"Jetzt kommen Sie daher, wenn zugemacht wird." Veronika Schuler ist so direkt wie herzlich. Seit 25 Jahren ist sie die Hauswirtschafterin des Pilgerhofs in Altenmünster. Im Mai geht sie in Ruhestand, und die Diözese stellt dann den Betrieb in dem christlichen Tagungshaus ein. Schon vor einem Jahr ist dieser Beschluss in Würzburg gefallen. Auslöser war tatsächlich der bevorstehende Ruhestand der umtriebigen Hausleiterin, der Grund aber ein anderer. "Die Diözese will die Baulast für das Anwesen nicht mehr übernehmen", erklärt Gerald Düchs, der Leiter der Fachabteilung Tagungshäuser des Bistums Würzburg. Zu den Aufgaben des gelernten Bankkaufmanns und Diplom-Betriebswirts gehört unter anderem das wirtschaftliche Optimieren dieser Einrichtungen. Und das hätte für den Pilgerhof in Altenmünster eine Generalsanierung bedeutet. In Zeiten schwindender Einnahmen will sich das die Diözese nicht mehr leisten. Der denkmalgeschütze Vierseithof soll deshalb verkauft werden.
"Es waren schon einige da und haben sich umgeguckt", verrät Veronika Schuler und verweist gleich mal auf die Angst der Altenmünsterer, "dass hier eine Sekte reinkommt". An wen man das idyllische Anwesen verkaufen will und was es kosten soll, darüber hüllt man sich in Würzburg noch in Schweigen. Ein Immobilienmakler werde das in die Hand nehmen, sagt Düchs. Er hält eine private Nutzung für realistisch, denn die 39 Betten in den 15 kleinen Zimmern entsprechen nicht mehr den heutigen Standards eines Tagungshauses. Das weiß auch Veronika Schuler, bedauert die Schließung aber trotzdem. "Da geht was verloren." Die Leute seien ja nicht wegen schöner Zimmer gekommen, sondern "weil sie einfach gerne hier waren". Das belegen die Einträge im Gästebuch. Ob Lehrerfortbildung oder Konfirmantenfreizeit, Klassenfahrt oder Vereinsausflug, Priestertagung oder Ministrantenwochende, Familientreffen oder Vereinsklausur – auf fast jeder Seite steht ein großes "Dankeschön für die schöne Zeit in Altenmünster".
Plötzlich stand der Kardinal mit Sekretär und Chauffeur im Hof
Ein ganz prominenter Gast hat sich auch eingetragen. Am 23. Mai 1993 schrieb der Kölner Erzbischof, Joachim Kardinal Meisner, ins Gästebuch: "Wechselnde Pfade, Schatten und Licht, alles ist Gnade, fürchte dich nicht." Gefürchtet hat sich Veronika Schuler nicht vor dem hohen Besuch, aber aufgeregt war sie schon. Es waren schließlich ihre ersten Tage als Hausleiterin im Pilgerhof, und am zweiten Wochenende galt es gleich, eine große Priesterwallfahrtsgesellschaft zu bewirten. Eigentlich war der Kardinal erst für spätabends angekündigt. Doch plötzlich stand er schon nachmittags mit seinem Sekretär und seinem Chauffeur im Hof, denn "ein Kardinal reist immer zum Abendessen an", habe Meisner ihr bedeutet. Die Pfarrer waren alle in der Kirche, und Veronika Schuler musste die Begrüßung übernehmen. Die war kurz und knapp: "Ich hab' halt Grüß Gott gesagt." Die Hausleiterin hatte ganz andere Sorgen, nämlich ob nun fürs Abendessen Brot und Wurst ausreichen würden. Das hat es wohl. Denn in den 25 Jahren ihrer Dienstzeit habe noch niemand den Pilgerhof hungrig verlassen müssen, sagt sie.
