Kinder, die mit Büchertasche zum Klassenzimmer traben, im Hof umherflitzen und im Hort in der Spielecke sitzen: Auf den ersten Blick wirken die Szenen aus dem Würzburger Elisabethenheim alltäglich. Doch auf den zweiten Blick sind sie es nicht. Die meisten Kinder, die sich dieser Tage in Schule, Krippe, Kindergarten, Vorschule und Hort aufhalten, tun dies im Rahmen einer Notbetreuung. Sie haben Eltern, die sogenannten systemrelevanten Berufen nachgehen oder alleinerziehend sind. Doch wie kann man zusammen spielen und lernen, wenn aktuell das oberste Gebot „Abstand!“ lautet?
Spielen ohne körperliche Nähe, einen Mundschutz tragen – und immer wieder die Hände waschen: Das ist die neue Realität der betreuten Kinder. „Ich bin schon acht Wochen hier“, sagt der zehnjährige Philipp beim Gespräch in der Garderobe einer Hortgruppe, „aber es fühlt sich alles immer noch sehr neu an.“ Während in der ersten Woche von Schul- und Kitaschließungen gerade mal zehn Kinder die Einrichtung besuchten, ist die Zahl durch die stufenweise Ausweitung der Notbetreuung auf mittlerweile bis zu 80 gestiegen. „Am ersten Tag war ich nur mit einem anderen Kind da, und einmal ganz allein, das war merkwürdig“, erzählt Philipp. Das sonst laute und wuselige Elisabethenheim so ruhig zu erleben fand er „gruselig“.
„Alles soll so sein wie vor Corona“, wünschen sich der neunjährige Felix und der zehnjährige Max. Auf die geplante Klassenfahrt zum Abschluss der Grundschulzeit müssen die Viertklässler verzichten, auch eine Übernachtung im Tierpark fällt aus. Im Alltag fällt es den beiden am schwersten, immer Abstand zu halten. Das Thema hält auch die Erzieherinnen auf Trab: „Tim, setz' Dich bitte richtig hin, dann kommst Du auch Lina nicht zu nah“, bittet Hort-Erzieherin Sabine Franz, die eine Gruppe von Kindern beim Brettspiel beobachtet. „Die Kinder lernen, mit der neuen Situation umzugehen und sind verantwortungsbewusst“, so Franz, "zum Knuddeln kommt keiner mehr."
Der Wunsch nach Normalität, wie man sie bisher kannte, ist auch beim Personal zu spüren. Immer neue Vorgaben vom Ministerium, die sofort umgesetzt werden müssen, strenge Sicherheits- und Hygienemaßnahmen – der Arbeitsalltag von Katja Baumeister, Bereichsleitung der Kindertagesstätten des Elisabethenheims, wurde völlig auf den Kopf gestellt. Personalpläne müssen immer wieder angepasst werden, Telefonate mit Eltern nehmen viel Zeit in Anspruch, Konferenzen mit Kollegen werden im Freien gehalten, mit Mindestabstand und Mundschutz. „Der meistgesagte Satz zu Anfang der Schul- und Kitaschließung war ‚ich weiß es nicht‘“, fasst Baumeister die vergangenen Wochen zusammen – „eine äußerst anstrengende Zeit“.
Vater mit Maske wird von Kleinkind nicht erkannt
„Was darf man und was nicht?“ – diese Frage stellt sich Erzieherin Julia Kästel aktuell immer wieder. Darf sie mit den Krippenkindern im Bollerwagen ein Eis am Marktplatz essen oder im Park spazieren gehen? Und: „Die Kleinen sind unausgelasteter als sonst“, sagt Kästel. Dadurch, dass die Krippengruppen durchgemischt wurden, fehlt vielen Kindern ihr Bezugserzieher oder sie müssen sich auf neue Räumlichkeiten einlassen. Feste Strukturen wie der Morgenkreis und Rituale zum Schlafengehen seien daher für die Krippenkinder noch wichtiger als vorher.
