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Gerolzhofen
Vor 50 Jahren: "Es war bestimmt im Merk'schen Rat, dass GEO nicht zu bleiben hat"
Zum 1. Juli 1972 wurde die bayerische Gebietsreform umgesetzt. Der Landkreis Gerolzhofen wurde in vier Teile zerschlagen. Es hat am geschlossenen Widerstand gefehlt.
Der letzte Landrat des Kreises Gerolzhofen, Dr. Ernst Kastner, hat als Erinnerungsstücke aus seiner Amtszeit das Wappen des Kreises Gerolzhofen und das Kennzeichen seines Dienstwagens 'GEO 200' aufbewahrt.
Foto: Müller | Der letzte Landrat des Kreises Gerolzhofen, Dr. Ernst Kastner, hat als Erinnerungsstücke aus seiner Amtszeit das Wappen des Kreises Gerolzhofen und das Kennzeichen seines Dienstwagens "GEO 200" aufbewahrt.
Klaus Vogt
 |  aktualisiert: 09.02.2024 13:42 Uhr

Genau 50 Jahre sind vergangenen, dass der Landkreis Gerolzhofen zerschlagen wurde. Schlanker, schlagkräftiger, effizienter sollte die bayerische Verwaltung werden. Dies war das Ziel der Gebietsreform, die schon seit den 1960er-Jahren immer wieder angedacht worden war. Ministerpräsident Alfons Goppel kündigte die Reform bereits Anfang 1967 als eine der wichtigsten innenpolitischen Aufgaben der neuen Wahlperiode im Freistaat an. Anfang 1971 forcierte Innenminister Bruno Merk dann das Tempo.

Von Beginn an stand der Landkreis Gerolzhofen zur Disposition. Offensichtlich fehlten einflussreiche Fürsprecher in München. Der Landkreis GEO war zwar von seiner Fläche her mit 4839 Quadratkilometern einer der größeren unter den bisherigen bayerischen Landkreisen und gar der zweitgrößte in Unterfranken, fiel aber mit seinen rund 42.000 Einwohnern in 77 Gemeinden weit unter die Richtzahl, die Innenminister Merk für die künftigen neuen Landkreise ausgegeben hatte: 80.000 bis 100.000 Einwohner sollten es sein.

Warum GEO und nicht Kitzingen?

Zum Vergleich: Der Landkreis Schweinfurt hatte schon vor 1972 bereits knapp 72.000 Einwohner in 69 Gemeinden. Aber der Landkreis Haßfurt hatte mit 46.600 auch nicht sonderlich mehr Einwohner als der Kreis Gerolzhofen. Und der Landkreis Kitzingen wies mit nur 38.500 Menschen sogar weniger Bevölkerung auf als der Gerolzhöfer Kreis. Eigentlich hätte also, wenn man der Richtzahl des Innenministerns gefolgt wäre, der Landkreis Kitzingen zerschlagen gehört. Aber das schien in München niemanden zu interessieren.

Der Gerolzhöfer Bürgermeister Franz Kreppel alarmierte den Stadtrat erstmals am 18. Januar 1971. Er sorgte sich um die Weiterführung der endlich durchgesetzten Bauprojekte wie Realschule und Gymnasium sowie um den Ausbau des Kreiskrankenhauses, sollte Gerolzhofen nicht mehr Kreisstadt sein. Der Gerolzhöfer Landrat Ernst Kastner sicherte dem Bürgermeister der Kreisstadt zu, mit ihm zusammen jegliche gesetzlich zulässige Abwehrmaßnahme in die Wege zu leiten.

Vor 50 Jahren: 'Es war bestimmt im Merk'schen Rat, dass GEO nicht zu bleiben hat'

Großer Schock in der Stadt

Im Mai 1971 legte die Bayerische Staatsregierung erstmals konkrete Pläne auf den Tisch. In Gerolzhofen reagierte man geschockt. Denn der Landkreis Gerolzhofen sollte in drei Teile zerfetzt werden. Und die Stadt selbst wäre dem Landkreis Haßfurt-Steigerwald zugeschlagen worden. Das war nun so ziemlich das Schlimmste, womit man in Gerolzhofen rechnen konnte. Denn zu Haßfurt bestanden viel weniger Kontakte als zu Schweinfurt, wo viele Gerolzhöfer in der Industrie einen Arbeitsplatz gefunden hatten.

Nach der Vorstellung der Staatsregierung sollte der gesamte nordöstliche Teil des Landkreises Gerolzhofen einschließlich der Kreisstadt in einem neuen Landkreis Haßberge-Steigerwald mit Sitz in Haßfurt aufgehen. Der südliche und westliche Teil mit der Stadt Prichsenstadt und dem Markt Wiesentheid sowie der Stadt Volkach sollte dem Landkreis Kitzingen zugeschlagen werden, und im Norden und Nordwesten wollte die Regierung rund zehn Gemeinden dem Landkreis Schweinfurt einverleiben.

Wut und Resignation: Gerolzhöfer Bürger stehen vor einer Schautafel am Fachgeschäft Harter am Marktplatz, die den ersten Regierungsentwurf für die Gebietsreform zeigt. Der Landkreis soll dreigeteilt werden, Gerolzhofen selbst zum Kreis Haßfurt-Steigerwald kommen. Das Bild ist damals im Steigerwald-Bote erschienen.
Foto: Repro Norbert Finster | Wut und Resignation: Gerolzhöfer Bürger stehen vor einer Schautafel am Fachgeschäft Harter am Marktplatz, die den ersten Regierungsentwurf für die Gebietsreform zeigt.

Schwarze Fahnen in der Altstadt

Am Freitag, 21. Mai 1971, wehten auf dem Gerolzhöfer Marktplatz schwarze Fahnen als unübersehbares Zeichen des Protests. Vor einer Schautafel, die die Drei-Teilung des Landkreises dokumentierte, versammelten sich die Bürger. Die Skala der Stimmungslagen reichte von tiefer Depression über Bestürzung bis hin zu unverhohlenem Zorn.

Der damalige Gerolzhöfer Bürgermeister Franz Kreppel.
Foto: Vollmann | Der damalige Gerolzhöfer Bürgermeister Franz Kreppel.

In seinem Aufruf zu einer Bürgerversammlung am 26. Mai 1971 schrieb Gerolzhofens Bürgermeister Franz Kreppel: "Hunderte von Millionen Mark wurden sinnlos vertan für eine Volksschulreform auf Stottern. Milliardenbeträge sollen vergeudet werden durch eine mehr als fragwürdige Gebietsreform. Der Bürger wird die Zeche zu bezahlen haben, wenn er sich alles gefallen lässt."

Althergebrachte Rivalitäten

Einig waren sich Landrat Ernst Kastner, die meisten Kreisräte und Bürgermeister Franz Kreppel nur in ihrer grundsätzlichen Ablehnung der Gebietsreform als "wenig bürgernah", "umständlicher und komplizierter für die Verwaltungen" und noch dazu "teurer für den Bürger", wie der Blick in die damalige Zeitung beweist. Doch die Interessen der Gemeinden im Altlandkreis Gerolzhofen waren zu unterschiedlich. Althergebrachte Rivalitäten zwischen Gerolzhofen, Volkach, Prichsenstadt, Wiesentheid und Castell hatten kein homogenes Kreisgebilde zugelassen.

Von politischer Seite war deshalb nicht viel Hilfe zu erwarten. Der von der Gerolzhöfer CSU unter Führung von Paul Pfeuffer um Beistand gebetene Parteifreund und Landtagsabgeordnete Albert Meyer aus Haßfurt ließ unmissverständlich durchklingen, was sich wie ein roter Faden durch die Schicksalsgeschichte des Landkreises zieht: "Wenn man die verschiedenen Tendenzen im Kreisgebiet kennt, ist es schwer, die Fahne für die Erhaltung des Landkreises Gerolzhofen hochzuhalten." Wenn es eine Einigkeit im Kreis geben würde, ja dann, dann würde er für den Erhalt des Landkreises Gerolzhofen durch Dick und Dünn gehen, verkündete Meyer. Aber diese Einigkeit sah Meyer nicht.

Eigene Interessen

Auch Meyers Landtagskollegen Artur Heinrich (FDP) und Heinrich Schneier (SPD), beide aus dem Raum Haßfurt, lag natürlich erst einmal ihr eigenes Umfeld am Herzen. Sie wollten einen großen, leistungsstarken ostunterfränkischen Landkreis. Doch auch in den "eigenen Reihen" bröckelte es: Albrecht Fürst zu Castell-Castell, damals Mitglied des Kreistags Gerolzhofen, bekannte freimütig, dass es die evangelisch geprägten Gemeinden im südlichen Landkreis GEO eindeutig nach Kitzingen zieht.

Ohne nachhaltige politische Hilfe konzentrierte sich der Widerstand nur auf den engeren Raum um die Stadt Gerolzhofen, die den Verlust des Kreissitzes und der Verwaltungen mit allen Konsequenzen fürchtete. Auto-Aufkleber "Geo muss bleiben" wurden vom Landratsamt kostenlos verteilt, Gutachten über die Lebensfähigkeit des Landkreises erstellt, Abgeordnete und Minister um Hilfe gebeten, Schilder an den Kreisgrenzen aufgestellt, in München demonstriert und  schwarze Flaggen am Marktplatz in Gerolzhofen gehisst.

Das Schachbrett politischer Interessen

Josef Teutsch, damals Verleger der Gerolzhöfer Heimatzeitung "Steigerwald-Bote", bemerkte in einem Kommentar reichlich ernüchtert, dass alle übrigen Kreisgemeinden ihre Wünsche erfüllt bekommen würden, nur Gerolzhofen nach Art mittelalterlicher Autoritäten auf dem Schachbrett politischer Interessen nach Belieben verschoben werde, und dies noch dazu gegen den Willen der Bevölkerung, die eindeutig nach Schweinfurt tendiere.

Mitte 1971 wird schließlich klar, dass der Landkreis GEO nicht mehr zu retten ist. Jetzt geht es nur noch ums Wohin. Nur rund 100 Bürger kommen am 1. August 1971 zum kommunalpolitischen Frühschoppen, zu dem die Stadt eingeladen hat. Ob diese Zahl ein Zeichen von Resignation oder Interessenlosigkeit war, lässt sich heute nicht mehr sagen. Kein Bürger stimmt jedoch für eine Zuordnung des Raums Gerolzhofen zu Haßfurt. Fast alle sind für Schweinfurt.

Zweiter Vorschlag zur Gebietsverteilung

Die Staatsregierung legt Anfang Oktober 1971 aufgrund zahlreicher Proteste aus allen Landesteilen einen zweiten Vorschlag zur Gebietsreform auf den Tisch, der sich stark vom ersten unterscheidet und der den noch heute gültigen Gegebenheiten sehr nahe kommt: Der Altlandkreis Gerolzhofen wird jetzt gar viergeteilt. Der größte, nördliche Teil inklusive der Kreisstadt kommt nach Schweinfurt, wohin sowieso schon viele zur Arbeit und zum Einkaufen pendelten, der südliche Teil zum Landkreis Kitzingen. Ober- und Untereisenheim am Main werden dem Landkreis Würzburg zugeschlagen, die Dörfer Geusfeld, Wustviel und Wohnau im Osten kommen zum neuen Landkreis Haßberge.

Nicht Rechnung getragen wird damit den im Anhörungsverfahren geäußerten Wünschen der Gemeinden Geusfeld und Wustviel, die eigentlich nach Schweinfurt wollten, ebenso wie Järkendorf und Neudorf. Die Stadt Volkach wollte nach Würzburg, kam aber nach Kitzingen.

Der letzte Satz des Landrats

Die Neugliederung der bayerischen Landkreise und kreisfreien Städte wurde am 15. Dezember 1971 vom Landtag beschlossen und trat am 1. Juli 1972 in Kraft. Aus 143 alten Landkreisen entstanden 71 neue.

"Es war bestimmt im Merk'schen Rat, dass GEO nicht zu bleiben hat" – mit diesem markigen Spruch beschloss Ernst Kastner, der letzte Landrat des Landkreises Gerolzhofen, die letzte Kreistagssitzung am 23. Juni 1972.

Acht Tage später war der Landkreis Gerolzhofen Geschichte.

Mit Informationen von Silvia Eidel und Norbert Finster

 
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