zurück
Schweinfurt
Warum Schweinfurts Citypfarrer sein Elektroauto am liebsten stehen lässt
Auf seiner Internetseite schreibt Pfarrer Heiko Kuschel gegen Vorurteile an. Warum E-Mobilität in seinen Augen trotzdem nicht die Lösung ist, erzählt er im Interview.
Vor zweieinhalb Jahren ist Schweinfurts Citypfarrer Heiko Kuschel umgestiegen – vom Verbrenner aufs Elektroauto. Gerade mal 20 000 Kilometer sind er und seine Familie damit gefahren, weil Mobilität, wie er meint, auch besser geht.
Foto: Anand Anders | Vor zweieinhalb Jahren ist Schweinfurts Citypfarrer Heiko Kuschel umgestiegen – vom Verbrenner aufs Elektroauto.
Katja Beringer
 |  aktualisiert: 09.02.2024 07:45 Uhr

Vor zweieinhalb Jahren ist Citypfarrer Heiko Kuschel vom Verbrenner aufs Elektroauto umgestiegen. Bereut hat er das nie, wie er sagt. Und trotzdem lässt er sein Elektroauto gerne stehen, hat in zweieinhalb Jahren, die er sein E-Auto fährt, gerade mal 20 000 Kilometer auf dem Tacho und fährt von seinem Wohnort Gochsheim aus am liebsten Bus oder Bahn – nicht nur in die Citykirche Schweinfurt. Elektroautos, sagt der Citypfarrer, Öffentlichkeitsreferent und stellvertretender Dekan des evangelisch-lutherischen Dekanats Schweinfurt, ist nur ein Teil, wie wir Mobilität besser und umweltverträglicher machen können und müssen.

Sparfuchs oder Überzeugungstäter – Hand aufs Herz, Herr Kuschel, warum sind Sie aufs E-Auto umgestiegen?

Heiko Kuschel: Absolut aus Überzeugung, dass wir Dinge ändern müssen. Ich habe selbst vier Kinder, wenn ich mir anschaue, wo wir so hinkommen, dann müssen wir viel tun. Da ist das E-Auto wirklich nur ein kleiner Beitrag von vielen. Ich gucke ganz deutlich darauf, so wenig Auto wie möglich zu fahren. Alle weiten Dienstreisen grundsätzlich mit der Bahn, geflogen bin ich sowieso nur ein einziges Mal in den letzten 25 Jahren, und das war dienstlich. Wir haben eine Photovoltaikanlage auf dem Dach, produzieren und beziehen Ökostrom, essen weniger Fleisch – dass wir dort, wo wir selbst etwas machen können, das auch tun, das finde ich wichtig. Wobei es Grenzen gibt für den Einzelnen, die Politik auch vieles ändern muss. Das E-Auto allein macht's nicht. Da muss wirklich an der ganzen Mobilität was geändert werden. 

Das heißt, Mobilität muss in Zukunft ganz anders aussehen? Weg vom Auto – hin zu was?

Wir brauchen auf jeden Fall viel mehr öffentlichen Nahverkehr, Fahrradstraßen, Carsharing und so weiter. Ein Umdenken. In der Stadt brauchen die meisten überhaupt kein Auto, trotzdem sind unsere Städte voll damit. Aber auf dem Land wird man mit ÖPNV nie alle versorgen können, das ist klar, auch wenn man mit einem guten Angebot zumindest das Zweitauto dort unnötig machen könnte. Da braucht es neue Ideen und Konzepte, der Landkreis arbeitet ja daran. Vorstellbar ist da noch mehr, neue technische Lösungen wie zum Beispiel den People-Mover, also autonome Fahrzeuge für kurze Strecken, die Menschen zu Knotenpunkten bringen. Der eigentliche Punkt ist, der ÖPNV muss so bequem und unkompliziert sein, dass die Leute ihr Auto stehen lassen. Das ist er nicht, die Landlinien sind ja zum Teil bis jetzt sagenhaft chaotisch. Da ist der Landkreis ja auch dran, nur wegen der langen Vertragslaufzeiten dauert das ja noch bis 2024, bis das umgestellt wird. Das Angebot in der Stadt finde ich relativ gut, aber gerade in den Randzeiten absolut ausbaubar.

Sie schreiben auch im Internet über das Thema, haben unter "aber-das-e-auto.de" sogar einen eigenen Blog. Warum?

