Eines mag Johanna Uhl-Martin überhaupt nicht: wenn jemand von Homeschooling spricht. Damit assoziiere sie, dass Eltern ihre Kinder zuhause beschulen, fernab des Lehrplans, wie es in Deutschland schon seit 1919 verboten ist. Auch im Corona-Lockdown mache sie "normalen Unterricht", sagt die Lehrerin am Walther-Rathenau-Gymnasium in Schweinfurt. Nur eben digital, "mit der gleichen Leidenschaft", so die 38-Jährige. Nicht trotz, sondern gerade wegen der neuen technischen Möglichkeiten.
Uhl-Martin hat zum Thema "Informelles Englischlernen mit digitalen Technologien" promoviert. Nun schult sie Lehrerkollegen deutschlandweit. Für die Schweinfurterin gibt es ein Erfolgsrezept: "Lehrer müssen sich trauen. Das wissen die Schüler zu schätzen." Das Protokoll einer Englischstunde:
9.30 Uhr: Emma Liebold fährt ihren Computer hoch. Gleich beginnt der Unterricht. Die 14-jährige Schweinfurterin besucht eine Tablet-Klasse. "Zum Glück habe ich mich schon vor Corona angemeldet", sagt Emma. So hatte sie zumindest die richtige Ausstattung für den Online-Unterricht. 400 Kilometer entfernt sitzt Lehrerin Johanna Uhl-Martin an ihrem Schreibtisch in Hannover. In der Wohnung ihres Mannes. Vor ihr auf dem Tisch steht ein Laptop, ein zusätzlicher Bildschirm und ein Tablet. Gern loggt sie sich mit zwei Geräten gleichzeitig auf der Lernplattform ein. So kann sie an einem Bildschirm arbeiten und den anderen für ihre Schüler teilen, sprich: sichtbar machen.
9.40 Uhr: Auf die Sekunde pünktlich tauchen 27 Kinder mit Namen und Profilbild auf dem Monitor auf. "Früher war die 8. Klasse mal ein wilder Haufen", sagt Uhl-Martin und lacht. Nun recken sich fleißig virtuelle Hände in die Höhe, als die Lehrerin sie auffordert, sich erst einmal auf Englisch "warm zu reden" und ihre Profilbilder zu erklären. Emma wird aufgerufen. Sie beschreibt einen Ausschnitt aus dem Deckenfresko der Sixtinischen Kapelle in Rom von Michelangelo." Diese Hände aus der Erschaffung Adams finde ich einfach schön", sagt die Schülerin auf Englisch. Solche kleinen Spiele machen ihr Spaß. "Die Stunden bei Frau Uhl sind wie Luxus", erzählt die 14-Jährige. Manche Lehrer bieten keine Videokonferenzen an. Andere übermitteln nur Arbeitsaufträge. Während Emma spricht, haben alle anderen 26 ihre Mikrofone ausgeschaltet. Kein Rascheln im Hintergrund ist zu hören. Keine Ermahnung ist nötig. "Die Schüler sind an den Fernunterricht gewöhnt", sagt Uhl-Martin. "Sie waren zig Mal in Quarantäne."
9.50 Uhr: Die Schüler öffnen ihre Hausaufgabe. Dafür kramen sie ihre virtuellen Notizen aus ihren virtuellen Ordnern der App "One Note" hervor. Fast alle sitzen am Schreibtisch in ihren Kinderzimmern. Im Hintergrund blickt man auf Kleiderschränke, Bücherregale, Posterwände. Ein Schüler liest seine Hausaufgabe - eine E-Mail an einen Konzertveranstalter - vor. "Nice one", lobt die Lehrerin. "Das ist eine perfekte E-Mail." Wie in der Schule läuft die Stunde ohne Pause. Gesprochen wird ausschließlich Englisch. Das Programm für den Unterricht ist "MS Teams", eine Konferenzplattform von Microsoft. Seitens des Kultusministeriums war diese lange verpönt. So lange, bis die bayerische Lernplattform Mebis regelmäßig wegen Überlastung in die Knie ging, sagt Uhl-Martin. Mittlerweile werde Teams sogar empfohlen.
