Der leichte Dauerfrost hat gerade so dazu gereicht, dass sich auf dem Neuen See bei Gerolzhofen eine dünne Eisschicht gebildet hat. Die spiegelglatte Fläche gaukelt eine Belastbarkeit vor, die sie nicht hat. Denn wirklich tragfähig ist das Eis erst an wenigen Stellen. Dennoch wagen die beiden Kinder den Versuch und betreten das Eis. Zu verlockend ist der zugefrorene See.
Als die Knirpse zehn, zwölf Meter vom Ufer entfernt sind, geschieht, was geschehen muss. Zuerst bilden sich blitzschnell lange Risse auf dem dünnen Eis, es knirscht, dann zerbricht das Eis krachend in Stücke. Beide Kinder fallen ins Wasser, das an der Stelle schon zu tief ist, als dass sie dort noch stehen könnten. Panisch strampeln sie im Wasser und schreien um Hilfe. Eine Spaziergängerin hört die Rufe, sieht die Kinder im eiskalten Wasser und wählt den Notruf 112.
Unglücke wie in dieser erfundenen Geschichte ereignen sich im Winter immer wieder. Nicht nur Kinder verlieren ihr Leben, weil sie durch nicht tragfähiges Eis brechen und sich mit eigener Kraft nicht mehr aus dem Wasser retten können – oder Menschen bringen sich selbst in Lebensgefahr bei dem Versuch, andere aus dem Wasser zu retten.
Auch im Sommer, etwa beim Baden, kommt es immer wieder zu Notlagen, in denen Menschen im Wasser hilflos um ihr Leben kämpfen. Um in solchen Situationen besser und vor allem schneller helfen zu können, hat die Feuerwehr Gerolzhofen vor kurzem einen sogenannten Überlebensanzug beschafft.
Ein solcher Anzug, den Einheiten der Wasserrettung in einer ähnlichen Ausführung einsetzen, ist bei Feuerwehren, die für die Wasserrettung nicht primär zuständig sind, wenig verbreitet. Dennoch stellt die örtliche Feuerwehr in der Regel die ersten Retter, die im Notfall vor Ort sind. Dies hat die Spitze der Gerolzhöfer Feuerwehr bewogen, einen solchen Überlebensanzug zu beschaffen, auch wenn es dazu keine Verpflichtung gibt.
Auf die Schnelligkeit kommt es an
Der roten Ganzkörperanzug besteht aus einem wasserdichten, auch leicht isolierend wirkenden Material. Er kann im Einsatzfall über Alltagsklamotten gestreift werden, nur die Schuhe müssen zuvor ausgezogen werden. Damit ausgerüstet kann eine Feuerwehrfrau oder ein Feuerwehrmann am Einsatzort unverzüglich ins Wasser gehen, um einen hilflosen Menschen im Wasser zu erreichen und vor dem Untergehen zu bewahren.
Die im Überlebensanzug eingeschlossene Luft sowie eine zusätzlich zu tragende ohnmachtssichere Schwimmweste, die den Kopf desjenigen, der sie trägt, immer oben und über Wasser hält, sorgen für genügend Auftrieb, um einen zweiten Menschen über Wasser zu halten. Zusätzlich trägt die Retterin oder der Retter ein Brustgeschirr, in das eine per Karabiner eine Rettungsleine eingehakt ist. Über diese können weitere Einsatzkräfte an Land Retter und Geretteten Richtung Ufer ziehen.
Praxistest im Schwimmbecken des Freibads
Soweit sieht es das erarbeitete Einsatzkonzept für den neu angeschafften Überlebensanzug, den auch Wasserrettungseinheiten einsetzen, vor. Während einer ersten praktischen Übung testeten jetzt rund 20 Frauen und Männer der Feuerwehr Gerolzhofen den Anzug. Hierzu nutzten sie das große Außenbecken des Geomaris, das dank der ungewöhnlich milden Temperaturen selbst im Januar nicht zugefroren und bis zum Rand mit Wasser gefüllt ist.
