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Schweinfurt
Vom Fußballprofi in Syrien zum Gemüsehändler in Schweinfurt: Wie Hassan Alsalih aus Assads Folterkellern entkam
Hassan Alsalihs Weg von der ersten syrischen Liga zu einem neuen Leben in Schweinfurt ist eine Geschichte von Hoffnung und Widerstandskraft.
Hassan Alsalih ist aus den Folterkellern von Assad entkommen und flüchtete nach Deutschland. Heute hat er in Schweinfurt eine Heimat gefunden – und einen Beruf, der so ganz anders ist als früher.
Foto: Josef Lamber | Hassan Alsalih ist aus den Folterkellern von Assad entkommen und flüchtete nach Deutschland. Heute hat er in Schweinfurt eine Heimat gefunden – und einen Beruf, der so ganz anders ist als früher.
Bassel Matar       -  Bassel Matar ist gebürtige Syrer. In seinem Heimatland hat er Journalismus studiert und war dort unter anderem als Sportreporter tätig. Seit 2015 lebt er in Deutschland. Er hat in verschiedenen Bereichen gearbeitet, unter anderem auch als Dolmetscher. Bassel Matar ist seit April 2024 Volontär bei der Main-Post.
Bassel Matar
 |  aktualisiert: 25.01.2025 02:32 Uhr

Der Laden liegt an der Ecke zur Schweinfurter Landwehrstraße. Draußen stehen bunt gefüllte Kisten mit Obst und Gemüse. Ein großer, schlanker Mann in Arbeitskleidung bewegt sich zügig, wiegt die Ware und packt sie ein. Lächelnd übergibt er einer Kundin die Tüte und bedankt sich. Mit einem freundlichen "Guten Tag" wendet er sich der nächsten Kundin zu. Hassan Alsalih arbeitet mit Eifer und Hingabe. 

In einem Beruf, der nichts mehr mit seinem früheren Leben zu tun hat. Dem Leben als Fußballprofi in der ersten syrischen Liga. Auch wenn er für den zweitgrößten Verein in seiner Stadt Homs spielte, so gehörte seine Mannschaft (Al-Wathba) doch immer der ersten Liga an.

Hassan Alsalih trägt eine bewegte Geschichte in sich. Der heute 34-Jährige war 21 Jahre alt, als sich sein Leben änderte, schildert er in seiner Darstellung, die sich allerdings objektiv nicht nachprüfen lässt. "Ich leistete gerade meinen Wehrdienst ab, als die Proteste ausbrachen." In der Nähe von Damaskus stationiert, wusste Hassan wenig über die Geschehnisse in Syrien. "Damals waren Soziale Medien in Syrien noch nicht sehr verbreitet, und als Soldaten hörten wir nur, was uns die Offiziere erzählten, nämlich dass im Land alles in Ordnung sei."

Die Entscheidung zu desertieren, ist immer mit Konsequenzen verbunden

Bis zu dem Tag, an dem er für zwei Tage zu Besuch bei seiner Familie nach Hause durfte. "Ich war in meiner Heimatstadt Homs und habe mit eigenen Augen gesehen, wie die Polizei und der Geheimdienst auf die Demonstranten schossen – das war der Schock meines Lebens", sagt er. "Ich habe meinen Eltern gesagt, dass ich nicht zur Armee zurückkehre." Doch die Angst seiner Mutter vor den Folgen einer solchen Entscheidung, die sich auf die ganze Familie auswirken könnte, zwang Alsalih dazu, seine Entscheidung zu überdenken, und so kehrte er auf seinen Posten zurück.

Im April 2011 schloss er sich doch den Demonstranten an und wurde schnell zu einer Schlüsselfigur. "Ich war früher Fußballprofi. Ich wusste wie man anfeuert, und wenn es darauf ankommt, bin ich schnell weggelaufen", sagt er. Als die Polizei die Demonstration stürmte und Menschen verhaftete, sei alles willkürlich gewesen. Aber auch ein sportlicher Mann kann im falschen Moment stolpern, und so wurde er verhaftet.

Homs, April 2011: Blut im Gesicht, ein Unterhemd und eine Hose – das ist alles, was Hassan Alsalih noch trägt. Mit gesenktem Kopf steht er da, um ihn herum die Geheimpolizei. "Wie schön, dich endlich bei uns zu haben", sagt der Offizier mit ironischem Unterton. In der Region ist Hassan Alsalih, der Fußballprofi, bekannt. Eine gute Beute. Doch sie muss überleben. Der junge Mann, der bei seiner Verhaftung verletzt worden ist, wird ins Krankenhaus gebracht. "Die Krankenschwestern waren schlimmer zu mir als der Geheimdienst. Sie haben mich beschimpft und ohne Betäubung genäht", erzählt er von dieser Nacht im Krankenhaus von Homs.

"Ich dachte an Selbstmord. Ich wollte diesen Schmerz einfach loswerden."
Hassan Alsalih

Die Nacht wird eine lange sein. Drei Stunden später, es ist gegen 21 Uhr, läuft das Verhör im Folterkeller immer noch. Hassan Alsalihs Augen bleiben verbunden, die Handschellen bleiben an. "Das Verhör hat mit einem Tritt ins Gesicht begonnen, das hat mich zwei Zähne gekostet", sagt er.

Jeden Tag und jede Nacht erlebte Hassan Alsalih verschiedene Foltermethoden, oft, bis er das Bewusstsein verlor. Dann ging es wieder in seine Zelle. "Dunkel, eng, kalt, und es stinkt. Es gibt nichts außer den kahlen Wänden und der Metalltür." In der Ecke dieser kleinen Zelle saß Alsalih immer, und alles, was er zu tun hatte, war darauf zu warten, wann er wieder zu einer neuen Folterrunde herausgeholt würde. "Ich dachte an Selbstmord. Ich wollte diesen Schmerz einfach loswerden", beschreibt er seine Gedanken in der Folterkammer.

Doch dann passierte wochenlang nichts mehr. Kein Verhör, keine Folter. Nach zwei oder drei Wochen wurde er doch abgeholt, aber diesmal anders – er musste nach oben, nicht in den Keller. "Ich habe zum ersten Mal seit über einem Monat wieder die Sonne aus dem Fenster gesehen", erzählt Hassan Alsalih. In einem Büro voller hochrangiger Offiziere wurde ihm gesagt, wenn er mitmache, bekomme er, was er sich wünsche.

"Ich wusste überhaupt nicht, was Salafismus ist": Um der Folter zu entgehen, gibt er ein Interview

Seine Aufgabe war es, dem Staatsfernsehen ein Interview zu geben und zu erklären, was er "gemacht" hätte. "Im Staatsfernsehen habe ich gesagt, dass ich für Geld Menschen getötet habe und dafür Geld von anderen Ländern bekommen habe", erzählt er. Wie von den Offizieren gewünscht, habe er gesagt, dass er Salafist sei: "Ich hatte damals noch nie von so etwas gehört und wusste überhaupt nicht, was Salafismus ist." Seinen Wunsch, ein Anruf bei seiner Mutter, habe man ihm nicht erfüllt, erzählt der junge Mann. 

Danach wurde Alsalih in eine Zelle verlegt, in der er mit anderen Häftlingen untergebracht war. "Das war sehr schlimm, aber ich war dort nie allein", sagt er. Nach einem Jahr im Gefängnis zahlte seine Familie viel Geld, um ihn herauszuholen. "Das war wirklich zu viel Geld." Was Hassan Alsalih dann erlebte, war das Grauen des Krieges in Syrien. Belagerung, Beschuss, Verletzungen - und Flucht.

2020 kam Hassan Alsalih nach Deutschland. Seitdem lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Schweinfurt. "Ich bin froh, dass ich das jetzt alles hinter mir habe und blicke sehr zuversichtlich in die Zukunft meiner Kinder", sagt der Gemüsehändler aus der Landwehrstraße in Schweinfurt. Der Sturz des Assad-Regimes Anfang Dezember letzten Jahres war für Alsalih ein Moment voller Emotionen: "Ich hatte das Gefühl, als würde der ganze Schmerz aus mir herausfließen, wie Wasser aus einem Krug".

Die Folgen des Sturzes werfen bei Hassan Alsalih viele Fragen auf. "Ich habe dort nur Schmerzen erlebt. Will ich wieder dorthin zurück?". Seine beiden Kinder gehen hier zur Schule. Die Kleine spricht fast nur noch Deutsch. Seine Frau geht zur Arbeit und er hat ein neues Leben angefangen. In Syrien hat er keine Wohnung mehr, "alles ist zerstört worden". Aber gleichzeitig ist das Gefühl, wieder dort zu sein, wo er aufgewachsen ist, immer in seinem Kopf.

 
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