Erhard Reiniger aus Kürnach ist seit 1980 für das Kinderhilfswerk terre des hommes in Aktion. Im Gespräch erklärt der 75-jährige Kürnacher, warum das Sammeln mit Spendenbüchse nicht mehr funktioniert und was die Organisation heute bewegt.
FRAGE: Sie sind seit 1980 bei terre des hommes Würzburg. Was war Auslöser für Ihr Engagement?
ERHARD REINIGER: Bei terre des hommes geht es um Gerechtigkeit, um Offenheit für Minderheiten. Die Art, wie man diese Themen in der Würzburger Arbeitsgruppe anging, hat mir gefallen. Ich wollte einfach etwas tun.
Was genau kann man bei terre des hommes Würzburg tun?
REINIGER: Wir klären an Informationsständen auf, zum Beispiel über die Art der Projekte von terre des hommes und darüber, wie Spenden verwendet werden. Und wir sammeln selbst Spenden. Bei den Sammlungen sind auch Schüler dabei, wodurch unsere Themen auch in die Schulen hineingetragen werden.
Wie sammeln Sie – ganz klassisch auf der Straße?
REINIGER: Wir gehen tatsächlich noch mit Spendenbüchsen herum. Es wird aber immer schwieriger, Schulen und Jugendliche dafür zu gewinnen: Früher hatten wir pro Aktion teils 60 Schüler, die Geld gesammelt haben, zuletzt waren es nur noch drei oder vier.
Welche Aktionen veranstaltet Ihre Arbeitsgruppe noch?
REINIGER: Wir haben immer wieder Ausstellungen zu verschiedenen Themen, Autorenlesungen, Vorträge; wir beteiligen uns am Adalbero-Flohmarkt in der Sanderau, um den Erlös zu spenden.
Welche terre-des-hommes-Aktion war oder ist für Sie besonders wichtig?
REINIGER: Das Internationale Kinderfest Würzburg. Terre des hommes Würzburg hat das Fest 1976 gegründet und es, nachdem die Gruppe nicht mehr die Kapazitäten hatte, 1985 an die DAHW (Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe) übergeben. Diese Art eines Kinderfestes war Mitte der 70er Jahre neu. Anliegen war, den Kindern vor Ort eine Freude zu machen und gleichzeitig auf die Situation anderer Kinder hinzuweisen.
Wie kann man Kindern die Themen von terre des hommes nahebringen?
REINIGER: Sehr gut funktioniert das über eine Art Spiel – wie zum Beispiel „Kinder auf der Flucht“, das wir auch bei unserem Jubiläumsfest anbieten wollen. Kinder sollen dabei ein Gefühl dafür bekommen, wie es Gleichaltrigen geht, die vertrieben werden oder weg müssen. Vieles stellen wir symbolhaft dar, zum Beispiel ein Minenfeld aus Deckeln. Aus verschiedenen Gegenständen sollen die Kinder aussuchen, was sie auf die Flucht mitnehmen. Auch Gefahrensituationen einer Flucht werden nachgestellt: etwa eine Stelle, wo die Kinder heimlich einen Fluss überqueren müssen.
Welche Themen werden noch spielerisch aufgearbeitet?
REINIGER: Beim Thema Kinderarbeit können Kinder zum Beispiel Steine klopfen. Und unsere Aktion „Straßenkind für einen Tag“ ist auch für Schulen und Jugendgruppen gedacht. Um Spenden zu sammeln und sich in die Situation von Straßenkindern hineinzuversetzen, sind die Kinder mit einem Bauchladen unterwegs und „verkaufen“ Artikel von terre des hommes: Bleistifte, Karten, Bücher et cetera. Oder sie putzen Schuhe oder machen Musik.
Gibt es angesichts der Fülle von Kinderhilfsorganisationen so etwas wie Konkurrenz untereinander?
REINIGER: Es sind immer mehr Organisationen dazugekommen – da muss man sich bemühen, die Besonderheit von terre des hommes herauszuarbeiten. Wir sind aber froh, dass auch andere Menschen aktiv werden – letztendlich ist es egal, ob wir oder andere etwas Gutes tun.
Was ist das Besondere an terre des hommes?
REINIGER: Die Projektpartner schätzen die gute Vernetzung – sowohl vor Ort, als auch international; außerdem die Tatsache, dass sie selbst Mitspracherecht haben und ihre Anliegen ernst genommen werden. Viele Mitglieder schätzen es, dass man als Arbeitsgruppe selbst aktiv werden kann, dass nichts von oben vorgeschrieben wird. Außerdem ist terre des hommes eine sehr übersichtliche Organisation: Wenn man Materialien für eine Aktion braucht, weiß man, an wen man sich wenden kann und bekommt diese ganz unkompliziert.
Was schätzen Sie persönlich an terre des hommes?
REINIGER: Dass terre des hommes nicht nur sozial arbeitet, sondern auch politisch ist. Ob bei der UNO-Versammlung in New York oder der Welt-Klimakonferenz: terre des hommes versucht, auch politisch etwas zu erreichen und Veränderungen zu erwirken, allein Mildtätiges gibt es hier nicht. Man ist mit den Projektpartnern auf Augenhöhe.
Welche Konsequenzen hat diese Einstellung?
REINIGER: Bei terre des hommes wird das Bewusstsein immer stärker, dass Entwicklungshilfe nicht darin bestehen muss, alle Länder auf unser Niveau zu heben. Das Ziel von Entwicklung muss nicht gezwungenermaßen Wohlstand sein. Es geht vielmehr darum, ein menschenwürdiges und „gutes“ Leben zu führen. Um dies für alle erreichen zu können, müsste man in reichen Ländern bescheidener werden, den Lebensstandard etwas zurückschrauben und sich untereinander mehr helfen.
Welches Thema steht bei terre des hommes aktuell im Fokus?
REINIGER: Ökologische Kinderrechte - das Recht der Kinder auf eine gesunde Umwelt - sind ein zentrales Thema. In vielen Ländern ist zum Beispiel das Grundwasser durch chemische Betriebe verunreinigt, es herrscht eine hohe Luftverschmutzung. Kinder sind von alldem besonders betroffen, weil sie sehr verletzlich gegenüber Umweltgiften sind. Darüberhinaus steht ihre Zukunft auf dem Spiel.
Können auch Kinder Mitglieder von terre des hommes werden?
REINIGER: Terre des hommes hat eigene Kindergruppen. In Würzburg gibt es keine, aber zum Beispiel in München. Die Gruppe nennt sich „Weltretter“ und ist mit anderen Vereinigungen in Deutschland vernetzt. Bei den nationalen und internationalen Mitgliederversammlungen treten auch immer wieder Jugendliche auf. Das ist beeindruckend, weil sie frischen Wind rein bringen, Ideen haben und begeisterungsfähig sind.
Der Slogan von terre des hommes lautet: „Du bewegst mehr als Du gibst“. Ist das auch Ihre Erfahrung?
REINIGER: Ja, sonst wäre ich nicht schon so lange dabei! Es ist eine schöne Erfahrung, durch den Zusammenhalt in der Gruppe und im Verein etwas bewirken zu können. Allein ist das schwer: Wenn ich etwa eine Patenschaft für ein Kind in Not übernehme, kann ich diesem den Schulabschluss finanzieren, bewege aber sonst nichts. Durch terre des hommes habe ich außerdem sehr viele schöne und bereichernde Kontakte erhalten.