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Würzburg
Würzburgerinnen geben dem Tabuthema Sternenkind ein Gesicht: "Ein gesundes Kind zu bekommen, grenzt an ein Wunder"
Drei Frauen aus der Region Würzburg verbindet eine gemeinsame Erfahrung. Sie haben vor oder nach der Geburt ihr Kind verloren. Sie wollen anderen Frauen Mut machen.
Ramona Hermann, Bianca Grün und Anna Schwack wollen dem Tabuthema 'Sternenkinder' ein Gesicht geben. Sie alle besuchen regelmäßig die Sternenkindergruppe der Malteser in Würzburg.
Foto: Thomas Obermeier | Ramona Hermann, Bianca Grün und Anna Schwack wollen dem Tabuthema "Sternenkinder" ein Gesicht geben. Sie alle besuchen regelmäßig die Sternenkindergruppe der Malteser in Würzburg.
Gina Thiel
 |  aktualisiert: 07.03.2025 02:37 Uhr

Sternenkinder, so nennen Familien ihre Kinder, die kurz nach, während oder vor der Geburt verstorben sind. Oft reißen sie eine tiefe Lücke in das Familienleben und es dauert lang, den Verlust zu verarbeitet. "Ein gesundes Kind zu bekommen, grenzt an ein Wunder", sagt Heike Nitzl. Sie und ihre Kollegin Verena Schmidt leiten die "Sternenkindergruppe" der Malteser Würzburg. Dort sollen Familien einen Ort finden, in dem sie über ihre Trauer und das Erlebte sprechen können, und sich gegenseitig Mut machen.

Auch Anna Schwack, Bianca Grün und Ramona Hermann besuchen die Gruppe regelmäßig. Sie teilen ihre steinige Geschichte und wollen dem Thema "Sternenkinder" ein Gesicht geben. Ihr Ziel: Anderen Betroffenen zeigen, dass sie nicht allein sind.

Anna Schwack aus Thüngersheim (Lkr. Würzburg): Ihr Sternenkind kam still am 6. Dezember 2022 zur Welt

Anna Schwack aus Thüngersheim (Lkr. Würzburg) hatte schwer mit dem Verlust ihres Sternenkindes zu kämpfen.
Foto: Thomas Obermeier | Anna Schwack aus Thüngersheim (Lkr. Würzburg) hatte schwer mit dem Verlust ihres Sternenkindes zu kämpfen.

"Ich hatte eine nullachtfünfzehn Schwangerschaft, ohne Auffälligkeiten im Ultraschall. In der 37. Schwangerschaftswoche hatte ich dann plötzlich Blutungen und bin ins Krankenhaus gefahren. Dort haben die Ärzte keinen Herzschlag mehr bei meinem Kind festgestellt. Für mich ist an dem Tag eine Welt zusammengebrochen. Es war der komplette Kontrollverlust und hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Plötzlich musste ich mir über Dinge Gedanken machen, über die man kurz vor der Geburt gar nicht nachdenken will. Statt Wiege oder Beistellbett mussten wir uns entscheiden zwischen Urne oder Sarg.

Mir wurde gesagt, dass ich übers Wochenende nachhause kann und am Montag meine Geburt eingeleitet wird. Das Wochenende habe ich dann damit verbracht, die kommende Woche für meine anderen Kinder zu organisieren. Ich wusste ja nicht, wie lang ich im Krankenhaus sein werde. Das allerschlimmste an der Situation war unseren Kindern zu erklären, dass wir ins Krankenhaus fahren und ohne Baby zurückkommen werden.

2022 bin ich unter Corona-Bedingungen Montagnacht mit Wehen ins Krankenhaus gefahren, mit dem Wissen, dass ich ein totes Kind in den Arm gelegt bekomme. Ich weiß noch, dass ich es gerade geschafft hatte, mich freizumachen, da ist meine Fruchtblase geplatzt und drei Wehen später kam meine Tochter zur Welt. Die Ärzte haben mir dann gesagt, dass meine Tochter ins Eiswasser gelegt wird, damit sie möglichst lang konserviert wird und wir sind an dem Tag noch nachhause gefahren.
Am nächsten Tag waren wir wieder in der Klinik, mit der Sternenkinder-Fotografin und haben versucht, so viele Erinnerungen wie möglich zu machen.