Weil's immer wieder die gleichen Vorurteile gibt und ich irgendwann einfach keine Lust mehr hatte, immer wieder die gleichen Sätze zu wiederholen – auf Facebook und was weiß ich wo. Deswegen hab ich das so gemacht: Eine ganz kurze Erklärung zu jedem Punkt, die man dann auch kopieren kann, ein paar Links dazu und noch ein etwas längerer Text. Das verwenden inzwischen auch viele andere, natürlich sind die dann auch Befürworter von Elektroautos (lacht). Inzwischen hat die Liste über 20 Punkte, von Reichweiten bis Kosten.

Was ist die dümmste Bemerkung über Elektroautos oder -fahrer, die sie je gehört haben?

Also die nervigste Sache ist die Bemerkung, "aber die armen Kinder in Afrika". Und die ist auch wirklich dumm. Das Lithium und Kobalt, was gefördert wird, ist ja nicht nur für die E-Autos. In jedem Handy ist das drin, zum Beispiel. Gerade die E-Mobilität führt eher dazu, dass die Leute draufschauen, wie die Stoffe gefördert werden. Die großen Autohersteller haben eine Allianz gegründet, um Lithium aus Kinderarbeit absolut auszuschließen. Jahrzehnte hat sich niemand drum geschert, jetzt wird es zum Argument gegen die Produktion von E-Autos verwendet. Mut macht da das neue Lieferketten-Gesetz, das ist zwar noch wachsweich, geht aber in die richtige Richtung. Das ist im Prinzip das, was ich mir schon als Jugendlicher gewünscht hätte, als ich mich für Gerechtigkeit im Handel eingesetzt habe. Dass mir jemand jetzt unterstellt, ich würde mich nicht um die "armen Kinder in Afrika" kümmern, das verletzt mich schon.

Bei Heiko Kuschel kommt nur Ökostrom in den Tank, besser gesagt die Batterie. Der stammt entweder von der eigenen Photovoltaikanlage oder einem Ökostromanbieter.
Foto: Anand Anders | Bei Heiko Kuschel kommt nur Ökostrom in den Tank, besser gesagt die Batterie. Der stammt entweder von der eigenen Photovoltaikanlage oder einem Ökostromanbieter.
Pro und contra werden beim Thema Elektroauto ganz emotional, ganz heftig diskutiert. Warum ist das so?

Ich hab keine wirkliche Erklärung dafür. Die Menschen hier haben einfach ein emotionales Verhältnis zum Auto. An alles, was irgendwie das Thema betrifft, ist es ganz schwierig dranzugehen – ob das jetzt verkehrsberuhigte Zonen sind oder Tempolimit auf der Autobahn – das ist ein ganz heißes Eisen hier in Deutschland. Auch wenn sich langsam die Stimmung wandelt. Ich verstehe wirklich nicht ganz, wo diese hohe Emotionalität herkommt. Die Autoindustrie hat ganz bewusst schon in den 1920ern das Thema Auto und Freiheit verknüpft. Wenn ich in der Stadt im Stau stehe, ist da nicht viel mit Freiheit, aber irgendwie ist das miteinander verknüpft.

Müsste die Politik mehr tun, als einen Bonus zu zahlen, um so viele Elektroautos auf die Straße zu bringen wie geplant? 

Mir wäre erstmal lieber, wenn auch andere Formen der Mobilität von der Politik in den Vordergrund gestellt würden. Aber um den Wechsel zu schaffen, ja, denn das Geld allein macht's ja offensichtlich nicht. Ob das nun 6000 oder 9000 Euro Förderprämie sind, das macht nicht den großen Unterschied für die Leute, weil das eher eine Gefühlssache ist. Was vielleicht funktioniert, sind wirklich Aktionen wie die Mobilitätswoche in Schweinfurt, wo man Leute mit Elektroautos trifft, ausprobieren kann. Der Punkt ist eigentlich, dass man erstmal jemand kennen muss, der ein Elektroauto fährt, den man fragen kann. Ich denke, dass es jetzt wirklich irgendwann an Fahrt aufnehmen wird, wenn einmal ein kritischer Schwellenwert überschritten ist.

Für wen bietet sich ein Elektroauto an?

Das E-Auto ist eigentlich für fast alle bereits die beste Lösung, wenn es ein Auto sein muss. Wer nicht zu Hause laden kann, sollte sich aber erst mal nach Lademöglichkeiten in der Nähe umsehen, da hinkt Deutschland ja leider auch sehr hinterher. Und wer öfter lange Strecken fährt, kommt an der Autobahn mit kurzen Ladestopps an der Schnellladesäule problemlos voran. Ab und zu sollte man ja sowieso mal eine kurze Pause machen – in 20 Minuten ist der Akku schon wieder weitgehend voll. Alternativ sollte man natürlich für Langstrecken auch immer schauen, ob es vielleicht auch mit der Bahn geht.

