschenwurfs eines Anwohners in der Neutorstraße auf die Wallfahrer morgens beim Auszug. In Erinnerung habe ich auch den gebrochenen Pilgerstab, der notdürftig mit Paketband repariert wurde. Glimpflich ging glücklicherweise auch der zweimalige Bruch des Männerkreuzes ab, wobei das schwere Kreuz einmal sogar einen kleinen Buben traf.
Welche Aufgaben hat ein Pilgerführer?
Rind: Wesentlich ist dies die Einhaltung von Streckenverlauf und Zeitplan. Dazu steht ein Logbuch zur Verfügung, das einst von meinem Vorgänger Ludwig Eirich erstellt wurde. Diese minutiös fortlaufende Auflistung von markanten Streckenpunkten wurde mittlerweile über vier Generationen von Pilgerführern weitergegeben. Eine besondere Herausforderung für den Pilgerführer ist, immer an der Spitze der Wallfahrt präsent sein zu müssen. Daraus erwächst auch psychischer Druck. Einfach mal Ausscheren bei gesundheitlichen Problemen oder menschlichen Bedürfnissen ist im Vergleich zu den gewöhnlichen Wallfahrern nicht möglich. Das künftige Pilgerführer-Duo kann sich da ergänzen.
Was hat für Sie in all den Jahren den Reiz der Wallfahrt ausgemacht?
Rind: Trotz der mit dem Amt verbundenen Anspannung und Verantwortung waren es immer fünf Tage, in denen ich abschalten konnte vom Alltag, Zeit für Gebete und persönliche Gedanken hatte und dadurch zur Ruhe kam.
Wie schätzen Sie die Entwicklung der Wallfahrt ein?
Rind: Die Würzburger Kreuzbergwallfahrt gibt es seit 1647. Und selbst unter der Nazi-Herrschaft waren trotz Verbot einzelne Gruppen zum Kreuzberg unterwegs. Ich bin überzeugt: Die Wallfahrt wird es immer geben.