
Wenn man Stefan Hoff besucht, merkt man ihm seine Leidensgeschichte nicht an: Freundlich lächelnd kommt der 33-Jährige den Hang vor seinem Haus in Oberschwarzach im Landkreis Schweinfurt heruntergelaufen, hält ein kurzes Pläuschchen. Seine Haltung ist aufrecht, der Gang gerade. Als er die wenigen Meter wieder nach oben steigt, sagt Hoff, dass er dafür vor ein paar Monaten noch zwei Pausen einlegen musste. Denn seit Januar schlägt in ihm ein neues Herz.
Hoff ist in Burgebrach im Landkreis Bamberg aufgewachsen. Mit neun Jahren, erzählt er, sei er ohne vorherige Anzeichen "plötzlich umgefallen". In der Klinik in Bamberg diagnostizieren die Ärzte damals eine Herzmuskelentzündung. Obwohl er lange Zeit Tabletten schlucken muss, gilt sein gesundheitlicher Zustand als stabil. Wie andere Jugendliche auch, treibt Stefan Hoff gelegentlich Sport. Macht seine Ausbildung und arbeitet in seinem Beruf als KfZ-Lackierer, bis er vor elf Jahren wegen einer Herzrhythmusstörung wieder ins Krankenhaus muss.
Diagnose: Fortschreitender Verlust von Herzmuskelzellen und Risse am Organ
22 Jahre alt ist er damals. In Erlangen stellt man fest, dass Hoffs rechte Herzkammer etwa doppelt so groß ist, wie sie ein sollte. Die Diagnose: Arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie, kurz ARVC. Durch die seltene Erkrankung und dem fortschreitenden Verlust von Herzmuskelzellen hatten sich an seinem Herzen Risse gebildet.
Die Ärzte entnehmen aus Stefan Hoffs Oberschenkel- und Leistenbereich Bindegewebe, um die Risse am Herzen wieder zu verschließen. Zudem wird dem 22-Jährigen ein Defibrillator in die Brust eingesetzt, der bei Herzrhythmusstörungen automatisch Elektroschocks abgeben soll. Doch nach der Operation, erzählt Hoff, kommt alles noch viel schlimmer. Nur einen Tag später hat er einen Schlaganfall. Einen weiteren Tag darauf stirbt sein Vater. "Zum Glück war ich zu diesem Zeitpunkt im Krankenhaus", sagt Hoff und kämpft mit den Tränen. "Sonst wäre ich gestorben. Das war damals richtig knapp."
Ein Schicksal, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint
Als er in der Kopfklinik in Erlangen wieder aufwacht, weiß er von nichts mehr. Nicht nur das Geschehene hat er vergessen, er hat auch das Sprechen und das Laufen verlernt. Fast ein Jahr lang kämpft sich der junge KfZ-Lackierer durch Reha und Therapiestunden, bis er sich alles wieder von Grund auf angeeignet hat.
Ungewissheit und Angst sind spätestens von da an seine ständigen Begleiter. In den folgenden zehn Jahren schlägt der Defibrillator in seiner Brust fünf Mal aus. Drei Mal aufgrund technischer Fehler. Jedes mal erleidet Stefan Hoff heftige Elektroschocks. Immer und immer wieder wird er an sein Schicksal erinnert, dazu kommen die ständigen Routineuntersuchungen.
Der Gedanke ans Aufgeben sei ihm hin und wieder durch den Kopf gegeistert, sagt Hoff. Aber er beißt sich durch. Er lernt seine Frau Iris kennen und zieht mit ihr nach Oberschwarzach, den Heimatort ihrer Eltern. Die beiden bekommen Nachwuchs, schenken ihrem Sohn das Leben. Doch im vergangenen Jahr, als der kleine Jona kaum ein Jahr alt ist, trifft die junge Familie aus Unterfranken erneut der Schock: Im Urlaub an der Ostsee beginnt bei Stefan Hoff wieder das Vorhofflimmern.