9.55 Uhr: Die Lehrerin öffnet eine Präsentation, die sie im Vorfeld mit "Key Note" erstellt hat. Die virtuelle Tafel zeigt den Schülern das Foto eines Londoner Denkmals. "Was könnte das sein?", fragt Uhl-Martin. Max Seemann meldet sich: "Auf dem Bild ist ein Denkmal in Form einer dorischen Säule zu sehen", sagt er. Der 14-Jährige mag diese abwechslungsreiche Art des Unterrichts: "Mal gibt es ein Quiz, mal ein Rätsel oder ein Spiel und wir recherchieren auch im Internet." Die Schüler erraten, dass es sich um "The Monument to the Great Fire of London" handelt, das an den großen Stadtbrand von 1666 erinnert.
10 Uhr: Nun soll die Klasse weitere Fakten über das Denkmal auf den Internetseiten des britischen Wikipedia herausfinden und die Ergebnisse in ihre "One-Note-App" auf ein vorbereitetes Arbeitsblatt eintragen. "Später teilen wir die Notizen auf dem Bildschirm", sagt Max. Selbstständig, produktiv und kreativ sollen die Jugendlichen arbeiten, so Uhl-Martin. Sie sollen lernen, digitale Medien kritisch zu nutzen, vertrauenswürdige von unseriösen Quellen zu unterscheiden und Urheberrechte im Internet kennen.
10.10 Uhr: Kinga Lekawski ist fertig mit der Recherche und teilt ihre Ergebnisse mit der Klasse. "Englisch war für mich anfangs sehr schwer", erzählt sie. Die Online-Stunde mache ihr Spaß, trotzdem denkt sie oft an die Schule. "Ich vermisse unsere Klasse und die Pausen", sagt die 14-Jährige. "Und ich möchte mal wirklich mit den Lehrern sprechen – nicht nur virtuell." Auf dem Bildschirm tauchen weitere handschriftliche Notizen auf, die mit dem Finger aufs Tablet geschrieben wurden. Theoretisch hätten die Schüler die Aufgabe auch in Kleingruppen in virtuellen Arbeitsräumen, sogenannten "Break out-Rooms", erledigen können, erklärt die Lehrerin. Oder die Schüler hätten ihre Antworten alle auf Kommando in einem "Chat-Gewitter" reinrufen können.
10.20 Uhr: Langeweile? Fehlanzeige. Noch immer arbeiten alle 27 Schüler konzentriert mit. Die Englischstunden sind für Linus Gerhardt der Höhepunkt des digitalen Unterrichts. Er sagt: "Ich melde mich oft, weil ja auch mündliche Noten gemacht werden."Ein Mädchen hat zuhause Internet-Probleme. Sie verschwindet für einige Sekunden vom Bildschirm. Zwei Mal funktioniert die Synchronisierung zwischen iPad und Laptop nicht. Uhl-Martin muss ihre Präsentation neu laden. Jetzt wird das klassische Schulbuch gezückt. Ein Schüler liest den Text über das Londoner Denkmal vor.
10.25 Uhr: Die Lehrerin lacht und sagt:"Improvisation ist alles." Die Stunde ist zu Ende. Die Schüler verlassen das virtuelle Klassenzimmer.
Aus meinen Bekanntenkreis hatte ich allerdings bisher so gut wie nur negatives gehört.
Es scheint an Lehrern zu fehlen, die bereit sind sich angemessen zum Schülerwohl mit der "neuen Technik" zu beschäftigen. Es ist eben nicht damit getan kurze Arbeitsanweisungen per öffentlicher Rundmail an die Schüler zu schicken.
Und die Sache mit PC, Internet, Videochat sollte für eine gebildete, studierte Person in Summe ein Klacks sein. Das ist nicht wirklich schwierig zu erlernen wenn man sich in Grundzügen mit Technik auskennt.