
Keine Frage, die Frau muss anstrengend gewesen sein. Dieser Tornado aus unterdrückten Sehnsüchten und unstillbarer Liebessehnsucht. Diese Unfähigkeit, auch nur für eine Minute zur Ruhe zu kommen und durchzuatmen. Diese fundamentalistische Ablehnung jeglicher Konvention. Aber wäre Janis Joplin auch nur eine Winzigkeit anders gewesen, die Geschichte der Rockmusik wäre höchstwahrscheinlich anders verlaufen. Und vor allem: Die Menschheit wäre um einen Schatz an unglaublich mitreißenden, ergreifenden und beglückenden Songs ärmer.
All das wird in "Cry Baby" spür- und erlebbar, der ersten Eigenproduktion des Theaters der Stadt Schweinfurt, die am Samstag im Museum Otto Schäfer Premiere hatte. Allein schon der Ort: Hier die gediegenen Räume der "Kulturvilla" mit beigem Teppichboden und Dürer-Drucken in den Vitrinen, dort die spartanische, schwarz ausgekleidete Bühne, auf der eine Frau in Pelzweste und angedeutetem Hippie-Holzperlenschmuck sich die Seele aus dem Leib singt.
Nicht schreit, wohlgemerkt, denn Laura Mann weiß genau, was sie stimmlich tut. Was Janis Joplin (1943-1970) mit dieser unerklärlich unendlichen Energie bewerkstelligte, die offenbar keinerlei physiologischen Gesetzen unterlag, macht die fabelhafte Darstellerin mit Technik. Und mit einem Feeling, das schon vom ersten Ton an unter die Haut geht.

Janis Joplin ist unkopierbar, aber eben nicht unnahbar
Laura Mann verkörpert in dem Stück von Intendant Christof Wahlefeld (auch Regie) diese Janis Joplin einerseits kongenial und mit vollem Einsatz, andererseits mit jenem genau kalkulierten Rest Distanz, den es braucht, um über den bloßen Versuch einer möglichst naturgetreuen Kopie hinauszukommen. Janis Joplin ist unkopierbar, aber eben nicht unnahbar.
Die kurzen gesprochenen Passagen bringen nicht so sehr die biografische Handlung voran, Lebensdaten und -stationen kann jeder bei Google nachlesen. Vielmehr illustrieren sie eine seelische Entwicklung: von der Auflehnung des trotzigen Teenagers gegen den rassistischen Mief seiner texanischen Heimatstadt Port Arthur (übrigens etwa genauso groß wie Schweinfurt) bis zu den drogengeschwängerten (inneren) Monologen des Rockstars, der kein Mittel gegen die Einsamkeit findet: "Auf der Bühne habe ich Sex mit 25.000 Menschen, und dann gehe ich alleine nach Hause."

Vom Blues einer Bessie Smith über den Rythm and Blues von Aretha Franklin (sehr aufschlussreich die übernervöse Version von "Respect") oder ein gänsehauterzwingendes "Summertime" bis zu den genialen eigenen Songs wie "Piece of My Heart", "Try", "Me and Bobby McGee", "Cry Baby" und natürlich "Mercedes Benz": Laura Mann findet genau die richtige Balance zwischen originalgetreuer Leidenschaft und der respektvollen Sorgfalt, die diesen Klassikern gebührt. Der phänomenal musikalische Jan Reinelt am Keyboard ist ihr dabei idealer Partner.
Autor Christof Wahlefeld nimmt das Publikum mit auf eine atemberaubende Lebensreise voller Höhenflüge und Abstürze. Weder idealisiert er die Legende Janis Joplin, noch wirbt er um Mitleid für die junge Frau, die aus dem Leben scheidet, bevor sie auch nur annähernd ihren Platz darin gefunden hat. Und genau deshalb ist das Stück unendlich traurig, unendlich schön und unendlich tröstlich.
Auch die zweite Vorstellung nach der umjubelten Premiere war restlos ausverkauft. Das Stück soll deshalb in der kommenden Saison wiederaufgenommen werden – im Evangelischen Gemeindehaus, also vor größerem Saal und mit erweiterter Instrumentalbegleitung.