Überlebenschance gleich null, letzter Ausweg: Spenderorgan und Transplantation
In Bad Neustadt im Krankenhaus bescheinigen die Ärzte dem jungen Vater nur noch zehn Prozent der Leistungsfähigkeit seines Herzens. Die Erkrankung befindet sich im Endstadium. Mit gerade einmal 32 Jahren liegt, sagen die Mediziner, seine mittelfristige Überlebenschance bei Null. Der letzte Ausweg ist jetzt eine Transplantation.
Die Ärzte verlegen Hoff in die Herzklinik in Bad Oeynhausen in Nordrhein-Westfalen, wo er auf ein Spenderherz warten soll. Und wieder ist alles plötzlich gekommen: "Innerhalb von drei Wochen war das ganze Leben auf den Kopf gestellt", blickt Iris Hoff mit finsterer Miene zurück. Damit sein schwacher Körper ruhen kann, versetzt man ihren Mann ins Koma und beatmet ihn mit Maschinen.
Durchschnittlich sterben nach Angaben der Deutschen Transplantationsgesellschaft (DTG) in Deutschland jeden Tag drei Menschen, die zwar auf der Warteliste für ein lebensnotwendiges Organ registriert sind, für die sich aber kein Spender findet. Denn noch immer gibt es zu wenige Spenderorgane.
Doch Stefan Hoff hat Glück: Seit sechs Monaten ist er auf der Warteliste für ein Spenderherz vermerkt, er verbringt die Zeit in Ungewissheit im Krankenhaus, darf seinen Sohn nicht sehen und aufgrund der Gefahr von Infektionen nicht einmal ein Fenster zum Lüften öffnen - da kommt am 5. Januar um vier Uhr Morgens die Krankenschwester zwei Stunden früher als sonst in sein Zimmer, um ihm Blut abzunehmen.
Es ist endlich so weit. Noch an diesem Morgen sollte der Unterfranke ein neues Herz transplantiert bekommen. Ein hoch emotionaler Moment, sagt Hoff. Ein Moment, der unendliche Freude, aber auch große Angst und Panik in dem jungen Familienvater auslöst.
Erfolgreicher Eingriff: Ein neues Leben beginnt
Und dann das große Aufatmen: Als er nach erfolgreich verlaufener Operation seine Frau wieder in die Arme schließen kann, will er mit ihr beten. Zum Jahrestag, sagt Hoff ein halbes Jahr nach dem Eingriff, wolle er von nun an eine Kerze anzünden: "Ich feiere jetzt zwei Mal im Jahr Geburtstag!"
Als er schon einen Tag nach der OP sein neues Herz erstmals leicht belasten soll, steht Hoff aus seinem Bett auf - und öffnet das Fenster, um die erste frische Luft seit einem halben Jahr zu atmen: "Ich habe erstmal eine halbe Stunde lang geweint." In der Zeit, in der er an sein Krankenbett gefesselt gewesen war, hatte ihn die Angst überkommen, sein Sohn könnte ihn vergessen. Regelmäßig nahm Hoff deshalb Gutenacht-Geschichten für Jona auf, die seine Frau dem Kleinen vorspielen konnte. Jetzt aber darf er Jona endlich wieder sehen - und wieder heim.
Das erste Jahr nach einer Herztransplantation sei das "gefährlichste", sagt der 33-Jährige. Es könne jederzeit passieren, dass der Körper das fremde Organ wieder abstößt. Deshalb darf sich der Oberschwarzacher nicht überanstrengen, darf nicht arbeiten und noch nicht einmal seinen Sohn auf den Arm nehmen. Hin und wieder habe er das Gefühl, sich dafür rechtfertigen zu müssen, sagt Hoff. Etwa, wenn er und seine Frau Fremde bitten müssen, ob sie beim Anheben des Kinderwagens über ein paar Treppenstufen behilflich sein könnten.
