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Gerolzhofen
Immer mehr Jugendliche mit psychischen Auffälligkeiten: Ist ein kommunales Jugendhaus noch zeitgemäß?
Der Jugendhausleiter Kurt Rienecker hat im Stadtrat mit deutlichen Worten die Probleme geschildert, die in der heutigen Jugendarbeit auftreten. Es ist deprimierend.
Das Jugendhaus in Gerolzhofen: Über die Situation in der Jugendeinrichtung informierte deren Leiter, Kurt Rienecker, den Stadtrat.
Foto: Klaus Vogt | Das Jugendhaus in Gerolzhofen: Über die Situation in der Jugendeinrichtung informierte deren Leiter, Kurt Rienecker, den Stadtrat.
Klaus Vogt
 |  aktualisiert: 30.04.2022 02:29 Uhr

Der Jugendhaus-Leiter Kurt Rienecker hat vor dem Stadtrat einen Tätigkeitsbericht über seine Arbeit in der städtischen Jugendeinrichtung abgegeben. Sein Vortrag, der auf Wunsch von Stadtrat Burkhard Wächter (CSU) zustande kam, hinterließ im Gremium eine spürbar gedrückte Stimmung. Denn Rieneckers "ungeschminkter Bericht", wie es Thomas Vizl (Geo-net) anschließend bezeichnete, schilderte die Probleme, die in der heutigen Jugendarbeit auftreten. Und dies führte letztlich auch zu der Frage, ob der Ansatz mit einem kommunalen Jugendhaus überhaupt noch zeitgemäß ist.

Im kommenden Jahr besteht die Gerolzhöfer Jugendeinrichtung seit 50 Jahren. Zunächst war das "Jugendzentrum" unter Selbstverwaltung im Bürgerspital und dann in der Pestalozzistraße untergebracht, ehe die Stadt hauptamtliche Jugendhausleiter anstellte und das Wohnhaus der ehemaligen Bullenstation an der Dreimühlenstraße schließlich in ein Jugendhaus umwandelte. Kurt Rienecker leitet das Haus bereits seit dem Jahr 1990. Im März nächsten Jahres möchte er mit dann 63 Jahren in den Ruhestand wechseln. Und spätestens dann muss eine Entscheidung über die Zukunft des Jugendhauses fallen.

"Bizarr und unerklärbar"

In seinem Vortrag blickte Rienecker konkret auf die vergangenen zwei Jahre zurück, verglich aber angesichts seines großen Erfahrungsschatzes immer wieder auch die heutige Situation mit den Verhältnissen vor zwanzig, dreißig Jahren. Vor der Corona-Pandemie habe es im Jugendhaus ein Klientel gegeben, das sowohl vom Geschlecht als auch von den besuchten Schularten her gut gemischt gewesen sei. Diese "damalige Mannschaft" sei dann aber dem Jugendhaus entwachsen und es habe dann eine "zähe und holprige Phase des Neuanfangs" begonnen. "Da ging nur noch herzlich wenig", sagte Rienecker. Es sei geradezu "bizarr und unerklärbar" gewesen, warum das Jugendhaus kaum noch auf Interesse stieß.

Kurt Rienecker (links), im Bild mit Bürgermeister Thorsten Wozniak, leitet seit über 30 Jahren das Gerolzhöfer Jugendhaus.
Foto: Norbert Vollmann | Kurt Rienecker (links), im Bild mit Bürgermeister Thorsten Wozniak, leitet seit über 30 Jahren das Gerolzhöfer Jugendhaus.

Dann aber sei plötzlich eine große neue Gruppe in das Haus gekommen, berichtete Rienecker, denn er hatte zuvor mit Schulsozialarbeitern Kontakt aufgenommen und für das Jugendhaus geworben. Leider seien unter den Neuankömmlingen aber auch "einige harte Brocken" gewesen, etwa 15 Jahre alt, mit Drogenerfahrungen und polizeibekannt. Dies habe dazu geführt, dass die übrigen Besucher ausgeblieben seien. "Viele haben heutzutage keine Sozialkompetenz mehr. Die gehen dann einfach."

"Randgruppenarbeit"

Er habe dann als Jugendhausleiter notgedrungen eine Zeit lang mit den verbliebenen problematischen Jugendlichen "Randgruppenarbeit" geleistet, was allerdings kaum oder nur wenig Erfolg gebracht habe, so Rienecker. Als es dann zu Verstößen gegen die "absoluten No-Gos" im Jugendhaus - Diebstahl und Drogenmissbrauch - gekommen sei, habe er "diese Gruppe dann komplett rausgeworfen".

Als der erneute Neubeginn gerade gut angelaufen war, habe Corona dann für den Lockdown und die Schließung der Einrichtung gesorgt, schilderte Rienecker die Lage während der Pandemie. An Absprache mit dem Bürgermeister habe er während der Schließung des riesige Fotoarchiv aus den vergangenen Jahrzehnten mit rund 3500 Aufnahmen bearbeitet und digitalisiert, um den Fundus als Beleg der Stadtgeschichte demnächst an das Stadtarchiv übergeben zu können.

Ferienspaß wird immer schwieriger

Trotz Corona habe der Ferienspaß stattgefunden, sagte Rienecker. Allerdings werde es hier immer schwieriger für ihn, noch ein attraktives Programm auf die Beine zu stellen. Viele der Vereine, die früher immer sich daran beteiligt hätten, seien heutzutage leider nicht mehr dazu in der Lage, weil ihnen ehrenamtliche Helfer fehlen. Aber auch die Erwartungshaltung der Kinder habe sich geändert. "Alles, was nach Bildung aussieht, zieht heutzutage nicht mehr", stellte Rienecker fest. Während früher manche Angebote schon am ersten Tag ausgebucht waren, müsse er heutzutage am Telefon stundenlang noch nach Teilnehmern suchen, damit wenigstens die Mindestteilnehmerzahl erreicht werden kann.

Nach den Lockerungen der Corona-Auflagen wurde auch das Jugendhaus wieder geöffnet, allerdings mit einer Deckelung von maximal 20 Besuchern. "Es war ein guter Start." Am Anfang sei man beim Einhalten der Hygienestandards aber etwas zu lax gewesen. "Da war dann auch die Polizei zweimal im Haus", gestand der Leiter.

Innere Leere bei Jugendlichen

Im Rückblick auf seine über 30-jährige Tätigkeit sagte Kurt Rienecker, die Zahl von psychisch auffälligen Kindern und Jugendlichen nehme stetig zu. Da komme auch er bei der Arbeit an seine Grenzen. Generell sehe er bei vielen Kindern eine "innere Leere", gepaart mit einem überhöhten Anspruchsdenken, nur zu konsumieren und sich bespaßen und berieseln zu lassen, ohne aber mal Eigeninitiative zu zeigen. Während früher Jugendliche oft kleinere Hausmeister-Tätigkeiten im Jugendhaus übernehmen konnten, greife heutzutage ein fehlendes Technikverständnis bei selbst einfachsten Arbeiten um sich. "Es ist eine Wahnsinns-Verblödung", formulierte es Rienecker drastisch. Auch dass man sein Geschirr abspült oder die Küche nach der Benutzung putzt, sei vielen Jugendlichen völlig fremd. "Dies geht quer durch alle sozialen Schichten."

"Großartige Arbeit"

Der Jugendreferent im Stadtrat, Benedikt Friedrich (CSU), lobte die "großartige Arbeit" von Kurt Rienecker, die er selbst als Jugendlicher noch habe erleben dürfen. Rieneckers Schilderung der modernen Jugend könne er voll und ganz unterschreiben, sagte Friedrich, der in Schweinfurt als Gymnasiallehrer arbeitet. "Die Kinder werden immer schwieriger, es fehlt an Sozialkompetenz und das handwerkliche Geschick lässt nach." Viele der "anspruchsvollen Konsum-Jugendlichen" seien verhaltensauffällig und kaum noch zu integrieren. Deshalb stelle sich durchaus die Frage, ob ein Jugendhaus in seiner jetzigen Form überhaupt noch zukunftsfähig sei, sagte der Jugendreferent.

Jugendarbeit in der Bibliothek?

In die gleiche Richtung ging auch die Äußerung von Burkhard Wächter: "Müssen wir unsere Jugendarbeit in Zukunft anders organisieren?" Schließlich dürfe man auch nicht übersehen, dass das Geld immer knapper werde. Von seiner ursprünglichen Idee, die kommunale Jugendarbeit künftig eventuell an die Stadtbibliothek anzudocken, nahm Wächter allerdings noch in der Sitzung wieder Abstand. "Nach dem Vortrag von Kurt Rienecker sehe ich jetzt, dass dies doch eher schwieriger wird."

Thomas Vizl (Geo-net) forderte die Fraktionen auf, sich schon jetzt intensiv Gedanken zu machen, wie die Jugendarbeit in Zukunft aussehen könnte - "auch unter den Kostenaspekten". Der 2. Bürgermeister Erich Servatius (SPD) brachte als Alternative zum bisherigen Jugendhaus einen Streetworker oder Sozialarbeiter ins Gespräch. "Irgendetwas brauchen wir auf jeden Fall", betonte er.

Und Günter Iff (Freie Wähler) fragte, ob bei massiven Fehlentwicklungen von Kindern und Jugendlichen der Jugendhausleiter noch "sozial regulierend" eingreifen kann. Die Antwort Kurt Rieneckers war eindeutig: "Nein."

 
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Kommentare
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  • S. T.
    wenn "die Jugendlichen" jetzt so schwierig und /oder verwöhnt und "verblödet" sind, ist es vielleicht auch mal an der Zeit einen Blick auf die Eltern zu werfen, deren Generation jetzt ja dann wahrscheinlich hauptsächlich im Stadtrat sitzt. ... Was läuft da zuhause schief ("geht durch alle Schichten"..)
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  • M. F.
    Wen Interessiert denn nen Jugendhaus noch? Die Kiddies sind doch lieber zu Hause und spielen stunden und Tagelang Konsolenspiele oder PC Spiele. Oder schauen Stundenlang Netflix oder pflegen ihren Facebook, TikTok oder Instagram Account. Die sind doch froh wenn sie nach der Schule nirgends mehr hingehen müssen.
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  • M. F.
    War klar, dass ein Kommentar zur jugendlichen Lebenswelt kommt. Nur ist der Experte wohl selbst überhaupt nicht mehr in dem Alter der Leute, über die er/sie spricht
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