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Gerolzhofen
Vier Monate nach Schließung spricht der frühere Leiter Klartext: "Das Jugendhaus muss zügig wiedereröffnet werden"
Kurt Rienecker war mehr als drei Jahrzehnte für das Jugendhaus verantwortlich. Seit seinem Weggang ist das Haus zu. Er hofft, dass es baldmöglichst weitergeht.
Kurt Rienecker hat jahrzehntelang das Jugendhaus in Gerolzhofen geleitet und sich mit viel Leidenschaft in der Jugendsozialarbeit engagiert. Auch nach seinem Ausscheiden in den Ruhestand setzt er sich für die Einrichtung ein und fordert die Stadt nun auf, es zeitnah wiederzueröffnen.
Foto: Anand Anders | Kurt Rienecker hat jahrzehntelang das Jugendhaus in Gerolzhofen geleitet und sich mit viel Leidenschaft in der Jugendsozialarbeit engagiert.
Stefan Pfister
 |  aktualisiert: 08.02.2024 15:41 Uhr

Er war eine Institution in Gerolzhofen, wenn es um die Jugendsozialarbeit ging: Kurt Rienecker leitete 33 Jahre lang das städtische Jugendhaus an der Kreuzung Bahnhofsstraße/Dreimühlenstraße. Im April ging der studierte Sozialpädagoge in den Ruhestand, seitdem ist die Einrichtung dicht. Eine Wiedereröffnung oder auch Jugendarbeit in neuer Form wurde bei der Verabschiedung zwar in Aussicht gestellt – bislang hat die Stadt dazu jedoch offiziell nichts verkündet.

Auch wenn in den Räumen kein wuseliges Treiben mehr herrscht und kein wildes Stimmengewirr durch die Flure hallt, so ist das Haus nicht ganz verlassen: Rienecker ist regelmäßig vor Ort, räumt auf, sortiert, archiviert, hält alles in Schuss – und das freiwillig. Er möchte die Stellung halten, bis ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin ihn ablöst. Zwischendurch nimmt er sich Zeit für ein Gespräch, in dem er über die Zukunft des Hauses spricht sowie über die Jugendlichen von damals und heute und die daraus resultierenden Herausforderungen.

Herr Rienecker, ist ein kommunales Jugendhaus noch zeitgemäß?

Kurt Rienecker: Ja, es sollte auf jeden Fall bleiben. Der Bedarf ist da, es ist nur die Frage, was die Stadt will. Da gäbe es verschiedene Möglichkeiten.

An was denken Sie dabei?

Rienecker: Zum Beispiel die Kids ins Haus holen, die überall unten durchrasseln. In Gerolzhofen sind ein Haufen Kinder und Jugendliche, die aus anderen Kulturkreisen kommen und oft die Sprache nicht können. Die könnte man fitter machen, damit sie in unserer Gesellschaft besser Fuß fassen.

Seit 1990 befindet sich das Jugendhaus an der Kreuzung Bahnhofstraße/Dreimühlenstraße. Im April wurde es geschlossen, nachdem Kurt Rienecker in den Ruhestand ging.
Foto: Anand Anders | Seit 1990 befindet sich das Jugendhaus an der Kreuzung Bahnhofstraße/Dreimühlenstraße. Im April wurde es geschlossen, nachdem Kurt Rienecker in den Ruhestand ging.
Man sollte die Jugendarbeit also mehr auf Integration ausrichten.

Rienecker: Wenn man das als Ziel hat, dann wird man was machen müssen. Kids mit Migrationshintergrund kamen schon von Anfang an ins Jugendhaus. Die waren aber alle schnell integriert. Erstens konnten sie schnell Deutsch; und in der Regel hatten sie eine Arbeit oder eine Ausbildung. Das sehe ich die letzten Jahre überhaupt nicht mehr.

Sollte man das Jugendhaus unbedingt zeitnah öffnen, um zu verhindern, dass viele Jugendliche nicht mehr zurückkehren?

Rienecker: Das wird jetzt leider so sein. Eigentlich war es meine Hoffnung, dass es im Herbst weitergeht. Das Haus soll nun im Januar wieder öffnen, was ich so höre. Die Stadt will sich wahrscheinlich das Geld für dieses Jahr sparen. Das Jugendhaus muss jedenfalls zügig wiedereröffnet werden.

Ist eine solche Einrichtung gut angelegtes Geld?

Rienecker: Finde ich schon. Die Jugendlichen sind die Erwachsenen von morgen. Das hat direkten Einfluss auf das Leben in der Stadt, in jedweder Form. Ein Jugendhaus ist eine sinnvolle Investition, die sich natürlich erst zeitversetzt auswirkt.

Regelmäßig fanden Konzerte mit Jugendbands im Jugendhaus in Gerolzhofen oder in dessen Garten statt.
Foto: Kurt Rienecker | Regelmäßig fanden Konzerte mit Jugendbands im Jugendhaus in Gerolzhofen oder in dessen Garten statt.
Was wollten Sie den Jugendlichen in all ihrer Zeit vorrangig vermitteln?

