zurück
Schweinfurt/Berlin
Zoff in der Linken: Warum Klaus Ernst Verständnis für Oskar Lafontaines Austritt hat
Nicht zuletzt wegen des Ukraine-Kriegs ist die Linke heillos zerstritten. Jetzt schmeißt Gründer Oskar Lafontaine hin. Zieht der Schweinfurter Klaus Ernst nun ebenfalls Konsequenzen?
Klaus Ernst vertritt die Schweinfurter Linke seit 2005 im Deutschen Bundestag.
Foto: Michael Kappeler, dpa | Klaus Ernst vertritt die Schweinfurter Linke seit 2005 im Deutschen Bundestag.
Michael Czygan
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:04 Uhr

Paukenschlag bei der Linken: Oskar Lafontaine erklärte am Donnerstag den Austritt aus der Partei.  Im Interview äußert der Schweinfurter Bundestagsabgeordnete Klaus Ernst Verständnis für den Schritt des Saarländers. Ernst war wie Lafontaine jahrzehntelang SPD-Mitglied. Aus Protest gegen die Agenda 2010 der rot-grünen Bundesregierung schlossen sie sich 2005 der Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG) an, aus der 2007 die Partei "Die Linke" hervorging. Klaus Ernst war von 2010 bis 2012 einer von zwei Bundesvorsitzenden. Seit 2005 gehört der 67-Jährige dem Deutschen Bundestag an, aktuell ist er Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft und Klimaschutz.

Frage: Oskar Lafontaine hat seinen Austritt aus der Linken erklärt. Sie, Herr Ernst, haben die Partei beziehungsweise den Vorgänger WASG im Jahr 2005 gemeinsam mit ihm gegründet. Können Sie verstehen, dass er jetzt hinschmeißt?

Klaus Ernst: Ja, absolut. Ich finde, seine Begründung ist sehr nachvollziehbar. Auch ich nehme seit einigen Jahren eine Veränderung in der Ausrichtung der Partei wahr. Die Linke kümmert sich immer weniger um die Interessen und Probleme von Rentnerinnen und Rentnern, der abhängig Beschäftigten oder von Menschen im Hartz- IV-Bezug. Stattdessen werden Themen aufgegriffen, die dem Zeitgeist entsprechen, die aber nichts mit unserem Gründungskonsens zu tun haben.

Haben Sie Beispiele?

Ernst: Wir haben über das Gendern diskutiert, über offene Grenzen, über antimuslimischen Rassismus, darüber, ob man "Mohren"-Apotheken umbenennen muss. Über diese Fragen kann man diskutieren, da muss ein Linker auch eine Meinung haben. Aber wir dürfen sie nicht in den Vordergrund unserer Debatten stellen, so wie wir es getan haben. In der Außenwahrnehmung der Linken haben unsere Kernthemen - wie Fragen der Löhne, der Renten oder der Arbeitsbedingungen - zuletzt kaum noch eine Rolle gespielt. Deshalb haben wir massiv an Zustimmung verloren und wären bei der Bundestagswahl fast aus dem Parlament geflogen.

Bei Oskar Lafontaine kommen noch persönliche Enttäuschungen hinzu.

Ernst: Er musste permanent sehr persönliche Anfeindungen ertragen, ohne Solidarität vom Parteivorstand zu erfahren. Völlig irre war zuletzt noch das im Saarland angestrengte Parteiausschlussverfahren. Dabei haben viele, die sich gegen Oskar positioniert haben, ihre Mandate nicht zuletzt ihm zu verdanken. Ohne Oskar Lafontaine wird sich die Partei noch schwerer tun, überhaupt wahrgenommen zu werden.

Auch Sie sind zuletzt von Teilen Ihrer Partei angegriffen worden. Gregor Gysi hat ihre Haltung zum Krieg in der Ukraine öffentlich kritisiert. Ihre Würzburger Parteifreundin Simone Barrientos hat die Partei wegen der ungeklärten Position zu Wladimir Putin verlassen. Sind Sie ein Putin-Versteher?

Ernst: Was ist daran falsch, wenn man versucht, jemanden zu verstehen? Ich sage Ihnen ganz deutlich: Dieser Krieg in der Ukraine ist menschenverachtend, er ist verbrecherisch und durch nichts zu rechtfertigen. Putin ist dafür verantwortlich. Aber bei der Ursachenforschung sollte es möglich sein, darauf hinzuweisen, dass auch der Westen und die Ukraine in der Vergangenheit viele Fehler gemacht haben.

Was bedeutet das für die aktuelle Politik?

Ernst: Allein die Heldenhaftigkeit des ukrainischen Präsidenten Selenskyj zu beklatschen, ist zu wenig. Wir dürfen uns von ihm nicht in einen Weltkrieg ziehen lassen, das würde letztlich auch den Ukrainern nichts nützen. Wir müssen Vernunft bewahren. Solidarität mit den Ukrainern darf nicht bedeuten, jede ihrer Forderungen zu erfüllen.

Das passiert doch gar nicht.

Ernst: Vorsicht, Vorsicht… Die Forderung der Ukraine nach einer Flugverbotszone würde die direkte Konfrontation zwischen Atommächten bedeuten. Die Ukraine will einen Boykott sämtlicher russischer Energielieferungen. Zum Glück hält auch Wirtschaftsminister Habeck noch dagegen. Ohne Öl und Gas aus Russland droht in Europa eine harte Wirtschaftskrise mit Massenarbeitslosigkeit und sozialen Verwerfungen. Das würde auch die Solidarität hierzulande mit der Ukraine gefährden.

Warum lehnen Sie jegliche Waffenlieferungen an die Ukraine ab?

Ernst: Jede Waffe, die wir liefern, verlängert den Krieg und das Sterben.

Was ist die Alternative?