Bei der Obduktion kam heraus, dass die Nabelschnur an einigen Stellen nicht richtig gedreht war, eine seltene Schwangerschaftskomplikation. Das kann auf eine latente Mangelversorgung deuten, die irgendwann zum Herzstillstand der Kleinen geführt hat. Das ist auch eine Antwort, mit der ich am besten leben kann. Denn ich habe mich natürlich schon gefragt, was ich hätte tun können, damit mein Kind lebend auf die Welt kommt.

Wir hatten gerade in der Anfangszeit sehr viel Unterstützung von unseren Freunden, die uns viele Dinge im Alltag abgenommen haben. Ohne, dass wir darum bitten mussten. Das hat uns sehr geholfen. Ich bin danach nochmal schwanger geworden und habe ein gesundes Kind zur Welt gebracht."

(Auf Wunsch von Anna Schwack veröffentlichen wir den Namen ihres Sternenkindes nicht.)

Bianca Grün aus Kitzingen: Ihr Sternenkind Vincent kam am 20. Mai 2023 zur Welt

Bianca Grün musste für sich entscheiden, ob sie die Schwangerschaft abbrechen oder fortführen will. 
Foto: Thomas Obermeier | Bianca Grün musste für sich entscheiden, ob sie die Schwangerschaft abbrechen oder fortführen will. 

"Ich bin schwanger geworden und weil ich schon über 40 Jahre alt war, habe ich in der 14. Woche einen Test machen lassen auf Chromosomenauffälligkeiten. Auf das Ergebnis musste ich komischerweise lang warten, bis ich dann erfahren habe, dass mein Kind Trisomie 18 hat. Dann musste ich mich entscheiden, ob ich die Schwangerschaft abbrechen oder fortführen will. Das ist eine Entscheidung, die keine Mutter treffen will, vor allem, weil ich den Kleinen zu der Zeit schon gespürt habe. Ich habe die Entscheidung lang rausgezögert, obwohl für meinen Partner klar war, dass ich abbrechen soll. Ich habe mich aber dafür entschieden, mein Kind so lang weiter zutragen, bis er von allein geht. Ich hätte mir sonst ein Leben lang Vorwürfe gemacht, dass ich die Zeit mit ihm nicht genutzt habe.

Gegen Ende der Schwangerschaft waren die Diagnosen gar nicht gut und es war klar, wenn er überhaupt lebend auf die Welt kommt, dann nur für ein paar Stunden. Diese Schwangerschaft war total intensiv, weil ich unheimlich verbunden mit dem Kind war. Bis ich in der 32. Woche gemerkt habe, dass er total unruhig wurde und viel gestrampelt hat im Bauch. Mitten im Supermarkt ist dann die Fruchtblase geplatzt. Ich sage immer, mein Sohn hat gekämpft. So wie ich für ihn in der Schwangerschaft gekämpft habe, hat er während der Geburt für mich gekämpft.

Der schlimmste Moment, den ich nie aus dem Kopf bekommen werde, war, als mir gesagt wurde, dass ich pressen muss. Ich dachte mir nur: Ich bringe jetzt meinen Sohn um, ich will nicht pressen. Aber um 19.19 Uhr kam mein Sohn lebend zur Welt und hat mir eine halbe Stunde geschenkt. Ich bin dann noch ein paar Tage in der Klinik geblieben und habe mich von ihm verabschiedet. Die Entscheidung bereue ich bis heute kein Stück. So konnte ich meinen Vincent wenigstens kurz die Welt erleben lassen.

Meine Schwester hat mir damals viel geholfen und war für mich da. Mein Partner hat mich kurze Zeit später verlassen. Meine Freundinnen haben mich jeden Tag angerufen und gefragt, wie sie mir helfen können. Und auch der Vater meines ersten Sohnes hat mir oft unter die Arme gegriffen."