Rienecker: Dass das Leben Spaß macht und dass es verdammt viele Perspektiven bietet, die man in der Jugend vielleicht gar nicht so erkennt. Ich meine, die sind oft zugemüllt mit Hormonen.

Gab es auch Probleme?

Rienecker: (lacht) Freilich. Aber ich habe mich nicht schwergetan, das mit natürlicher Autorität zu vermitteln, ohne den Schreihals zu spielen. Das halte ich für einen wesentlichen Aspekt in der Sozialarbeit.

Was waren die größten Herausforderungen?

Rienecker: Dass ich allein war. Hier waren Jugendliche, die vom Potenzial vielversprechend waren. Mich hat genervt, dass die mir manchmal durch die Finger gerieselt sind. Die anderen sind Problemkids gewesen, mit Borderline-Erkrankung oder die schon in jungen Jahren heftige Alkoholprobleme hatten. Ich habe sogar jenseits der Öffnungszeiten versucht, sie zu unterstützen. Aber da stößt man als Sozialarbeiter an seine Grenzen.

Das Jugendhaus der Stadt Gerolzhofen war lange Zeit ein beliebter Treffpunkt für Kinder und Jugendliche.
Foto: Kurt Rienecker | Das Jugendhaus der Stadt Gerolzhofen war lange Zeit ein beliebter Treffpunkt für Kinder und Jugendliche.
Was hat sich im Vergleich zu früher geändert?

Rienecker: Bis vor zehn Jahren waren alle Gruppen vertreten, die man so im Ort hatte: die Technohörer, die Punks, irgendwie alles. Das hat gut geklappt. Manchmal war dicke Luft, gerade wenn es um die Musik ging. Aber die Leute haben ihre Konflikte hier ausgetragen. Die jungen Leute waren im Austausch, haben nicht über den anderen geredet, sondern sie haben das im Jugendhaus gelöst.

Und wann war es damit vorbei?

Rienecker: Je mehr Social Media im Umlauf war. Ich bin kein Verweigerer von modernen Medien. Das lässt sich alles cool verwenden, wenn man es sinnvoll einsetzt. Aber es hat das Sozialgeflecht im Jugendhaus wahnsinnig verändert.

Heute ist das städtische Jugendhaus verwaist: Im Bild der Gruppenraum im Obergeschoss mit Billardtisch und einer außergewöhnlichen Theke, die Rienecker vor Jahren gemeinsam mit Jugendlichen gebaut hat.
Foto: Anand Anders | Heute ist das städtische Jugendhaus verwaist: Im Bild der Gruppenraum im Obergeschoss mit Billardtisch und einer außergewöhnlichen Theke, die Rienecker vor Jahren gemeinsam mit Jugendlichen gebaut hat.
Was meinen Sie damit konkret?

Rienecker: Die letzten Jahre war es oft so, dass Jugendliche sofort wieder gegangen sind, wenn einer da war, der nicht ins Konzept passte. Es hat einen Scheuklappeneffekt ausgelöst. Das Haus wurde dadurch phasenweise leergespielt, speziell in der Corona-Zeit. Die Konfliktbereitschaft war da sehr minimiert, und ich glaube, dass das nicht besser wird. Die soziale Interaktion geht mehr und mehr flöten.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?

Rienecker: Was glauben Sie, was ich an Rückmeldungen von Firmen erhalten habe, die Ausbildungsplätze anbieten! Die haben einen Riesenbedarf, sind aber derart frustriert, weil manche kaum lesen und schreiben können und andere keine Konzentrationsfähigkeit haben. Das sind alles Auswirkungen von dem ganzen Medien-Geraffel. Ich habe einen Vorteil: Ich komme aus der technologischen Steinzeit und kann es recht gut vergleichen. Auffällig ist mittlerweile auch, dass die manuellen Fähigkeiten der Kinder fast unterirdisch sind.

Auch die Treppenhäuser im Jugendhaus in Gerolzhofen sind im Laufe der Jahre verschiedenartig gestaltet worden, wie zum Beispiel mit den von Jugendlichen angefertigten Graffiti.
Foto: Anand Anders | Auch die Treppenhäuser im Jugendhaus in Gerolzhofen sind im Laufe der Jahre verschiedenartig gestaltet worden, wie zum Beispiel mit den von Jugendlichen angefertigten Graffiti.
Inwiefern?

Rienecker: Wenn im Haus etwas kaputt ging, dann habe ich häufig nur das passende Werkzeug rausgesucht und den Rest haben die Kids gemacht. Wenigstens die Hälfte meiner 30 Jahre war das so. Auch, dass wir vieles gemeinsam gemacht haben: die Glasmosaike im Treppenhaus gestaltet, die Wände bemalt oder die technisch sehr anspruchsvolle Theke gebaut. Beim Johannisfeuer hatten die Jungs sogar Bulldogs organisiert. Die konnten mit Kettensägen umgehen und haben mit dem Förster gesprochen, wo man Holz im Wald holen kann. Und jetzt: Das ist alles verloren!