Anders als ihre Kolleginnen und Kollegen in Schule und Hort darf Kästel auf Gesichtsmaske und strenge Abstandsregeln verzichten. „In der Krippe kommunizieren wir viel durch Mimik und Gestik“, so Kästel. „Als zum Beispiel ein Vater sein Kind abholen wollte und dabei eine Maske trug, hat das Kind überhaupt nicht reagiert – es hat ihn nicht erkannt.“
Maskenpflicht beim Gang zur Toilette und im Pausenhof
In der Schule ist das Beibehalten von Ritualen schwierig. „Wir sitzen normalerweise im Morgenkreis und halten uns dabei an den Händen – das ginge zur Zeit gar nicht“, sagt Grundschullehrerin Alexandra Krafft. Die Kinder der ersten bis sechsten Klassen sind in Kleingruppen zusammengewürfelt, die Einteilung der Gruppen wird auch nachmittags im Hort beibehalten. Eine Durchmischung von Schülern, Lehrkräften und Erziehern soll so vermieden werden.
Mit dem normalen Schulalltag hat Schule in Zeiten von Corona wenig zu tun: Jeder Schüler sitzt an einem eigenen Tisch und bearbeitet seine Aufgaben; Unterricht darf wegen der Chancengleichheit für die Kinder zuhause nicht stattfinden. Wer mit den Aufgaben fertig ist, darf lesen oder malen – die Utensilien dafür müssen die Schüler selbst mitbringen. „Wir dürfen aufgrund der Hygienevorschriften keine Stifte oder Spiele ausleihen“, erklärt Krafft. Wer auf die Toilette geht, muss eine Maske aufsetzen; auch im Pausenhof gilt Maskenpflicht. Da zu enge Kontakte vermieden werden sollen, werden befreundete Kinder nicht in dieselbe Gruppe eingeteilt.
Für die Kinder ist das belastend: „Ich vermisse meine Freunde“, sagt der achtjährige Adam. „Ich möchte nicht, dass Corona da ist.“ Nach dem Vormittag in der Schule besucht er, wie die meisten der Schulkinder in der Notbetreuung, den Hort im Nebengebäude. Auch dort ist vieles anders: Beim Mittagessen sitzt jedes Kind allein an einem Tisch, das Spielen wird immer wieder durch Aufforderungen zum Abstand halten oder Händewaschen unterbrochen.
Trotz Einschränkungen sind viele froh über die Notbetreuung: „Es ist besser als zuhause, weil andere Kinder da sind“, bestätigt Adam. „Gerade Einzelkinder freuen sich, dass sie jemanden zum Spielen haben“, sagt Sabine Franz. Und: „Die Erzieher haben viel Zeit für einen“, freut sich Philipp.
Mit kreativen Ideen den Kontakt zu den Kindern zuhause halten
Mit kreativen Ideen haben Lehrer und Erzieher in den vergangenen Wochen versucht, auch den Kontakt zu den Kindern zuhause zu halten. Alexandra Krafft etwa liest ihren Zweitklässlern jeden Abend um 20 Uhr eine Gute-Nacht-Geschichte vor. Einige Hort-Erzieherinnen haben sich nach Ostern auf den Weg zu jeder einzelnen Familie gemacht, um den Kindern – mit Mindestabstand – ihr Osternest persönlich zu überbringen. Und sogar ein eigenes Lied ist entstanden: der "Lisele Corona-Song". Ein Video, das das Personal tanzend und singend im Hof der Einrichtung zeigt, soll Verbundenheit mit den Kindern zuhause ausdrücken.
„Wenn der Unterricht wieder beginnt, muss erstmal das Geschehene besprochen und Seelsorge betrieben werden“, ist Lehrerin Krafft überzeugt. „Es geht dann nicht darum, möglichst schnell wieder mit Mathe und Deutsch anzufangen, sondern die Kinder da abzuholen, wo sie gerade stehen.“