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Werneck
Ukrainekrieg weckt Erinnerung an Kriegszeiten, als Mädchen zu Arbeitsmaiden zwangsverpflichtet waren
Mit Zwangsarbeit und Kriegsgefangenschaft in Werneck beschäftigte sich Manfred Fuchs vom Historischen Verein. Er kennt auch eine besondere Liebesgeschichte.
Als Arbeitsmaiden wurden junge Frauen für den Reichsarbeitsdienst zwangsverpflichtet, hier im RAD-Lager Werneck beim Stopfen von Strohsäcken. Vorne links die Elsäßerin Helene Bauer.
Foto: Archiv Manfred Fuchs | Als Arbeitsmaiden wurden junge Frauen für den Reichsarbeitsdienst zwangsverpflichtet, hier im RAD-Lager Werneck beim Stopfen von Strohsäcken. Vorne links die Elsäßerin Helene Bauer.
Silvia Eidel
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:06 Uhr

Der Krieg in der Ukraine lässt einen gedanklichen Bogen zur Zeit des Zweiten Weltkriegs und des Nationalsozialismus schlagen. Wie war das damals bei uns, als die Männer an der Front waren und Kriegsgefangene bei den Bauern und in Betrieben arbeiten mussten? Oder als junge Frauen für den Reichsarbeitsdienst (RAD) zwangsverpflichtet wurden? Für Werneck hat Manfred Fuchs als Mitglied des Historischen Vereins dazu recherchiert und dabei auch neue Fotos aus dem RAD-Lager am Ort und den sogenannten Arbeitsmaiden entdeckt.

80 Jahre sind die kleinen Fotografien alt, vom Sommer 1942. Junge Frauen sind zu sehen: bei der Gartenarbeit, beim Putzen, beim Erbsenpflücken auf Gut Dächheim, mit dem Fahrrad auf dem Weg zum Außendienst, beim Stopfen von Strohsäcken. Ein Fahnenappell oder ein "Waschschüssel-Appell", wie es auf der Foto-Rückseite heißt, sind festgehalten, aber auch fröhliches Beisammensein.

In der Landwirtschaft mussten die jungen Frauen beim Reichsarbeitsdienst mithelfen, hier beim Erbsenpflücken auf Gut Dächheim.
Foto: Archiv Manfred Fuchs | In der Landwirtschaft mussten die jungen Frauen beim Reichsarbeitsdienst mithelfen, hier beim Erbsenpflücken auf Gut Dächheim.

In den Kriegsjahren 1939 bis 1945 waren – nach den Männern – auch junge Frauen zum Reichsarbeitsdienst verpflichtet worden, zunächst für sechs Monate, später für ein Jahr und mehr. Sie waren unentgeltlich als Ersatz für fehlende männliche Arbeitskräfte in der Landwirtschaft eingesetzt, als Familienhelferinnen, aber auch in der Verwaltung, in der Rüstungsproduktion und im öffentlichen Nahverkehr. Auch als Flak-Helferinnen wurden die sogenannten Arbeitsmaiden herangezogen.

100 junge Frauen lebten in den Baracken

Am Ortsausgang von Werneck Richtung Rundelshausen war 1936 ein RAD-Lager errichtet worden, die Männer mussten bei der Regulierung der Wern mitarbeiten. Zwei Jahre später wurden die Männer abkommandiert, das Lager stand leer. In der Folgezeit wurde es als "RADwj" (weibliche Jugend) genutzt. Wie auf der Homepage des Historischen Vereins Markt Werneck nachzulesen ist, hatte die Zeitzeugin Karola Pfister Platz für etwa 100 junge Frauen in den Baracken ausgemacht, die in Schlafräumen zwischen vier und 15 Betten untergebracht waren.

Am Ortsrand von Werneck lag das Lager des Reichsarbeitsdienstes, hier eine Postkarte aus der Zeit.
Foto: Archiv Manfred Fuchs | Am Ortsrand von Werneck lag das Lager des Reichsarbeitsdienstes, hier eine Postkarte aus der Zeit.