Ernst: Keine Frage, der Krieg muss schnellstens beendet werden. Ich bin leicht optimistisch, dass sich jetzt etwas bewegt.

Wie könnte die Lösung aussehen?

Ernst: Zu allererst braucht es einen Waffenstillstand. Eine Friedensregelung könnte beinhalten, dass die Krim bei Russland landet, die Gebiete im Donbass eine Art Autonomie-Status erhalten und die übrige Ukraine neutral wird – mit Sicherheitsgarantieren des Westens und der Russen für die Ukraine. Auf Dauer müssen wir eine neue Sicherheitsstruktur für Europa entwickeln - gemeinsam mit Russland. Das wurde nach dem Ende des Kalten Krieges trotz mancher Zusagen versäumt.

Lafontaine hat der Linken eine Abkehr von ihren friedenspolitischen Grundsätzen vorgeworfen.

Ernst: Es finden Diskussionen statt. Schauen Sie, Afghanistan ist der traurige Beweis, dass wir mit unserem Nein zu Militäreinsätzen der Bundeswehr all die Jahre recht hatten. Das muss für uns Linke der Maßstab bleiben neben der sozialen Frage.

Bleiben Sie in der Partei?

Ernst: Ich habe nicht vor, heute auszutreten.

Und morgen?

Ernst: Eine Partei ist eine Zweckgemeinschaft zur Durchsetzung politischer Ideen. Wenn ich meine dort nicht mehr wiederfinde, müsste ich gehen. Noch sehe ich eine Chance für meine Überzeugungen in der Linken zu kämpfen, allen voran für die Interessen der kleinen Leute.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Schweinfurt
Ochsenfurt
Michael Czygan
Bundestagsabgeordnete
Bundeswehr
Deutscher Bundestag
Die Linke
Gregor Gysi
Klaus Ernst
Oskar Lafontaine
Waffenlieferungen
Waffenstillstand
Wahlen zum Deutschen Bundestag
Weltkriege
Wladimir Wladimirowitsch Putin
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • O. L.
    Im Grunde ist es mir völlig egal, wer für wen bei den Linken Verständnis zeigt.
    Ich habe kein Verständnis für Die Linken!
    Wer Mauerschützen verteidigt, Anti-Personenminen beschönigt und die DDR nicht als Unrechtsstaat anerkennt, ist undemokratisch und ein Verfassungsfeind.

    Die Linken schaffen sich selbst ab, und das ist gut so!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • M. S.
    Das Grundproblem der Linken ist das sie ihre eigentliche potentielle Wählerschaft nie mobilisieren können. Das ist aber nicht nur die Schuld der Partei sondern auch die Schuld der potentiellen Wähler dieser Partei die es vorzieht lieber auf eine Wahl zu verzichten und dann über alle möglichen Ungerichtigkeiten zu jammern.

    Da kann man als Partei schon einmal auf den Gedanken kommen es mit anderen Themen zu versuchen, damit hat sich die Linke aber gewaltig verzettelt. Es gibt wohl äußerst wenige Wähler anderer Parteien die zu alternativ auch die Linken wählen würden.

    Dazu gibt es gerade bei er kleinen Linkspartei verhältnismäßig viele Personen die Meinungen vertreten die man in keinster Weise befürworten kann.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • G. S.
    Ach der Herr Ernst. Nimmt den überhaupt jemand so, wie er heisst? Ein Arbeiterführer aus Schweinfurt mit Porsche und Almhütte - sozusagen der Oligarch auf Provinzniveau.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • K. S.
    Sie sollten besser recherchieren. Dann würden Sie nicht soviel Unsinn schreiben. Probiere Sie es einfach nochmal.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • B. D.
    @henni
    ich hab mal versucht besser zu recherchieren und musste einmal mehr feststellen, dass in westlichen Medien auch nicht alles eins zu eins wieder gegeben wird

    https://www.youtube.com/watch?v=mHzDonjwYZg
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Veraltete Benutzerkennung
    Auf eigenen Wunsch entfernt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • L. W.
    Werter Herr Ernst,

    Putin gab dereinst in 1994 der Ukraine eine Sicherheitsgarantie.

    Schon 20 Jahre später überfiel eben jener Putin den Osten der Ukraine und riss sich die Krim unter den Nagel.

    Was ist also eine Sicherheitsgarantie Russlands wert unter einem Kremlführer Putin?
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • K. S.
    Echt, Putin gab 1994 eine Sicherheitsgatantie für die Ukraine?
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • L. W.
    @ henni

    Im Zusammenhang mit der Übertragung der sowjetischen Atomwaffen, die in der Ukraine einst stationiert waren, an Russland gab es diese Garantie für die Unverletzlichkeit der ukrainischen Grenzen.
    Putin war damals zwar noch nicht Präsident Russlands, aber an der Entstehung dieser Garantie als Geheimdienstchef sicher beteiligt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Veraltete Benutzerkennung
    "Ernst: [...] Eine Friedensregelung könnte beinhalten, dass [...] die [übrige] Ukraine neutral wird – mit Sicherheitsgarantieren des Westens und der Russen für die Ukraine."

    Moooment ... Das kommt mir - in etwas anderer Form - irgendwoher bekannt vor -- Ach ja!
    https://de.wikipedia.org/wiki/Budapester_Memorandum

    Seltsam aber auch!

    Wer sich mehr dazu in satirischer Weise als Video zu Gemüte führen mag dem sei "Die Anstalt" vom 29.04.2014 zu empfehlen. Einfach "ergooglen" ...
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • P. K.
    Der Herr Ernst hat anscheinend noch nicht verstanden, dass man mit einem Irren wie Putin keine Verträge abschließen kann. Zumindest nicht wenn man selbst an den Wert der Verträge glaubt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten