
Er war eine Institution in Gerolzhofen, wenn es um die Jugendsozialarbeit ging: Kurt Rienecker leitete 33 Jahre lang das städtische Jugendhaus an der Kreuzung Bahnhofsstraße/Dreimühlenstraße. Im April ging der studierte Sozialpädagoge in den Ruhestand, seitdem ist die Einrichtung dicht. Eine Wiedereröffnung oder auch Jugendarbeit in neuer Form wurde bei der Verabschiedung zwar in Aussicht gestellt – bislang hat die Stadt dazu jedoch offiziell nichts verkündet.
Auch wenn in den Räumen kein wuseliges Treiben mehr herrscht und kein wildes Stimmengewirr durch die Flure hallt, so ist das Haus nicht ganz verlassen: Rienecker ist regelmäßig vor Ort, räumt auf, sortiert, archiviert, hält alles in Schuss – und das freiwillig. Er möchte die Stellung halten, bis ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin ihn ablöst. Zwischendurch nimmt er sich Zeit für ein Gespräch, in dem er über die Zukunft des Hauses spricht sowie über die Jugendlichen von damals und heute und die daraus resultierenden Herausforderungen.
Kurt Rienecker: Ja, es sollte auf jeden Fall bleiben. Der Bedarf ist da, es ist nur die Frage, was die Stadt will. Da gäbe es verschiedene Möglichkeiten.
Rienecker: Zum Beispiel die Kids ins Haus holen, die überall unten durchrasseln. In Gerolzhofen sind ein Haufen Kinder und Jugendliche, die aus anderen Kulturkreisen kommen und oft die Sprache nicht können. Die könnte man fitter machen, damit sie in unserer Gesellschaft besser Fuß fassen.

Rienecker: Wenn man das als Ziel hat, dann wird man was machen müssen. Kids mit Migrationshintergrund kamen schon von Anfang an ins Jugendhaus. Die waren aber alle schnell integriert. Erstens konnten sie schnell Deutsch; und in der Regel hatten sie eine Arbeit oder eine Ausbildung. Das sehe ich die letzten Jahre überhaupt nicht mehr.
Rienecker: Das wird jetzt leider so sein. Eigentlich war es meine Hoffnung, dass es im Herbst weitergeht. Das Haus soll nun im Januar wieder öffnen, was ich so höre. Die Stadt will sich wahrscheinlich das Geld für dieses Jahr sparen. Das Jugendhaus muss jedenfalls zügig wiedereröffnet werden.
Rienecker: Finde ich schon. Die Jugendlichen sind die Erwachsenen von morgen. Das hat direkten Einfluss auf das Leben in der Stadt, in jedweder Form. Ein Jugendhaus ist eine sinnvolle Investition, die sich natürlich erst zeitversetzt auswirkt.

Rienecker: Dass das Leben Spaß macht und dass es verdammt viele Perspektiven bietet, die man in der Jugend vielleicht gar nicht so erkennt. Ich meine, die sind oft zugemüllt mit Hormonen.
Rienecker: (lacht) Freilich. Aber ich habe mich nicht schwergetan, das mit natürlicher Autorität zu vermitteln, ohne den Schreihals zu spielen. Das halte ich für einen wesentlichen Aspekt in der Sozialarbeit.
Rienecker: Dass ich allein war. Hier waren Jugendliche, die vom Potenzial vielversprechend waren. Mich hat genervt, dass die mir manchmal durch die Finger gerieselt sind. Die anderen sind Problemkids gewesen, mit Borderline-Erkrankung oder die schon in jungen Jahren heftige Alkoholprobleme hatten. Ich habe sogar jenseits der Öffnungszeiten versucht, sie zu unterstützen. Aber da stößt man als Sozialarbeiter an seine Grenzen.

Rienecker: Bis vor zehn Jahren waren alle Gruppen vertreten, die man so im Ort hatte: die Technohörer, die Punks, irgendwie alles. Das hat gut geklappt. Manchmal war dicke Luft, gerade wenn es um die Musik ging. Aber die Leute haben ihre Konflikte hier ausgetragen. Die jungen Leute waren im Austausch, haben nicht über den anderen geredet, sondern sie haben das im Jugendhaus gelöst.
Rienecker: Je mehr Social Media im Umlauf war. Ich bin kein Verweigerer von modernen Medien. Das lässt sich alles cool verwenden, wenn man es sinnvoll einsetzt. Aber es hat das Sozialgeflecht im Jugendhaus wahnsinnig verändert.

