Die 33-jährige Altenpflegerin ist am späten Nachmittag des 1. Mai in einem Pflegeheim im Landkreis Schweinfurt gerade einer Bewohnerin auf der Demenz-Station beim Essen behilflich, als sie aus einem Nachbarzimmer ein Wimmern hört – leise, aber bedrohlich wirkend. Sofort eilt sie dorthin und sieht, wie die Zimmerbewohnerin gerade von einem Mitbewohner, der dort nichts verloren hat, mit dem Gesicht auf eine Stoffdecke gedrückt wird, die auf dem Tisch liegt.
Beim Anblick der Pflegerin hört der 88-Jährige sofort auf damit und verlässt mit ihr widerstandslos das Zimmer. Er sagt zu ihr noch: "Die sind doch alle irre, man muss euch helfen und die wegmachen." So schildert es die Altenpflegerin vor der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Schweinfurt, so steht es in der Antragsschrift des Staatsanwalts.
Dem Senior wird gefährliche Körperverletzung vorgeworfen, begangen jedoch "im Zustand der Schuldunfähigkeit". Zur Tatzeit habe er an Demenz gelitten, weshalb er nicht in der Lage gewesen sei, das Unrecht der Tat einzusehen. Der 88-Jährige gilt deshalb nicht als Angeklagter, sondern "Beschuldigter". Ihm droht auch keine Haftstrafe, aber die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung, falls ihn das Gericht als gefährlich für die Allgemeinheit einschätzt.
Freundlich, aber mit Aussetzern
Darauf deutet manches hin. "Er war meistens freundlich und zuvorkommend", sagt die Pflegerin, "aber er hatte seine Aussetzer." Mit einem Holzhandlauf sei er kurz davor einmal auf andere losgegangen oder habe Handtücher über den Köpfen von Mitbewohnern geschwungen. "Er wirkte mit am fittesten und ist wohl nicht damit klargekommen, dass alle anderen dement sind."
Als "völlig ruhig, nicht aggressiv" schildert ein Polizeizeuge den Beschuldigten nach dem Vorfall. Die hinzugerufene Notärztin fand das Opfer der Attacke mit "hochrotem Gesicht" und sehr verschreckt vor, aber mit stabilem Kreislauf und nicht weiter behandlungsbedürftig.
Wie gefährlich war der Angriff des 88-Jährigen auf seine Mitbewohnerin? Jedenfalls "nicht akut lebensbedrohlich", sagt der Rechtsmediziner aus Würzburg – wohl weil die Altenpflegerin rechtzeitig dazu kam. Länger als 20 bis 30 Sekunden könne er das Gesicht der Geschädigten nicht auf die Decke gedrückt haben, weil keine Bewusstlosigkeit und außer subjektiver Atemnot keine weiteren Schäden eingetreten seien.
Zur Tatzeit schuldunfähig
Seit dem Vorfall im Pflegeheim ist der Beschuldigte vorläufig in der Forensik untergebracht. Der psychiatrische Sachverständige bescheinigt ihm "massive Störungen des Altzeit- und Kurzzeitgedächtnisses". Tatsächlich erinnert sich der Senior offenbar weder an seinen Übergriff auf die Mitbewohnerin, noch an die Pflegekraft, die dazwischenging und jetzt als Zeugin vor ihm saß, ja nicht einmal daran, jemals in dieser Einrichtung gewesen zu sein. Der Gutachter sieht eine Demenz des Beschuldigten vorliegen, seine Einsichts- und Schuldfähigkeit seien zur Tatzeit aufgehoben gewesen.
Und, so der Psychiater: Solange der 88-Jährige noch so rüstig und anderen gegenüber überlegen sei, stelle er eine Gefahr für die Allgemeinheit dar. Deshalb lägen alle Voraussetzungen zu seiner Unterbringung vor – doch die Forensik sei dafür ungeeignet. Eine geschlossene Einrichtung müsse es sein, die Erfahrung mit Demenzpatienten hat, die zur Aggressivität neigen. Und: "Ein Einzelzimmer für ihn und Personal, das aufpasst, dass nichts passiert." Der Sicherungsverfahren wird am 4. Dezember um 14 Uhr fortgesetzt. Dann ist mit einem Urteil zu rechnen.