Kurt Rienecker hält das Haus auch nach seinem Abschied in Schuss. Der Proberaum im Keller wurde von vielen Jugendbands genutzt. Fürs Foto setzt sich der Ruheständler ans Schlagzeug.
Foto: Anand Anders | Kurt Rienecker hält das Haus auch nach seinem Abschied in Schuss. Der Proberaum im Keller wurde von vielen Jugendbands genutzt. Fürs Foto setzt sich der Ruheständler ans Schlagzeug.
Konnten Sie nicht gegensteuern?

Rienecker: Meistens scheiterte es schon an der fehlenden Begeisterung. Wenn doch einer Lust hatte, mangelte es an Durchhaltekraft. Wie schnell die Jugendlichen heute die Lust verlieren, merkt man am Musikverhalten. Früher war es üblich, dass eine CD durchgehört wurde. Das ist die letzten Jahre unvorstellbar.

Sie hatten im Vorjahr im Stadtrat von einer "Wahnsinns-Verblödung quer durch alle sozialen Schichten" gesprochen. Wie ist das zu verstehen?

Rienecker: Früher habe ich mich mit manchen Kids öfters über komplizierte Themen wie schwarze Löcher unterhalten, wo man selbst nicht mehr durchblickt. Inzwischen hat man meist das Gefühl, man redet am besten mit Dreiwortsätzen. Und das quer durch alle sozialen Schichten. Das sind nicht nur Einzelfälle.

Ein beliebtes Projekt waren die Fotosessions mit Kurt Rienecker: Für viele Jugendbands war es eine gute Gelegenheit, Bandfotos anzufertigen, so wie 'Oxnkiller' im Jahr 2001.
Foto: Kurt Rienecker | Ein beliebtes Projekt waren die Fotosessions mit Kurt Rienecker: Für viele Jugendbands war es eine gute Gelegenheit, Bandfotos anzufertigen, so wie "Oxnkiller" im Jahr 2001.
Ist Jugendsozialarbeit schwieriger als vor 20 Jahren?

Rienecker: Aus meiner Sicht durchaus. Die Kommunikation fand ich einfacher. Und die Kids langweilen sich zu Tode. Manchmal habe ich mich gefragt: Wieso mache ich das eigentlich?

War früher also alles besser?

Rienecker: Es war anders. Ich meine, der Zeitgeist ist anders, die Technologie ist anders. Die heutigen Jugendlichen sind eher unmotivierter.

Aus einem der vielen Kunstprojekte ging auch dieses Iglu hervor. Es steht noch immer im Garten des Jugendhauses.
Foto: Kurt Rienecker | Aus einem der vielen Kunstprojekte ging auch dieses Iglu hervor. Es steht noch immer im Garten des Jugendhauses.
Ihr Fazit nach 33 Jahren Jugendhaus?

Rienecker: Ein erfülltes Arbeitsleben, ein cooler Job. Ich hab's trotz allem sehr gern gemacht.

Und Ihr größter Wunsch?

Rienecker: Dass es hier bald weitergeht. Ideal wäre, das Jugendhaus zu zweit zu stemmen. Das war die ganze Zeit mein Wunsch, weil man allein überfordert ist.

 
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  • Martina Kerler
    Grüß Gott,
    Hier mal die Sicht eines 15 jährigen ADHSlers mit festgestellten motorischen Schwierigkeiten. Trotz dieser Probleme bin ich ein stolzes Mitglied der THW Jugend des Ortsverbandes Gerolzhofen, in dem ich sogar mein Leistungsabzeichen in der Stufe Bronze absolvieren konnte. Hier konnte ich mich trotz meiner Konzentrationsmängel und meiner "unterirdischen manuellen Fähgikeiten" frei entfalten und wurde akzeptiert so wie meine Persönlichkeit ist. Hier nochmals als Aufruf für alle Jugendlichen, die eine sinnvolle außerschulische Beschäftigung suchen: Meldet euch bei der Jugendorganisation des Technischen Hilfwerks.
    Grüße
    Simeon Kerler

    Dem Anliegen meines Sohnes kann ich nur zustimmen.
    Martina Kerler
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  • Marc Schenk
    Ich habe Ende der 80er Anfang der 90er in Cottbus selbst meine Nachmittage in einem solchen Haus verbracht. Auch wir waren bunt gemischt und sicher nicht immer konfliktfrei. Von daher weiß ich auch, was für Engagement hier von den Verantwortlichen eingebracht wird. Einfach nur Klasse, was geleistet wurde.

    Was ich am meisten bedauere ist, dass nur noch Geld wichtig scheint und kaum noch eine Kommune wirklich das Geld in die Hand nimmt, oder nehmen kann, welches damals für Jugendarbeit ausgegeben wurde.

    Schade!

    Marc Schenk
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