Egal, wie man zur Partei Die Linke steht. Man sollte ihr neidlos zugute halten: Sie hat Humor. Und sie hat Leute in ihren Reihen, die zu den besten Rednern im Politikgeschäft gehören. Beides war am Mittwoch vor der Wahl in Schweinfurt beim Wahlkampfendspurt zu erleben. Am Infostand hingen rote Socken. Und auf der Papiertüte, die Bundestagsabgeordneter und Direktkandidat Klaus Ernst in der Hand hielt, stand "Da könnte mehr drin sein".
Das ist die zentrale Botschaft. Der Spruch ist aber auch ein schönes Motto für den Auftritt von Gregor Gysi an diesem Tag. Er legte auf dem Wichtermann-Platz dar, wo in Deutschland mehr drin sein könnte. Erheblich mehr. Und wo seiner Meinung nach definitiv zu wenig oder gar nichts drin ist.
Er hat keine Parteiämter mehr und ist dennoch eine der prägendsten Figuren der Linken
Gregor Gysi ist kein Fraktionsvorsitzender mehr, er sitzt nicht mehr im Vorstand der Partei. Aber er ist weiter eine prägende und präsente Figur. Und er ist jemand, der die Menschen anzieht – bekanntermaßen nicht nur die eigenen Wählerinnen und Wähler. Es sind etliche Leute gekommen, die ihr Kreuz ganz woanders machen werden, aber dennoch den brillanten Redner schätzen. Oder schlicht neugierig sind auf den Mann mit der Glatze, der Nickelbrille und dem immer etwas schiefen Lächeln.
Reden kann Gysi. Was er sagt, ist überlegt, geschliffen, elegant. Und trotzdem klar und verständlich. Es macht Freude, ihm zuzuhören. Das liegt sicher auch daran, dass er nie bösartig wird, dass er nie unter die Gürtellinie geht, wenn er über politische Gegner spricht. Oder wenn er anprangert, was sie seiner Meinung nach falsch oder gar nicht angepackt haben. Persönlich verletzen, zerstören gar, ist nicht sein Ding.
Gregor Gysi rät der Union zur Regeneration in der Opposition
Man kann auch sehr elegant Komplett-Versagen diagnostizieren. Etwa am Beispiel der Union (Afghanistan, Hochwasser-Katastrophe) und ihres Kanzlerkandidaten Armin Laschet. Die Linke werde Laschet auf keinen Fall zum Kanzler wählen, verspricht Gysi. Und zwar zum Besten der Union: Die brauche nämlich eine Findungsphase. "Das geht am besten in der Opposition, glauben Sie mir." Bei diesem wichtigen Schritt wolle man CSU und CDU gerne helfen. Dafür gibt's Applaus und Heiterkeit.
Gregor Gysi sieht aber jenseits von Parteien und Kandidaten ein strukturelles Problem: "Sie können am Sonntag wählen, wer der nächste Bundeskanzler sein soll", sagt er. "Aber wer der Chef der Deutschen Bank ist oder wer bei Daimler-Benz an der Spitze steht, können Sie nicht bestimmen. Die Bosse entscheiden, was die Regierung macht. Nicht umgekehrt."
Wenn die Wirtschaft entscheide, gebe es Leiharbeit, Werkverträge: "Das gehört verboten." Auch mit dem zu niedrigen Mindestlohn drifte die Schere zwischen Arm und Reich immer mehr auseinander. 2,8 Millionen Kinder in Deutschland lebten in Armut. "Das haben diese Kinder nicht verdient."
Dem Schreckgespenst des "Linksrutschs" setzt Gysi die Gefahr von Rechts entgegen
Für Gysi selbst wäre es kein Problem, wenn er mehr Steuern zahlen müsste. Die Linke will Leute, die mehr als 8500 Euro brutto haben, stärker besteuern. Darunter fielen dann auch Bundestagsabgeordnete. "Das ist doch nur gerecht", sagt er. Sein Rat für die Wahl: "Trauen Sie keinem, der sagt, er will selbst nicht mehr Steuern bezahlen."
Das bestehende Schulsystem sieht Gregor Gysi als sozial ausgrenzend: "Wenn wir die Kinder nach der vierten Klasse trennen, gibt es keine Chancengleichheit." Und auch das Linke-Thema schlechthin spricht er an: Mieten. Bezahlbar wohnen und in Würde leben können, sei so etwas wie ein Grundrecht. Deswegen sollte der nächste Bundestag einen Mietdeckel für ganz Deutschland beschließen.
Zum Schluss geht Gysi auf das Schreckgespenst der Konservativ-Liberalen bei diesem Wahlkampf ein: Den "Linksruck", der durch Rot-Rot-Grün, also eine Regierung aus SPD, Linken und Grünen, durch Deutschland fegen werde. Gysi sieht eher die Gefahr eines Rechtsrucks. Ohne Linksruck gebe es vielmehr Stillstand. Gysi hat sich viel Zeit genommen für seinen Auftritt, ist auch vor und nach der Rede gefragt, nicht nur als Foto-Partner. Zu seinen vielen Berufen sei jetzt einer dazu gekommen, witzelt er: "Model". Kandidat Klaus Ernst gibt dazu gern den Fotografen. Und modelt mit.