Der Kardinal hat damals im Zimmer 13 genächtigt, erzählt Veronika Schuler, "unserem Luxuszimmer", das einzige Einzelzimmer, mit eigenem Waschraum. Dass sich der Sekretär ob seiner stattlichen Größe am tiefen Türstock den Kopf angeschlagen hat, darüber schmunzelt sie heute noch. Die schmalen Treppen, verwinkelten Gänge und die engen Zimmer sind allerdings auch der Hauswirtschafterin ein Ärgernis. "Das ist alles unpraktisch", schimpft sie. Die Diözese hatte Ende der Achtziger Jahre auf Betreiben des damaligen Pfarrers Wolfram Tretter das verfallene Gehöft erworben, um dort eine Verehrungsstätte für den 1974 selig gesprochenen Liborius Wagner zu errichten, der einst in Altenmünster gewirkt hat. "Früher sind viele Busse mit Pilgern gekommen", erinnert sich Veronika Schuler. Heute gibt es nur noch eine Sternwallfahrt zum seligen Liborius am Sonntag nach Christi Himmelfahrt und manchmal größere Gottesdienste in der wunderschönen Scheunenkirche, in der eine Statue und eine Ikone an den Verehrten erinnern. Das Fachwerk wurde bei der Sanierung bis zum First freigelegt. Auf der Empore steht eine Münchener Siemann-Orgel. "Die wollen die Ballingshäuser haben", weiß die Hauswirtschafterin. Sogar ein Beichtstuhl wurde eingebaut und eine große geräumige Sakristei. "Da haben sie an nichts gespart."
So bedauert auch Pfarrer Eugen Daigeler, dass die Diözese den Pilgerhof nicht mehr weiter betreiben und verkaufen will. Die katholische Pfarrgemeinde könne ihn nicht übernehmen. "Das geht über unsere Ressourcen hinaus." Unterhält man doch schon die 600 Jahre alte Pfarrkirche mit Pfarrhaus in dem 300-Einwohner-Ort, in dem zwei Drittel der Bewohner zudem evangelische Christen sind.
Das Seehofer-Baby wurde in der Scheunenkirche getauft
Die Diözese Würzburg besitzt noch acht andere Tagungshäuser mit eigener Küche, in die regelmäßige Gäste des Pilgerhofs nun ausweichen könnten, sagt Düchs. Zum Beispiel die Großfamilie, die seit zehn Jahren hier jährlich zusammenkommt und Veronika Schuler als Dankeschön ein Fotobuch mit Aufnahmen aus dieser Zeit gefertigt hat. Oder die "Schwarz-Weiß-Fotografen", die sich seit Jahren im Pilgerhof zum Fachsimpeln und Fotografieren getroffen haben und zum Abschied des Pilgerhofs ein Fotobuch über Altenmünster erstellt haben.Oder die Haßfurter Kreuzberg-Wallfahrer, die hier immer Station gemacht und das "gute Essen" gelobt haben. Auch Bischof Paul Werner Scheele hat hier gemeinsam mit dem Gochsheimer Kinderchor zur Mittag gegessen. Und ein ganz prominentes Kind war auch da: Das Seehofer-Baby wurde in der Scheunenkirche getauft. "Das war ein Aufstand", erinnert sich Veronika Schuler. Das Kind des damaligen Bundeslandwirtschaftsministers mit einer Stadtlauringerin hatte bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Am Tag der Taufe hätten die Paparazzi schon morgens um sechs vor dem Pilgerhof gelauert. "Aber rein kamen die nicht." Dafür sorgte schon die resolute Hausleiterin.
Veronika Schuler könnte wohl ein Buch über die vergangenen 25 Jahren schreiben. Da käme auch der junge indische Pfarrer vor, dem sie das Schlittschuhlaufen auf dem zugefrorenen Ellertshäuser See beigebracht hat. Oder die Hesselbacher Montagswanderer, für die sie immer Nudel und Kren gekocht hat. Oder die vielen Schulklassen, die ihre Gemüsesuppe so gerne mochten, ohne zu wissen, dass Brokkoli drin war. Und die Mädels, die sich um Zimmer 4 stritten, weil es nur dort am Fenster Handyempfang gab. "Ich werde meine Gäste vermissen", das weiß Veronika Schuler schon jetzt. Aber langweilig wird es ihr nicht werden. "Ich mach' jetzt erst mal mein Zeug und dann geh' ich spazieren."