Eigentlich müsste Corona auf die Anklagebank. Ein überführter Übeltäter unermesslichen Ausmaßes, der sich dennoch jeder menschlichen Gerichtsbarkeit mit Leichtigkeit entzieht. Dennoch hat das Virus, das seit mehr als neun Monaten das gesamte Leben verändert, auch die Justiz, diese Säule der Demokratie, nicht verschont. Der Betrieb wurde nach Kräften und Möglichkeiten und so gut es ging fortgeführt. Natürlich mit Maske, Abstand und Selbstauskunft am Gerichtseingang. Egal ob Zeuge, Besucher oder Pressevertreter. Ohne Angabe der Personalien, die im Infektionsfall helfen Kontaktpersonen aufzuspüren, geht bei Gericht nichts. Die neuen Bedingungen, vor allem die Masken und die durchsichtigen Stellwände, auch "Spuckschutz" genannt, führten zu manchem akustischen Verständnisproblem, denn sie halten nicht nur Viren, sondern auch den Schall auf.
Die Plexiglaswände, die in den Sitzungssälen großzügig aufgestellt werden müssen, trennen nicht nur den Richter vom Saal, sondern auch den Anwalt von seinem Mandanten. Die Folge: Manches Gesagte musste nochmal gesagt werden. Laute und deutliche Wiederholungen waren zumindest in den ersten Monaten keine Seltenheit. Inzwischen scheint man sich etwas besser an die "gedämpfte Akustik" gewöhnt zu haben.
Und dann noch das zum Ritual gewordene Stoßlüften. Je nach Größe eines Gerichtssaals und Zahl der darin befindlichen Menschen heißt es alle 20 bis 40 Minuten "Fenster auf und frische Luft reinlassen". Fünf bis zehn Minuten bleiben die Fenster auf. Das sorgt nicht nur für frische Luft, sondern der Jahreszeit entsprechend auch für kalte Luft - und für zusätzlichen Lärm. Und mit dem ist im Landgericht Schweinfurt häufig zu rechnen, wird doch dort in großem Umfang umgebaut.
Die Arbeiten für das Justizzentrum laufen seit 2019. Das alte Finanzamt wurde abgerissen um Platz zu schaffen für den Neubau des Schweinfurter Justizzentrums. Der Neubau mit Tiefgarage soll 2023 fertig sein, dann wird der Altbau saniert, was noch einmal zwei Jahre dauern wird. Während der Neu- und Umbauzeit werden leer stehende Räume in der Theresienstraße für Gerichtsverhandlungen genutzt.
Die Justiz in Schweinfurt sei trotz Bauarbeiten und Corona gut durch das Jahr gekommen, bilanziert Reinhard Pfingstl, Präsident des Landgerichtes in Schweinfurt. "Bis 10. Januar ist Weihnachtspause auf der Baustelle", man liege aber sehr gut im vorher gesteckt Zeitplan. Er spricht sogar von einer "erstaunlichen Geschwindigkeit", mit der das schon stehende Erdgeschoss des Justizzentrums hochgezogen wurde.
Die Anmietung der Ausweichsäle in der Theresienstraße um dort die Verhandlungen für Strafsachen durchführen zu können, habe sich als Glücksfall erwiesen. "Von den Räumlichkeiten her ideal. Drei Säle von der Größe in einem Gebäude finden, dass war schon wirklich gut" (Es handelt sich um die ehemalige Berufsschule der Erlöserschwestern, in denen junge Frauen auf den Beruf der Hauswirtschafterin vorbereitet wurden). Dort wurde sogar ein ehemaliger Speisesaal zum Sitzungssaal. Bis in die Stadthalle musste man bei einem "Groß-Prozess" ausweichen, um den Abstandsgeboten zu entsprechen. Natürlich sei es in der Zeit der Pandemie prinzipiell etwas schwieriger zu Verhandeln, weil auf Distanz geachtet werden muss. Das gelte aber in erster Linie für Strafsachen, in öffentlichen Zivilsachen seien kaum Zuhörer anwesend. "Aber es ist immer gelungen zu Verhandeln".
