Auch wenn einige Teile der Aussage des medizinischen Gutachters für Laien schwer nachvollziehbar sind, ist sein Fazit umso deutlicher: Es gebe "tatsächlich eine große Reihe an korrekt durchgeführten Behandlungen" des Schweinfurter Orthopäden, erklärt der 66 Jahre alte Gutachter; aber auch in mehreren Fällen Behandlungsschritte, "die er medizinisch nicht für notwendig halte".
Besonders deutlich wird der Gutachter, selbst Orthopäde aus Essen, wenn es darum geht, dass die Patientinnen auch ihren BH bei Behandlungen in der Praxis des Angeklagten ausziehen mussten: "In keinem Fall war es notwendig, den Oberkörper vollständig zu entkleiden. Man kann das auch anders machen."
Vor Gericht steht seit dieser Woche ein 59 Jahre alter Arzt, der seine Mitarbeiterinnen heimlich auf der Toilette und seine Patientinnen bei den Behandlungen gefilmt haben soll. Zudem wirft ihm die Staatsanwaltschaft Vergewaltigung, sexuellen Missbrauch und sexuelle Belästigung vor.
Gutachter kritisiert, dass Orthopäde bei Behandlungen alleine mit Patientinnen war
Dass er Videoaufnahmen angefertigt hat, räumte der Angeklagte gleich zu Beginn des Prozesses ein. Er sagte aber auch: "Zu keinem Zeitpunkt habe ich meine Hände bei Untersuchungen zu unsittlichen, sexuellen Handlungen benutzt."
Das sieht der Gutachter zumindest teilweise anders – und kritisiert auch, dass der Arzt bei vielen Behandlungen mit den Patientinnen alleine gewesen sei. Chirotherapeutische Maßnahmen, wie sie der Orthopäde angewendet hat, sollten nach Ansicht des Sachverständigen immer in Anwesenheit einer dritten Person stattfinden.
Der Gutachter betont mehrmals, wie wichtig generell die vollständige Dokumentation der Diagnosen, Befunde und Behandlungen sei. Daraus müsse sich die Indikation der Behandlung ableiten lassen. Diese habe in einigen Fällen nicht vorgelegen, etwa wenn es darum ging, dass der Orthopäde die Brust der Patientinnen massiert haben soll. Dass es dazu gekommen sein soll, berichten mehrere junge Frauen vor dem Landgericht Schweinfurt.
Nach Gewichtabname: Arzt habe gefragt, ob er "mal anfassen" dürfe
Eine Patientin erzählt auch, es habe einmal ein Gespräch über ihre Gewichtsabnahme gegeben und der Arzt habe gefragt, ob er "mal anfassen" dürfe. Er soll ihr dann an die Hüfte, den Bauch und die Oberschenkel gefasst haben. "Wenn das so stattgefunden hat, dann war das sicher nicht medizinisch veranlasst", sagt der Gutachter dazu.
Zu Beginn des Prozesstages hatte der Angeklagte Stellung zu den Behandlungen an drei seiner Patientinnen genommen und versucht, seine Behandlungstechniken zu erklären. Dafür folgte ein tiefer Einstieg in die Welt der Medizin, er las aus einem Lehrbuch vor.
Um zu zeigen, dass seine Behandlungsmethoden der Norm entsprächen, wollte er die Erklärungen zusätzlich noch visuell unterstützen. Von seinen Anwälten vorgewarnt, überraschte ihn dann wohl nicht das klare "Nein" der Vorsitzenden Richterin zu YouTube-Videos im Gerichtssaal. Darauf zeigte er teils ungenau vom Bildschirm abfotografierte Bilder aus Schulungsvideos, die sein Vorgehen erläutern sollten.
Orthopäde litt laut Verteidiger unter psychischen Problemen
Die Behandlungsmaßnahmen des Orthopäden, der aktuell in nicht-ärztlicher Tätigkeit wieder arbeiten soll, hätten schwerwiegende Spuren bei den Patientinnen hinterlassen, schließt der Sachverständige sein Gutachten ab. Es handele sich zwar nicht um körperliche Verletzungen, aber um seelische.
Auch der Orthopäde selbst soll unter psychischen Problemen gelitten haben. Einer seiner Verteidiger spricht von einer "depressiven Belastungssituation", mit der sein Mandant auch zu den mutmaßlichen Tatzeitpunkten zu kämpfen gehabt haben soll. Um dies zu beweisen, solle ein psychiatrischer Gutachter als Zeuge geladen werden. Der Verteidiger betont ausdrücklich, dass es dabei nicht um die Frage der Schuldfähigkeit, sondern um die der Strafzumessung gehe.
Die Verhandlung wird am kommenden Montag fortgesetzt. Dann soll über den Antrag der Verteidigung entschieden werden. Die Prozessbeteiligten sollten sich auch auf ihre Plädoyers vorbereiten, kündigt die Vorsitzende Richterin schließlich an.
Was hätte er erst ohne diese „depressive Belastungssituation“ mit den Frauen gemacht? Vielleicht sollte dies von einem Gutachter, welcher vom Gericht bestellt wird, untersucht werden.