Sie laufen, sie laufen und sie laufen
Zwischen 500 und 600 Menschen machen sich ab Mittwoch wieder von Würzburg zum Kreuzberg auf. Die jüngsten Wallfahrer sind unter zehn, die ältesten über 80 Jahre alt. Viele sind Katholiken, manche evangelisch und einige konfessionslos. Die meisten wallen immer wieder.
Zum 36. Mal wird Günter Lorenscheit bei der 173 Kilometer langen Wallfahrt dabei sein. „Man plagt sich zwar wie ein Hund“, sagt der 68 Jahre alte Rimparer und erzählt von langen, Knochen stauchenden Asphaltstrecken, von Hitze und Regen, steilen Anstiegen und langem Bergabgehen, wo die Zehen an die Schuhspitzen stoßen, bis „die Nägel blau werden und sich ablösen“. Aber: „Bis zum nächsten Jahr sind die wieder gewachsen und ich bin wieder dabei.“ Lorenscheits Beweggrund fürs Wallfahren: „Ich bin dankbar, dass ich fünf gesunde Kinder habe.“
„Dankbarkeit ist ein häufiger Anlass fürs Mitmachen“, weiß Franziskanerpater Maximilian Bauer. Der Präsens der Kreuzbruderschaft zum Heiligen Kreuz, die die Würzburger Kreuzbergwallfahrt organisiert, weiß aus den Gesprächen der vergangenen 20 Jahre: „Meist ist es ein persönliches Anliegen, das die Menschen zum Wallfahrer macht. Oft eine Bitte, aber noch häufiger Dank.“
„Das schönste ist das Gefühl, es geschafft zu haben“, berichtet Anneli Hornung. Die 17-jährige Schülerin wird heuer das dritte Mal glücklich sein, wenn sie am Kreuzberg ankommt. Und dann noch einmal am Ende in der Semmelstraße. Singen und Beten gehören für Anneli und ihre Schwester zum Leben. Sie gehen regelmäßig in die Kirche. Gewöhnen müssen sie sich wieder an die Gemeinschaftsunterkünfte: „In der ersten Nacht ist das Schnarchen noch schrecklich. Doch in der zweiten ist man schon so müde, dass man sofort einschläft“, erzählt die 21-jährige Studentin Rebecca.
Nachdem lange Zeit hauptsächlich ältere Menschen an der Wallfahrt teilgenommen haben, steigt seit einigen Jahren der Anteil jüngerer. Immer mehr Familien machen sich mit auf den Weg.
Robert Breunig hat heuer drei Enkelkinder dabei. „Der Samuel war der erste, der als Neunjähriger mit seinen dünnen Beinen immer vorne dran war und sein Göschle nie zu gekriegt hat“, erzählt der stolze Großvater. Und niemals sei der Bub im Begleitbus gefahren. Ein „persönlicher, aktueller Anlass“ hat den 70-Jährigen vor 18 Jahren zum Wallfahrer gemacht. Dabei hat er Menschen getroffen, „die so sind, wie man sie gerne immer hätte.“ Offen und ehrlich, hilfsbereit und kameradschaftlich. „Man hat Zeit“, sagt Breunig. „Für sich und für andere.“ Tiefe Gespräche und lebenslange Freundschaften haben ihm die vergangenen Kreuzbergwallfahrten genauso beschert wie Einkehr und Ruhe. „Diese fünf Tage sind mit die schönsten des Jahres.“
„Exerzitien in zwei Laufschuhen“ nennt Landrat Eberhard Nuß die Wallfahrt. „Im gemeinsamen Gebet und unter dem Eindruck der körperlichen Anstrengung vergesse ich den Alltag.“ Das Ordnen der eigenen Gedanken sowie die Gespräche mit Gleichgesinnten, aber auch die Fröhlichkeit am Rande der Wallfahrt sorgten „für Frischluft in der Seele“. Nach seinem Urlaub an der Nordsee, schnürt er heuer zum achten Mal die Laufschuhe. Auch für die Ackermanns gehört die Wallfahrt genauso zum Sommer wie der Urlaub. Die Estenfelder Familie spielt in der Blaskapelle: Vater Stefan seit 1980, meist mit der Posaune, Mutter Elke Querflöte, Sohn Moritz Trompete und Tochter Sophia Bariton-Horn. „Das ist körperlich schon anstrengend“, sagt Vater Stefan. Mit 34 Wallfahrtsjahren ist der 47-Jährige der dienstälteste Musiker. Sohn Moritz (13) ist der dienstjüngste.
Die etwa 15 Musiker der Kapelle gehen fast die gesamte Wegstrecke und spielen in den Ortschaften. Nur Teilstücke fahren sie im Auto vor und empfangen die Wallfahrer. Oder spielen abends am Kreuzberg zum Tanz auf. „Dort schwingen dann die besonders intensiv das Tanzbein, die nachmittags als letzte und mit großer Mühe den Berg hoch gekommen sind.“
Peter Wiesenegg ist gerührt, wenn er über die nächsten Tage spricht. „Ich habe versprochen, dass ich heuer zum letzten Mal dabei bin“, seufzt der 68-jährige Bürgerspital-Wirt. Während der Urlaubszeit kann er eigentlich nicht weg. Dass er sich die Zeit seit 18 Jahren trotzdem frei schaufelt, liegt am Gemeinschaftserlebnis. „Wenn die Menschen immer so wären, wie dort, gäbe es keinen Streit und keinen Krieg.“ Denn beim Wallfahren seien alle gleich, brüderlich und tief drinnen glücklich. „Das leuchtet in den Gesichtern der Pilger, die nach den fünf Tagen im Neumünster einziehen. Dann schaut man sich in die Augen und sagt, ,also dann bis nächstes Jahr'.“ Dreimal hat Wiesenegg seiner Frau bislang vergeblich das Aufhören versprochen. Diese hat Verständnis: „Das Wallfahren ist seine Sucht“, sagt Angelika Wiesenegg.
ONLINE-TIPP
Wir berichten täglich von der Wallfahrt www.mainpost.de/kreuzberg2014