Viel zu teuer, sagen viele – was sagen Sie, kann sich jeder ein Elektroauto leisten und zahlt es sich finanziell auf lange Sicht aus?

Ich kann noch nicht abschließend beurteilen, ob wir mit unserem E-Auto günstiger wegkommen als mit dem Polo, den wir vorher 16 Jahre lang hatten. Der Anschaffungspreis ist teilweise höher als bei Verbrennern, dafür fallen die laufenden Kosten viel niedriger aus. Es kann einfach nicht so viel kaputt gehen, weil es viel weniger Einzelteile gibt. Strom ist in den meisten Fällen günstiger als Benzin für die gleiche Strecke. Dazu kommen einige Vergünstigungen. Die ersten zehn Jahre zahlt man keine Steuern und in Schweinfurt und vielen anderen Städten ist zum Beispiel auch das Parken für Autos mit E-Kennzeichen kostenlos.

Was meinen Sie – ist das Elektroauto in Schweinfurt angekommen?

Ich habe schon den Eindruck, dass das deutlich mehr wird. Da tut sich schon etwas, aber doch sehr zögerlich. Was die Infrastruktur betrifft, es gibt für den Bedarf aktuell genug Ladesäulen in Schweinfurt. Trotzdem müsste auch in dem Bereich vorgelegt werden, damit das Ganze Fahrt aufnimmt. Das gilt aber nicht nur für Schweinfurt. Wir waren vor kurzem in Holland, dort ist man weiter, da ist Elektromobilität wirklich angekommen, selbstverständlich. Die Deutschen sind da immer sehr vorsichtig mit jeder Veränderung, ganz egal, was es ist. Ich weiß nicht warum.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Schweinfurt
Katja Beringer
Auto
Autobahnen
Autobranche
Carsharing
E-Fahrzeuge und E-Mobilität
Elektroautos
Facebook
Fahrzeuge und Verkehrsmittel
Heiko Kuschel
Mobilität
Schweinfurt Umwelt
Tempolimit
Umweltverträglichkeit
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • Arcus
    Der Pfarrer denkt über den Suppentellerrand hinaus.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Zeller
    Hamburg als autonomer Pionier (VDI-Nachrichten 24. September 2021) Hamburg hat seit 2019 Elektro-Sammeltaxis "Moia" (VW-Tochter) erfolgreich in Betrieb. In gut gut 4 Jahren soll eine fahrerlose Variante dazukommen. Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) sieht hier ein großes Potenzial für die Mobilitätswende. Warum nicht in anderen Städten und Regionen möglich?
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • jhuller@gmx.de
    Herr Kuschel hat recht. Verkehrswende bedeutet nicht, 45 Millionen Verbrenner Autos durch 45 Millionen E-Autos zu ersetzen. Es bedeutet weg vom Auto, hin zu Alternativen. Individuelle Mobilität nur dort, wo es nötig ist, dann aber elektrisch.

    In den letzten Jahrzehnten wurde unsere ganze Infrastruktur und unser Lebensraum komplett den Anforderungen des Autoverkehrs unterworfen. ÖPNV wurde systematisch abgebaut und ausgedünnt, um mehr Raum für Individualverkehr zu machen. Dass alles, um einen einzigen Industriezweig zu bedienen, mit einem Autominister als Cheflobbyist.

    Da können Grundstückspreise noch so teuer sein, es wird trotzdem gerne ein Großteil der Fläche für den Stellplatz des heiligen Blechles geopfert. Was nicht aufs Grundstück passt, wird im öffentlichen Raum geparkt. In jedem beliebigen Ort sieht man zugeparkte Straßen von vorne bis hinten.

    Wir stecken mittlerweile auf einen Irrweg fest. Nur will man das nicht erkennen. Höchste Zeit für einen Richtungswechsel!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • k.a.braun@web.de
    Ein sehr guter, informativer Artikel! Ohne Förderungen für E-Autos sowie die Schaffung eines funktionierenden und wirklich für alle bezahlbaren Bus- und Bahnnetzes kann es freilich nicht gehen. Hier ist also nun wirklich die Politik gefragt, national wie lokal, wo hoffentlich endlich die Einsicht reift, dass der Wandel nötig ist, und zwar sofort. Die Klimakrise wartet nicht, bis wir uns entschlossen haben ...
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten