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Schweinfurt
Vom Gastarbeiter zum Schweinfurter: Vor 60 Jahren kamen die ersten türkischen Arbeiter
Vor sechs Jahrzehnten sind die ersten Gastarbeiter aus der Türkei nach Schweinfurt gekommen. Wie die Stadt am 11. September im Rathaus-Innenhof feiert.
Dieses Bild zeigt die ersten Gastarbeiter aus der Türkei in Schweinfurt vor 60 Jahren. 1961 wurde das Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei geschlossen. Am 11. September gibt es eine große Feier deswegen im Rathaus-Innenhof.
Foto: Stadtarchiv Schweinfurt | Dieses Bild zeigt die ersten Gastarbeiter aus der Türkei in Schweinfurt vor 60 Jahren. 1961 wurde das Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei geschlossen. Am 11.
Oliver Schikora
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:06 Uhr

Vor sechs Jahrzehnten kamen die ersten türkischen Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter nach Deutschland und nach Schweinfurt. Sie arbeiteten vor allem auf dem Bau oder in der Großindustrie, waren beteiligt am Wiederaufbau des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Schweinfurts. Sie integrierten sich, schlossen Freundschaften, bauten sich ein Leben auf. Nun feiert die Stadt am 11. September das Jubiläum "60 Jahre Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei" mit einem großen Fest im Rathaus-Innenhof.

Organisiert wird das Fest von der Stadtverwaltung, federführend von der dritten Bürgermeisterin Ayfer Rethschulte (Grüne), sowie einem großen Team des Integrationsbeirats. Ihr Anliegen: Aufklärung leisten, Verständnis wecken, Zusammenhänge und vor allem Chancen zeigen zum großen Thema Migration und Integration von ausländischen Mitbürgern in Schweinfurt.

Denn eines ist klar: Der Spruch von Max Frisch "Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen" trifft in Schweinfurt nicht nur zu, sondern muss nach sechs Jahrzehnten erweitert werden zu "und wurden Schweinfurter."

Rund 45 Prozent der Schweinfurter haben einen Migrationshintergrund

54.625 Einwohner hat Schweinfurt, Menschen aus 128 Ländern leben hier, 11.229 Mitbürger haben einen ausländischen Pass. Das sind die nackten Zahlen zum 31. Dezember 2021, die das seit vielen Jahrzehnten friedliche Miteinander der Kulturen in der Stadt nur unzureichend in all seiner bunten Vielfalt beschreiben. 1973 lebten 3500 ausländische Mitbürger in Schweinfurt, heute geht man davon aus, dass rund 45 Prozent der Schweinfurter einen Migrationshintergrund haben, für eine Stadt dieser Größe ein ungewöhnlich hoher Wert.

Bild aus der Ausstellung 'Made in Schweinfurt – Migration' im Jahr 2020, die sich auch mit den Gastarbeitern in der Stadt beschäftigte.
Foto: Martina Müller | Bild aus der Ausstellung "Made in Schweinfurt – Migration" im Jahr 2020, die sich auch mit den Gastarbeitern in der Stadt beschäftigte.

"Wir werben dafür, Berührungsängste abzubauen, ein harmonisches Miteinander, um Ängste abzubauen", betont Nuray Bico, die gemeinsam mit Rethschulte im Organisationsteam mitarbeitet. "Eine gespaltene Gesellschaft", ist sie überzeugt, "hilft niemandem."

Fotoserie

Bico kam als Neunjährige 1968 nach Schweinfurt. Sie erinnert sich noch gut, wie es sich damals für sie als Kind in einem fremden Land anfühlte, ohne Sprachkenntnisse. Aber sie erinnert sich auch gut, wie schnell es ging, Freundschaften zu schließen und wie wichtig es war, sich auch später ehrenamtlich zu engagieren, offen zu sein für Neues. Bico ist unter anderem aktives Mitglied im Verein Interkult, wo Hausaufgabenbetreuung, Sprachkurse und kreative Kurse angeboten werden, und gab Deutschkurse.

Werbung für die Kraft der Integration und Freundschaft der Kulturen

Ihre positiven Erfahrungen weitergeben und unermüdlich für Integration und ein friedliches Miteinander der Kulturen will auch Ayfer Rethschulte, deren Eltern vor 60 Jahren nach Schweinfurt kamen, sich hier kennenlernten, einen Familie gründeten und heimisch wurden. "Unsere Eltern blickten nach vorne, waren offen und wollten, dass wir uns integrieren und Kontakt haben, auch zum Beispiel in Vereinen", erinnert sich Rethschulte.

Foto aus der Ausstellung '50 Jahre Anwerbeabkommen' aus dem Jahr 2011. Das Bild zeigt die ersten Gastarbeiter in Schweinfurt.
Foto: Ruppert | Foto aus der Ausstellung "50 Jahre Anwerbeabkommen" aus dem Jahr 2011. Das Bild zeigt die ersten Gastarbeiter in Schweinfurt.

Natürlich haben Bico und Rethschulte auch gegen Ressentiments kämpfen müssen. Geschichten aus dem eigenen Leben gibt es genügend, in denen es nicht nur darum ging, sich als Frau in einer Männerwelt durchzusetzen. Ihren Glauben an die Kraft der Integration haben sie dabei aber nie verloren und das wollen sie auch bei der Veranstaltung am 11. September zeigen.

Rethschulte ist stolz, Schweinfurterin zu sein, auch wegen der Vita ihrer Eltern: "Ich gehe oft durch die Stadt und sehe an vielen Orten meine Eltern. Mein Vater, wie er am blauen Hochhaus mitgearbeitet hat, oder meine Mutter als Krankenschwester", erinnert sie sich.

Wünsche an die Landes- sowie Bundespolitik hat Ayfer Rethschulte durchaus. Zum einen den dringend notwendigen Abbau von bürokratischen Hürden, wenn Arbeitskräfte aus der Türkei nach Deutschland kommen wollen – gerade als Fachkräfte, die in allen Bereichen dringend benötigt werden.

Ein anderes Thema: Das Wahlrecht auf kommunaler Ebene für Drittstaatler. "Das wäre ein wichtiger Schritt", findet Rethschulte, um mehr Menschen die Möglichkeit zu geben, mitzubestimmen und sich zu beteiligen an dem, was in ihrem direkten Lebensumfeld passiert.

Das internationale Fest zu 60 Jahre Anwerbeabkommen Deutschland - Türkei beginnt am Sonntag, 11. September, um 11 Uhr im Rathaus-Innenhof. Bis 13 Uhr gibt es ein moderiertes Programm auf der Bühne, danach geht das Fest bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei.

 
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