Ramona Hermann aus Wolkshausen (Lkr. Würzburg): Ihr Sternenkind Michael ist am 1. Mai 2023 geboren

Bei Ramona Hermanns Sohn Michael konnte in der 21. Schwangerschaftswoche kein Herzschlag mehr festgestellt werden. 
Foto: Thomas Obermeier | Bei Ramona Hermanns Sohn Michael konnte in der 21. Schwangerschaftswoche kein Herzschlag mehr festgestellt werden. 

"Ich hatte eine völlig unkomplizierte Schwangerschaft. Silvester haben mein Mann und ich darauf angestoßen, dass wir im neuen Jahr zu viert sein werden. Dann kam der 28. April und ich hatte plötzlich Blutungen. Ich dachte, dass das mal passieren kann, aber wir sind trotzdem ins Krankenhaus gefahren. Beim Ultraschall konnte dann kein Herzschlag mehr festgestellt werden. Ich war damals in der 21. Schwangerschaftswoche, aber mein Kind war noch auf dem Entwicklungsstand von der 18. Woche. Ich hatte also drei Wochen ein totes Kind im Bauch, ohne es zu merken. Nach der Nachricht sind wir erstmal nachhause gefahren und weil ich meinen lebenden Sohn Emil in den Arm nehmen wollte.

Zu Hause habe ich die ganze Nacht nicht geschlafen, sondern alles zum Thema Sternenkinder gelesen, was ich im Internet finden konnte. Als mein Mann am nächsten Tag wachgeworden ist, habe ich ihn total überrannt, weil ich bereits alle Entscheidungen getroffen und alles geplant hatte. Zwei Tage später sind wir dann ins Krankenhaus gefahren und die Geburt wurde eingeleitet. Bis zur 20. Woche kann man noch im Krankenbett entbinden, also durfte ich auf dem Zimmer bleiben. Dann ging alles wahnsinnig schnell und kurz nach der Einleitungstablette kam mein Michael zur Welt, ohne dass eine Ärztin oder Hebamme im Raum waren.

Ich fand das gar nicht schlimm, weil wir so bei der Geburt allein mit unserem Kind waren. Wir wussten damals das Geschlecht noch nicht und mir war es erstmal ganz wichtig zu schauen, ob es ein Junge oder Mädchen war, um ihm einen Namen zu geben. Als die Hebamme kam, war sie total nett und konnte sehr gut mit mir umgehen. Anschließend musste ich noch zur Ausschabung. Als ich danach auf der Intensivstation aufgewacht bin, war wegen des Feiertags und Schichtwechsels nicht genug Pflegepersonal da. Ich lag dort eine Stunde allein und das war die schlimmste Zeit für mich. Es war der blanke Horror, ich habe nur geweint, weil ich einfach nur zu meinem Mann wollte und in den Arm genommen werden wollte, aber ich war ganz allein.

Auch die Zeit danach war für mich sehr schlimm. Je näher der eigentliche Geburtstermin gerückt ist, desto schlimmer wurde es für mich. Besonders als andere Kinder geboren wurden, die ähnliche Geburtstermine hatten. Ich war damals so wütend auf mich selbst, weil ich mein Kind habe sterben lassen. Das hat ganz lang gedauert, bis ich verstanden habe, dass ich nichts hätte machen können.

Für uns war es eine große Entlastung, dass sich unsere Familie in der Zeit um unseren älteren Sohn gekümmert hat. Ich wusste, wenn ich nicht mehr kann oder wir keine Kraft mehr haben, dann sind sie da und sorgen für Emil."

Die "Sternenkinder"-Gruppe der Malteser Unterfranken trifft sich in regelmäßigen Abständen in Würzburg. Betroffene können sich unter Tel.: 0931 4505227 melden oder über die Webseite der Malteser.

 
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Kommentare
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  • Martin Arold
    Vielen Dank Ramona, Bianca und Anna für das mitteilen Ihrer persönlichen Sternenkinder Leidensgeschichten. Es war sehr bewegend zu lesen.
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