Einen Weihbischof zu fragen, warum er in der katholischen Kirche bleibt und nicht austritt, ist ungewöhnlich. In früheren Zeiten hätte man dieses Ansinnen vielleicht sogar als "ungebührlich" bezeichnet - schließlich geht man ja selbstverständlich davon aus, dass ein Weihbischof nicht dran denkt, aus der Kirche auszutreten. Aber es war doch interessant, von Ulrich Boom zu hören, was ihm die Kirche bedeutet. Dieses Interview ist zugleich der Abschluss der kleinen Serie, in der junge und ältere Menschen Auskunft darüber gaben, warum sie aus der Kirche ausgetreten sind oder bleiben.
Ulrich Boom: Ich bin in ein katholisches Milieu hineingeboren worden. Meine Familie war katholisch und das Dorf, in dem ich groß wurde, war katholisch geprägt. Ich war Ministrant, als Jugendlicher bei den Pfadfindern, im Kirchenchor und in vielfältiger Weise in der Kirche aktiv. Kirchliches Leben hat mich vom Kindesalter an bis zum Erwachsenwerden geprägt. Für die Erlebnisse der Gemeinschaft, für all das, was ich bei den Pfadfindern, im Kirchenchor an Gemeinschaft, aber auch an Glaubenserfahrungen erleben durfte, bin ich dankbar. Kirche war für mich aber nie ein Traumschiff. Die Kirche ist oft ein leckes Boot. Aber mir ist ein beschädigter Kahn auf hoher See lieber, als ein Traumschiff in den Wolken.
Boom: Ans Christkind habe ich nie geglaubt. Geschenke brachte nicht das Christkind, sondern der Hl. Nikolaus. Ein gütiger Pastor und der Großvater mütterlicherseits haben im Blick auf den Glauben positiv auf mich gewirkt. Großvater war Küster an einer Kilianskirche im Sauerland. Ich durfte ihm manchmal helfen. Ihm verdanke ich wohl die tiefere Beziehung zur Kirche und zum Hl. Kilian. Als Kind hätte ich nie gedacht, wie nah die Beziehung zu dem Frankenapostel einmal werden würde. Und Würzburg lag damals für mich in einer fernen Welt.
Ein Lehrer und Chorleiter in meinem Heimatort Alstätte hat meinen Blick geweitet in der Zeit des Erwachsenwerdens. Er war weltoffen, und es war spürbar, dass er aus seinem Glauben lebte. Es war die Zeit des 2. Vatikanischen Konzils und später der Würzburger Synode, Zeiten des Aufbruchs und der Veränderung. Da haben wir viel diskutiert. Dass ich an dem Ort, wo die Synode stattfand, dann einmal Dompropst sein würde, wer hätte das gedacht!
Boom: Wir hatten einen Vikar, ein strenger Religionslehrer. Der hat mich einmal in den Senkel gestellt, weil wir in der Familie eine lutherische Bibel hatten. Aber ich hatte Eltern mit einem weiten ökumenischen Herzen. Die haben sich hinter mich gestellt, erklärt, warum wir diese Bibel hatten. Dann war das nicht mehr so schlimm.
Boom: Gewiss. Besonders erinnere ich mich an den Tod eines guten Freundes. Er starb an einem Tumor im Rückenmark. Er war damals 22 Jahre alt. Sein Tod hat mich sehr getroffen und mich zeitweise an Gott und seiner Führung zweifeln lassen.
Boom: Gemeinsame Gottesdienste haben mein Leben geprägt und sie haben mir Halt gegeben. Das gilt noch heute. Gern denke ich an die Maiandachten als Kind und später als Priester an die Feiern der Hl. Messe auf den Bergen. Aber auch das ganz schlichte Dasein in der Kirche, die einfache Messe, das stille Gebet. Dies gibt mir Kraft.
Boom: Ein geistliches Vorbild ist für mich der selige Priester Charles de Foucauld. Sein Werdegang mit seiner Suche nach Gott sind für mich immer wieder beeindruckend. Seine Liebe zu den Armen und sein Vertrauen, dass Gott in unserem Alltag gegenwärtig ist, sind mir immer wieder Ansporn, mich um die Menschen zu kümmern, die in Not sind, und mir die Anwesenheit Gottes in meinem Alltag bewusst zu machen. Er durfte dies in der Stille und in kleinen Gemeinschaften erfahren. Wie er, sind auch wir Suchende und nur Gast auf Erden. Glauben geht nicht ohne Gemeinschaft. Die kann aber sehr verschieden sein: die Familie, die Jugendgruppe, die geistliche Gemeinschaft.
Boom: In der Kindheit hat mich die Wallfahrt nach Kevelaer geprägt und später waren es die Wege nach Santiago, der Pilgerweg zum damaligen Ende der Welt. Diesen Weg bin ich häufiger gegangen, schon zu Zeiten, als der Run nach Santiago nicht so groß war wie jetzt. Es freut mich aber, dass Pilgern immer mehr Zuspruch findet - Pilgerwege sind ja ein beeindruckendes Bild für den Lebensweg.
Boom: Als Jugendlicher war ich im ersten Pfarrgemeinderat unserer dörflichen Pfarrgemeinde. Er hieß damals Pfarrkomitee; die Pfarrgemeinderäte wurden ja erst im Gefolge des 2. Vatikanischen Konzils eingerichtet. Die Gremien haben sich gegenüber der damaligen Zeit geändert. Heute bin ich zum Beispiel Mitglied im Diözesanpastoralrat unseres Bistums und in der Konferenz der deutschen Bischöfe. All diese Gremien gestalteten und gestalten mein Glaubensleben in den jeweiligen Zeitabschnitten.
Boom: Ich versuche so zu leben, dass ich in jedem Menschen Gott sehe. Das ist nicht immer leicht. Aber Gott ist in jedem Menschen gegenwärtig. Bei der Firmung verneige ich mich gern vor dem Gefirmten. Ich habe ihm gesagt: "Du wirst gesalbt, um Christus ähnlich zu sein." Es steht also immer Christus vor mir. Gott kommt mir entgegen in den Menschen. Hilfe aus heiterem Himmel habe ich wohl nie erfahren. Eher, wenn der Himmel verhangen war, durfte ich erfahren, dass ich gehalten und getragen bin. Gottes Hände sind oft Menschen Hände.
Boom: Die Kirche sollte nicht so viel Angst um sich selber haben und Christus in die Mitte stellen. Wir verwechseln oft die Reihenfolge. Sprechen zuerst von der Kirche, dann von Gott und der Welt. An erster Stelle stehen aber Gott und der Mensch, an dritter, vielleicht sogar erst an vierter oder fünfter Stelle steht die Kirche. Sie ist Vehikel, dass Gott zum Menschen und der Mensch zu Gott kommt. Schlüsselwort aller Erneuerung ist die Nachfolge Christi.