Auch am Tag nach dem Fund von sprengfähigem Material in einer Wohnung in Schweinfurt bleiben viele Fragen offen. Unter anderem, ob Anhaltspunkte für die Planung einer extremistische Tat vorliegen. Die Ermittlungen des Landeskriminalamts (LKA) konzentrieren sich dabei auf einen 35-Jährigen, der sich am Montag als Besitzer der gefährlichen Stoffe zu erkennen gegeben hatte. Wie ein LKA-Sprecher auf Nachfrage dieser Redaktion bestätigte, erließ ein Ermittlungsrichter am Dienstagnachmittag Haftbefehl gegen den Mann, der nun in Untersuchungshaft sitzt. „Wir ermitteln jetzt vor allem im Umfeld des Verdächtigen“, so der LKA-Sprecher weiter. Aktuell lägen aber „keine konkreten Beweismittel“ für einen Bezug zu einer extremistischen Vereinigung vor.
Auch die 30-Jährige, in deren Wohnung das Material gelagert war, ist weiter im Visier der Ermittler. Sie war genauso wir ihr 32-jähriger Bruder und ein 34-jähriger Nachbar am Montag festgenommen worden. Alle drei befinden sich zwar wieder auf freiem Fuß, welche Rolle sie in dem Fall spielten, sei aber weiter Gegenstand der Ermittlungen.
35-Jähriger hortete hochgefährliches TATP
Klarheit gibt es dagegen darüber, was der 35-jährige Inhaftierte in der Wohnung deponiert hatte. Ersten Laboruntersuchungen zufolge habe es sich mit großer Wahrscheinlichkeit unter anderem um das hochexplosive Triacetontriperoxid (TATP) gehandelt, wie das LKA auf Nachfrage bestätigte. Sprengstoffexperten hatten das Material am Montagabend gegen 21.30 Uhr unter starken Sicherheitsvorkehrungen auf einem freien Feld in einer extra dafür ausgehobenen Grube kontrolliert gesprengt.
Wie berichtet, war ein Gerichtsvollzieher am Montagmorgen während einer Zwangsräumung in der Wohnung und einem Kellerabteil in einem größeren Wohnkomplex auf die verdächtigen Materialien gestoßen und hatte die Polizei eingeschaltet. Laut LKA wurden 30 Liter verschiedener Chemikalien sowie ein Kilogramm selbst hergestellter Sprengstoff gefunden. Das Anwesen samt benachbarter Gebäude wurde evakuiert, der Bereich weiträumig abgesperrt. Erst gegen 2.15 Uhr konnten die letzten Bewohner in ihre Wohnungen zurückkehren.
So verbrachten die Anwohner die Nacht
Viele der Bewohner verbrachten die Nacht aber nicht in einer zur Notunterkunft umfunktionierten Turnhalle, sondern bei Angehörigen in der Umgebung oder in Wohnungen der Stadt- und Wohnbau GmbH (SWG), der die geräumten Gebäude gehören. Von den rund 100 Menschen, die laut Polizei nach Bekanntwerden des Chemikalienfundes per Bus zu der Notunterkunft gebracht worden waren, blieben nur etwa 20 bis zur Entwarnung. Alle anderen kamen anderweitig unter.
So Sylvia Wagner mit ihren beiden Kindern. Gegen 12 Uhr holten sie Polizisten aus der Wohnung: „Schnell raus“, sagten sie. Sie wurden zur benachbarten früheren Schule der US-Amerikaner gebracht, wo sie Namensschilder bekamen und dann in die Halle gefahren wurden. Die SWG und das Rote Kreuz hätten sie „super betreut“. Sie konnten dann bei ihrer Schwester in Schweinfurt übernachten und sind am Dienstag gegen Mittag zurückgekehrt.
Chemikalienfund in Mehrfamilienhaus - nicht in Obdachlosenunterkunft
Kerstin Williams war mit ihren Kindern, darunter ein zehn Monate junges Baby, schon gegen 10 Uhr aus ihrer Wohnung geholt worden. Nach ihrer Ankunft in der Halle habe die SWG ihnen eine ihrer freien Wohnungen angeboten. „Eine Nacht woanders, das ist das kleinere Übel“, sagt Williams in Anbetracht der Gefahr, die in der Nachbarwohnung lagerte. Dass sie Dienstagmittag wieder zu Hause ist, freut sie gleichwohl. Ihr Sohn hat Geburtstag, er wird neun und sie backt gerade einen Kuchen.
Auch Ulrike Niedermeier musste ihre Wohnung verlassen. In dem Mehrfamilienhaus Euerbacher Weg 23, in dem sie wohnt, seien die Chemikalien gefunden worden – und nicht, wie es zunächst geheißen hatte, in der benachbarten Obdachlosenunterkunft. Sie konnte sich mit ihrem Fahrrad in Sicherheit bringen und hat die Nacht bei einer Freundin verbracht. Ihre Sorge galt dem Wellensittich, den sie allein lassen musste – der sei aber wohlauf. Nur auf warmes Wasser wartete Ulrike Niedermeier am Dienstagmittag noch. Die SWG hatte in Absprache mit der Polizei aus Sicherheitsgründen das Gas abgestellt.