"Katastrophal!" So sieht die personelle Lage in den Kinder- und Jugendhilfe-Einrichtungen in Stadt und Landkreis Schweinfurt aus. Die Franziskusschule Schweinfurt musste bereits fünf Gruppen in ihrer Heilpädagogischen Tagesstätte (HPT) schließen, weil sie zu wenig Fachkräfte für die Betreuung der Kinder und Jugendlichen hat. Das Kinderheim Maria Schutz in Grafenrheinfeld hat eine Gruppe aufgelöst, weil freie Stellen nicht besetzt werden konnten. Das Haus Marienthal konnte mangels Erzieherinnen und Erziehern eine Wohngruppe in Forst nach deren Sanierung nicht mehr wiedereröffnen. Und in Oberlauringen, in der integrativen heilpädagogischen Jugend- und Behinderteneinrichtung, macht das pädagogische Personal Überstunden ohne Ende, um den Betrieb zu gewährleisten.
Es fehlt überall an pädagogischem Personal. Freie Stellen können nur schwer oder gar nicht besetzt werden. Zu wenig junge Menschen ergreifen den Erzieherberuf. Und die wenigen, die mit der Ausbildung fertig werden, gehen meist als Erzieherin oder Erzieher in den Kindergarten. Mit geregelten Arbeitszeiten, freien Wochenenden und ohne Schichtdienst. Die Folge ist ein eklatanter Fachkräftemangel vor allem in stationären und ambulanten Fördereinrichtungen. So prognostiziert die Arbeitsgemeinschaft für Kinder und Jugendhilfe (AGJ) für 2025 eine Lücke von 125 000 Mitarbeitenden in den pädagogischen Handlungsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe. Es sei sogar mit einem noch stärkeren Anstieg des Bedarfs zu rechnen, wenn der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung realisiert wird und der Ausbau an außerschulischer Kinderbetreuung zunimmt, heißt es.
Kaum Bewerbungen auf freie Stellen
"Wir sind noch ganz gut aufgestellt", sagt Hubert Lutz, der Leiter der Caritas-Fördereinrichtung Carl Sonnenschein in Schweinfurt. Doch der Mangel an Nachwuchskräften mache sich auch in seinem Haus bemerkbar. "Es gab Zeiten mit 70 Bewerbungen auf eine freie Stelle", erinnert sich Lutz. Heute habe man nicht mal mehr eine Auswahl unter den wenigen Bewerbern. "Nur eine einzige Bewerbung" hat Stefanie Kimmel, die Leiterin des Kinderheims Maria Schutz in Grafenrheinfeld, auf eine breit gestreute Anzeigenkampagne im vergangenen Jahr erhalten. Zu wenig, um den Bedarf decken zu können. Die Folge: Das Kinderheim musste eine von sechs Gruppen auflösen und einen Aufnahmestopp verhängen. Aktuell stehen deshalb nur 50 Plätze zur Verfügung.
"Die Personalakquise war noch nie so schwierig wie jetzt", sagt Kimmel. Selbst die Agentur für Arbeit könne kein pädagogisches Personal vermitteln, "weil es keine Erzieher auf Halde gibt". Das bestätigt auch Rainer Brandenstein, der Geschäftsführer der evangelischen Kinder- und Jugendeinrichtung Haus Marienthal: "Wir schaffen es gerade noch so, die freien Stellen zu besetzen."
Der Franziskusschule ist das nicht mehr gelungen. Sie konnte zu Beginn des neuen Schuljahres fünf Betreuungsgruppen in der Heilpädagogischen Tagesstätte nicht mehr öffnen. "Wir haben jede Menge unbesetzter Stellen", begründet Melanie Lammert diesen Schritt. Die stellvertretende Leiterin der Einrichtung hilft aufgrund der Personalknappheit sogar selbst in der Gruppenarbeit aus und sagt: "So eine Situation hatten wir noch nie." Leidtragende seien vor allem die Kinder, denen nun die für ihre Entwicklung so wichtige Struktur fehle. Berufstätige Eltern stehen zusätzlich vor dem Problem, dass sie plötzlich keine Betreuung mehr für ihr Kind haben. "Wir versuchen, Hilfe zu vermitteln", sagt Melanie Lammert, aber freie Plätze gibt es in anderen Einrichtungen ja auch nicht. Für Härtefälle hat die Franziskusschule eine Notgruppe eingerichtet.
"In den nächsten zwei, drei Jahren wird es richtig kritisch", befürchtet Diplom-Psychologe Hubert Lutz. Der Fachkräftemangel werde sich weiter verschärfen. Doch warum ist der Erzieherberuf so unattraktiv geworden? Lutz ist Mitglied im Fachausschuss "Fachkräfte in den Erziehungshilfen" im Bundesverband katholischer Einrichtungen (BVkE) und hat sich intensiv mit dieser Thematik auseinandergesetzt. Ein großes Problem sieht er in der geringen gesellschaftlichen Anerkennung von Erzieherinnen und Erziehern, die einen Spagat zwischen neuen Herausforderungen, ungenügender Bezahlung und gesellschaftlicher Relevanz zu bewältigen hätten. "Das Image muss dringend verbessert werden", meint Lutz. Dazu bedürfe es in erster Linie attraktivere Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen und eine deutlich bessere Bezahlung.
Keine Perspektive für junge Berufseinsteiger
Thema Ausbildung: Die lange Ausbildungszeit von fünf Jahren für Erzieherinnen und Erzieher wurde zwar auf vier Jahre verkürzt, aber zu Lasten der Praxis. Das hält Lutz inhaltlich für falsch. "Das war ein Schnellschuss und ist nicht durchdacht." Hinzu komme die unzureichende Vergütung, die auch nach der Ausbildung in einem nicht vertretbaren Verhältnis zur erbrachten Leistung stehe. Als Berufseinsteiger verdient man knapp 3000 Euro brutto. Das biete jungen Menschen keine wirkliche Perspektive. Gerade im Bereich der stationären Erziehungshilfe mit herausfordernden jungen Menschen sowie Schicht- und Wochenenddiensten sei das keine leistungsgerechte Entlohnung.
Thema Arbeitsbedingungen: Durch die Zusammenführung der Leistungen für junge Menschen mit und ohne Behinderung unter dem Dach der Kinder- und Jugendhilfe steigen die fachlichen Ansprüche und die Aufgaben. "Bei uns muss sich deshalb auch der Personalschlüssel verbessern", fordert Lutz. Hinzu kommt, dass für die Nachmittagsbetreuung in den Heilpädagogischen Tagesstätten meist nur Teilzeitstellen angeboten werden können, mit denen sich Alleinverdiener aber kaum über Wasser halten können.
Bundesverbände für Erziehungshilfe fordern Fachkräftestrategie
Doch wie und wer soll das personelle Problem lösen? Die Bundesverbände für Erziehungshilfe fordern von Bund, Ländern und Kommunalen Spitzenverbänden eine konzertierte Fachkräftestrategie für die gesamte Kinder- und Jugendhilfe. Von den Tarifparteien fordern sie attraktivere Bezahlung und flexiblere Personaleinsatzmodelle. Auch die Fach- und Hochschulen nehmen sie mit der Erhöhung der Praxisanteile im Studium in die Pflicht.
"Es braucht einen Paradigmenwechsel", richtet Melanie Lammert auch einen Appell an die Gesellschaft. "Wir leisten wichtige Arbeit, das muss in der Mitte der Gesellschaft ankommen."