Eine dieser jungen Frauen war Helene Bauer aus dem kleinen Ort Volksberg im französischen Elsaß, das von 1940 bis 1944 von den Nationalsozialisten besetzt war. Sie wurde von April bis Oktober 1942 zum Reichsarbeitsdienst nach Werneck geschickt. Im Acht-Personen-Haushalt des Schneidermeisters Emil Reith in der Spitalstraße half sie im Haushalt und bei der Kinderbetreuung mit.

Eine Freundschaft mit der Familie entstand, weiß Manfred Fuchs: Seine Mutter Maria war eines der Reith-Kinder, die von Helene betreut wurden und mit der sie auch nach dem Krieg regelmäßigen Kontakt hielt.

Kriegsgefangene arbeiteten auf den Bauernhöfen

Zeitgleich, zwischen 1941 und 1945, waren in Werneck auch Kriegsgefangene aus Belgien, Frankreich, Polen und Russland eingesetzt: Auf den Bauernhöfen, in verschiedenen Betrieben oder bei der Gemeinde. Etwa 25 Belgier und Franzosen waren in einem Lager in der Wurmshalle in der Schönbornstraße untergebracht. Sie konnten sich relativ frei bewegen und mussten nur am Abend wieder in ihrem Lager sein, erinnert sich Zeitzeuge Alfred Schmidt auf der Internetseite des Historischen Vereins. Einer dieser Belgier war Louis Dony, der unter anderem bei der Brauerei Wurm, als Totengräber für die Gemeinde und beim Bauunternehmen Wegner arbeitete.

Das Lager der russischen Kriegsgefangenen lag in einer Halle hinter der damaligen Kirche. Die Männer mussten unter anderem den großen Bunker für die Bevölkerung bauen. Die polnischen Gefangenen wohnten einzeln bei den Familien.

Gespräche mit Kriegsgefangenen waren verboten

Auf dem Weg von ihrem RAD-Lager ins Dorf mussten die "Arbeitsmaiden" an der Wurmshalle vorbeilaufen. Gespräche mit den Kriegsgefangenen waren zwar verboten, so Manfred Fuchs. Aber die jungen Leute suchten sich andere Wege: Mit kleinen, gefalteten Nachrichtenzetteln, die in einem günstigen Moment fallen gelassen oder durch das Tor gereicht wurden, verständigte man sich.

Kriegsgefangene aus Frankreich und Belgien waren in der Wurmshalle in Werneck untergebracht, hier auf dem Foto mit Nachbarskindern. Der Belgier Louis Dony ist der zweite von rechts.
Foto: Archiv Manfred Fuchs | Kriegsgefangene aus Frankreich und Belgien waren in der Wurmshalle in Werneck untergebracht, hier auf dem Foto mit Nachbarskindern. Der Belgier Louis Dony ist der zweite von rechts.

Besonders gut verstanden sich offensichtlich der Belgier Louis Dony und die Elsässerin Helene Bauer, weiß Manfred Fuchs. Nach Kriegsende erhielt die Familie seiner Mutter einen Brief, in dem Helene fragte: "Ratet mal, wen ich geheiratet habe, den kleinen Louis!" Im August 1946 hatten die beiden Hochzeit gefeiert. Louis arbeitete nach der Heimkehr aus der Kriegsgefangenschaft bei der SNCB, der Belgischen Eisenbahngesellschaft, und wohnte mit seiner Familie im Örtchen On im südöstlichen Teil Belgiens.

Der Kontakt zwischen der Familie Dony und Marias Familie, inzwischen verheiratete Fuchs, wurde durch gegenseitige Besuche über all die Jahre aufrecht erhalten, erzählt der heute 63-jährige Sohn Manfred Fuchs. Auch nachdem Louis Dony 1995 und seine Frau Helene 2013 gestorben waren, hält er die Verbindung zu deren Sohn Christian aufrecht.

 
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