Rienecker: Die letzten Jahre war es oft so, dass Jugendliche sofort wieder gegangen sind, wenn einer da war, der nicht ins Konzept passte. Es hat einen Scheuklappeneffekt ausgelöst. Das Haus wurde dadurch phasenweise leergespielt, speziell in der Corona-Zeit. Die Konfliktbereitschaft war da sehr minimiert, und ich glaube, dass das nicht besser wird. Die soziale Interaktion geht mehr und mehr flöten.
Rienecker: Was glauben Sie, was ich an Rückmeldungen von Firmen erhalten habe, die Ausbildungsplätze anbieten! Die haben einen Riesenbedarf, sind aber derart frustriert, weil manche kaum lesen und schreiben können und andere keine Konzentrationsfähigkeit haben. Das sind alles Auswirkungen von dem ganzen Medien-Geraffel. Ich habe einen Vorteil: Ich komme aus der technologischen Steinzeit und kann es recht gut vergleichen. Auffällig ist mittlerweile auch, dass die manuellen Fähigkeiten der Kinder fast unterirdisch sind.

Rienecker: Wenn im Haus etwas kaputt ging, dann habe ich häufig nur das passende Werkzeug rausgesucht und den Rest haben die Kids gemacht. Wenigstens die Hälfte meiner 30 Jahre war das so. Auch, dass wir vieles gemeinsam gemacht haben: die Glasmosaike im Treppenhaus gestaltet, die Wände bemalt oder die technisch sehr anspruchsvolle Theke gebaut. Beim Johannisfeuer hatten die Jungs sogar Bulldogs organisiert. Die konnten mit Kettensägen umgehen und haben mit dem Förster gesprochen, wo man Holz im Wald holen kann. Und jetzt: Das ist alles verloren!

Rienecker: Meistens scheiterte es schon an der fehlenden Begeisterung. Wenn doch einer Lust hatte, mangelte es an Durchhaltekraft. Wie schnell die Jugendlichen heute die Lust verlieren, merkt man am Musikverhalten. Früher war es üblich, dass eine CD durchgehört wurde. Das ist die letzten Jahre unvorstellbar.
Rienecker: Früher habe ich mich mit manchen Kids öfters über komplizierte Themen wie schwarze Löcher unterhalten, wo man selbst nicht mehr durchblickt. Inzwischen hat man meist das Gefühl, man redet am besten mit Dreiwortsätzen. Und das quer durch alle sozialen Schichten. Das sind nicht nur Einzelfälle.

Rienecker: Aus meiner Sicht durchaus. Die Kommunikation fand ich einfacher. Und die Kids langweilen sich zu Tode. Manchmal habe ich mich gefragt: Wieso mache ich das eigentlich?
Rienecker: Es war anders. Ich meine, der Zeitgeist ist anders, die Technologie ist anders. Die heutigen Jugendlichen sind eher unmotivierter.

Rienecker: Ein erfülltes Arbeitsleben, ein cooler Job. Ich hab's trotz allem sehr gern gemacht.
Rienecker: Dass es hier bald weitergeht. Ideal wäre, das Jugendhaus zu zweit zu stemmen. Das war die ganze Zeit mein Wunsch, weil man allein überfordert ist.
Hier mal die Sicht eines 15 jährigen ADHSlers mit festgestellten motorischen Schwierigkeiten. Trotz dieser Probleme bin ich ein stolzes Mitglied der THW Jugend des Ortsverbandes Gerolzhofen, in dem ich sogar mein Leistungsabzeichen in der Stufe Bronze absolvieren konnte. Hier konnte ich mich trotz meiner Konzentrationsmängel und meiner "unterirdischen manuellen Fähgikeiten" frei entfalten und wurde akzeptiert so wie meine Persönlichkeit ist. Hier nochmals als Aufruf für alle Jugendlichen, die eine sinnvolle außerschulische Beschäftigung suchen: Meldet euch bei der Jugendorganisation des Technischen Hilfwerks.
Grüße
Simeon Kerler
Dem Anliegen meines Sohnes kann ich nur zustimmen.
Martina Kerler
Was ich am meisten bedauere ist, dass nur noch Geld wichtig scheint und kaum noch eine Kommune wirklich das Geld in die Hand nimmt, oder nehmen kann, welches damals für Jugendarbeit ausgegeben wurde.
Schade!
Marc Schenk