Zeit statt Geld: Stefan Hoff betrachtet das Leben aus einem anderen Blickwinkel
Wer Stefan Hoff sein neues Herz gespendet hat - er weiß es nicht. Doch ist er dankbar und denkt auch an die Angehörigen des Spenders oder der Spenderin. Und, sagt Hoff, er sei seiner Familie, seinen Freunden unendlich dankbar. Insbesondere seiner Frau. Nur mit ihrer Hilfe und Unterstützung, sagt der 33-Jährige, habe er die schwere Zeit durchstehen konnte.

Ein transplantiertes Herz schlägt nicht für immer. In etwa zehn bis 25 Jahren wird Hoff erneut auf einen Spender angewiesen sein. Ob ihm das Angst macht? "So weit denke ich nicht. Was wäre das auch für ein Leben?", antwortet er. Das Leben betrachte er seit seiner Transplantation ohnehin aus einem völlig neuen Blickwinkel.
Früher sei er impulsiver gewesen, sagt der KfZ-Lackierer, habe sich über vieles aufgeregt: "Wenn einer falsch geblinkt hat, hat mich das genervt." Jetzt verzieht er beim Erzählen sein Gesicht, als könnte er sein früheres Ich heute selbst nicht mehr nachvollziehen: "Mittlerweile scheren mich viele Sachen einfach nicht mehr." Früher sei er des Geldes Willen sehr auf seine Arbeit fixiert gewesen. Inzwischen ist ihm die Zeit viel kostbarer. Er denke heute viel mehr über das Leben nach, sagt der Familienvater. Er achte mehr auf Zwischenmenschlichkeiten - und auf sich selbst.
Die Bereitschaft zur Organspende ist immer noch zu gering
Die Zahl der potentiellen Organspender ist in Deutschland nicht erfasst. Fakt ist jedoch, dass es im Vergleich zu denjenigen, die auf ein Spenderorgan warten, zu wenige sind. Die Skepsis und Zurückhaltung erklären sich die Hoffs vor allem damit, dass die Beschäftigung mit dem Tod, mit dem die Organspende zwangsläufig verbunden ist, ein unangenehmes Thema für die meisten ist.
Man neige dazu, nicht darüber nachzudenken, geschweige denn darüber zu diskutieren. "Ich möchte auf keinen Fall jemanden dazu zwingen", sagt Stefan Hoff. Und wünscht sich dennoch, dass die Menschen gegenüber der Organspende offener werden. Oft würden auch Falschinformationen kursieren. Deshalb will sich der Unterfranke mit dem Spenderherz in der Brust engagieren. Einen Vortrag an einer Realschule in Gerolzhofen hat er bereits gehalten.
In Deutschland muss explizit ein Organspendeausweis ausgefüllt werden, damit man nach seinem Tod für eine Spende in Frage kommt. Die Hoffs sprechen sich für eine "Widerspruchslösung" aus, wie es sie beispielsweise in Spanien gibt: Hier gilt prinzipiell jede Person als potentieller Spender. Möchte man das nicht, muss aktiv widersprochen werden.
Die Organspende könne übrigens auch befreiende Aspekte mit sich bringen, meint Iris Hoff: "Vielleicht fällt es auch den Angehörigen leichter, wenn sie wissen: Mein Mann konnte noch vier Menschenleben retten." Und Stefan Hoff fügt hinzu: "Ein Teil des Menschen lebt dann trotzdem weiter und kann, wie bei mir zum Beispiel, einem Familienvater das Leben retten."
Genau das ist der Punkt, den man auch als Gesunder beachten sollte. Aber wie soll es funktionieren in einer Zeit, wo die Politik die Menschen sogar bis 70 in Arbeit halten will?
Wir alle könnten besser und gesünder leben, wenn wir uns von diesem Irrweg verabschiedeten.
...die sich Herr Hoff gesetzt hat, kann ich (nach eigener lebensrettender OP) sehr gut nachvollziehen.
Ich wünsche ihm weiterhin viel Glück mit dem neuen Organ und noch ein langes Zusammensein mit seiner Familie.
Die Politik muss es endlich mal umsetzen, dann kann ganz vielen Menschen schneller geholfen werden!