Kommandant Martin Zink war gleich der Erste, der sich den Anzug anzieht. Dies ist nur mit Hilfe eines Kollegen möglich, der den Reißverschluss des Anzugs bis unters Kinn zuzieht. Dadurch ist sichergestellt, dass auch von oben, vom Hals her, bis auf wenige Tropfen kein Wasser in den Anzug gelangt und der Retter trocken bleibt. Dies ist selbst dann der Fall, wenn sich der Träger des Anzugs aus vollem Lauf heraus vom Beckenrand aus ins Wasser stürzt, um einen einen weiteren Feuerwehrmann, der in einen Taucheranzug warm eingepackt in der Mitte des Schwimmbeckens den Ertrinkenden mimt, zu erreichen.
Übung bringt eine wichtige Erkenntnis
Aufgabe des Retters ist es vor allem, schnellstmöglich zu dem im Wasser treibenden Menschen zu gelangen. Dies hat Zink vor Beginn der Praxisübung nochmals verdeutlicht. Hierzu wählt er möglichst die kürzeste Strecke vom Ufer aus zu der Stelle, wo der oder die Hilflose sich im Wasser befindet. Dort angekommen ist es die vordringliche Aufgabe, den Menschen im Wasser zu beruhigen und über Wasser zu halten. Das Retten aus dem Wasser übernehmen dann andere Einsatzkräfte, die beispielsweise mit einem Schlauchboot folgen. Dass es gelingt, einen Menschen bis dahin über Wasser zu halten, selbst wenn dieser sich an den Retter klammert und diesen unter Wasser zu ziehen droht, zeigt die Übung im Freibad.
Und noch etwas zeigt sich: Der Zeitvorteil spricht für den Einsatz des Überlebensanzug. Dieser wird von der Retterin oder dem Retter bereits während der Anfahrt im Mannschaftstransportwagen der Wehr angezogen. Dies ist das schnellste Fahrzeug im Fuhrpark und wird im Ernstfall mit den ersten am Gerätehaus eintreffenden drei, vier Einsatzkräften zum Unglücksort starten.
Einsatz des Schlauchboots kostet Zeit
Bisher war es so, dass der Gerolzhöfer Feuerwehr zur Menschenrettung aus Gewässern nur das Schlauchboot zur Verfügung stand. Dies ist auf dem Dach des Rüstwagens verstaut und ganz gleich, wie eingespielt und schnell die Mannschaft am Einsatzort arbeitet: Bis das Boot zu Wasser gebracht und bei dem Ertrinkenden ist, vergeht höchstwahrscheinlich mehr Zeit als bis der Retter im Überlebensanzug dort angekommen ist. "Wenn der Überlebensanzug nur einmal in zehn Jahren im Ernstfall zum Einsatz kommt, dann hat er sich schon bewährt", macht Zink seiner Mannschaft klar.
Dies gilt für das Retten von Menschen, die in einen zugefrorenen See eingebrochen sind, genauso wie für offene Gewässer. Für beide Szenarien bringt der Überlebensanzug einen Zeitvorteil im Vergleich zu den herkömmlichen Rettungsmitteln. Auf Eisflächen soll ein Retter sich laut Einsatzkonzept auf dem Eis soweit fortbewegen, bis er selbst einbricht, um dann den Rest der Strecke schwimmend zu dem zu Rettenden zurückzulegen.
Die weiteren Einsatzkräfte folgen dann – wie bisher – mit Hilfe von Leiterteilen, die über die Eisfläche geschoben werden, oder im Schlauchboot, das auf einem Eisschlitten sitzt. Beide Varianten brauchen vergleichsweise viel Zeit – Zeit, die Menschen, die im eiskalten Wasser schnell ihre Kraft verlieren und sich nicht mehr über Wasser halten können, oft nicht haben.