Auch wenn es "nur" um Geld geht, ist Eile geboten
Auch bei Zivilsachen, wo es meist um Geld geht, wurde in vollem Umfang weiter verhandelt. Es könne den Menschen schlecht erklärt werden, dass sie auf einen Schadensersatzanspruch weiter warten müssen, weil sich die Verhandlung verzögert. "Wir bemühen uns diesen Anspruch, den die Menschen an die Justiz haben, auch gerecht zu werden", so Landgerichtspräsident Reinhard Pfingstl.
Gerichtsreporter Stefan Sauer, altgedienter Justiz-Versteher und Strafprozess-Beobachter ist zwar inzwischen im Ruhestand - den er aber mehr als nur gelegentlich zum Unruhestand macht, wenn er für diese Zeitung über die - meist großen - Verhandlungen berichtet. "Gerichtsverfahren sind in der Regel öffentlich. Wer einen Strafprozess verfolgen will, passiert die Pforte und die Personenkontrolle mit Sicherheitsschleuse und sucht sich den richtigen Gerichtssaal", weiß er aus jahrzehntelanger Erfahrung. Doch dann kam das Frühjahr 2020 und auch Neues für jemand wie ihn, der vermutlich schon ziemlich alles vor Gericht gesehen hat. "Da war plötzlich eine weitere Hürde zu nehmen: Formular ausfüllen. Name, Adresse, Telefonnummer, Datum, Zeitpunkt und Zweck des Besuchs und die Versicherung, dass man sich nicht krank fühlt und nicht kürzlich aus einem Risikogebiet zurückgekehrt ist, womit in der ersten Pandemiezeit vornehmlich Norditalien gemeint war. Desinfektionsmittel stand am Formularausfülltischchen", erinnert sich Sauer an seine erste "Corona-Verhandlung".
Ein paar Monate später sei im Formular nicht mehr nach Risikogebieten gefragt worden "sie waren wohl zu zahlreich". Dass man sich nicht krank fühlt, musste weiterhin mit Unterschrift versichert werden. Und: Jetzt galt auch Abstands- und Maskenpflicht im kompletten Gebäude, bis im Gerichtssaal selbst Richter oder Richterin diese zur besseren gegenseitigen Verständigung wieder aufheben konnten. Das zusätzliche Formularausfüllen erfordere aber auch Zeit und könne zu Schlangenbildung führen, wenn viele Angehörige und Neugierige ein Verfahren verfolgen wollen.
Und wenn es zu eng wird, mussten "Ausweichquartiere" geschaffen werden. "Jüngst etwa hat der Prozess gegen einen Jugendfußballtrainer, der neun Jungen der U-15-Mannschaft sexuell teils schwer missbraucht hatte, in der Stadthalle stattfinden müssen. Nur diese war groß genug, um ausreichend Platz mit vorgeschriebenem Corona-Abstand für Gericht, Staatsanwaltschaft, den Angeklagten uns seine Vorführ-Polizisten, neun Nebenkläger (Opfer, Eltern, Verteidiger), sowie den Presse- und Besucherandrang zu bieten". Damals - es war da auch schon kälter - sei auch noch das "Corona-Lüften" nach rund 20 Minuten dazu gekommen.
So hat das Covid-Virus auch der Schweinfurter Justiz in diesem Jahr erheblichen Mehraufwand beschert - vom zusätzlichen Formularwesen über die Handdesinfektion, den Mund-Nasen-Schutz und ständigem Stoßlüften im Winter bis hin zu teuer anzumietenden Gerichtssälen wie einer Stadthalle, in der sonst Tatoo-Messen oder Faschingssitzungen der Schwarzen Elf mit Garden und hunderten Besuchern stattfinden. Weil an Narretei und Mumenschanz derzeit aber eh nicht zu denken ist, hat die Justiz bis auf Weiteres wohl kaum Probleme, einen XXL-Gerichtssaal anzumieten. Das nächste Verfahren in der Stadthalle soll Anfang Januar beginnen.