Es ist ein historischer Moment, im "Gsellenstüble" des Kolpinghotels. Zum ersten Mal trifft sich dort ein vielseitig aufgestellter "Historischer Stammtisch". Stadtrat Peter Hofmann, bekannt durch seinen detailreichen Online-Schweinfurtführer sowie der Mainberger Historiker Thomas Horling hatten die Idee, einen Treffpunkt für Heimatforscher, Archivkundler, Gästeführer und Lokalgeschichtler zu schaffen. An jedem letzten Freitag im Monat will sich der Stammtisch nun treffen.
Zwölf Mitstreiter haben sich zum Auftakt eingefunden. Sie kommen aus dem AKI-Förderkreis Industrie-, Handwerk- und Gewerbekultur (mit eigenem Museum an der Gutermannpromenade) sowie aus dem Kreis des Historischen Vereins mit seinem Vorsitzenden Uwe Müller.
"Es ist erst der Anfang", sagt Peter Hofmann, der sich an den oft geäußerten Wunsch in der "Szene" erinnert, ob man sich nicht mal in zwangloser Runde treffen könnte. "Das Interesse an Schweinfurter Geschichte ist sehr groß", berichtet der Sammler von lokalen Geschichtsquellen aller Art, dessen Schweinfurtseite es auf 2000 Aufrufe im Monat bringt. Mit regelmäßigen Treffen, Vorträgen und Debatten sollen "neue Leute" gewonnen werden.
"Neue Leute", das meint nicht zuletzt die nächste Generation. Bei Referaten hat Hofmann gemerkt, dass es sehr viel Aufgeschlossenheit an den Schulen gibt. Gerade in Zeiten politischer Verunsicherung soll die Jugend wissen, warum die Stadt Schweinfurt, warum die demokratische Bundesrepublik heute so ist, wie sie durch historische Erfahrungen geworden ist.
Geheimes Widerstands-Netzwerk im Schweinfurter Untergrund
Hannes Helferich, Mitglied der "Initiative gegen das Vergessen" und langjähriger Main-Post-Redakteur, hält einen Vortrag zur "Gelben Birke". Das geheime Widerstands-Netzwerk war zur Zeit des Dritten Reichs buchstäblich im Schweinfurter Untergrund tätig, hat dringend benötigte Erdbunker gebaut, vor allem aber die Arbeitssklaven der Nazidiktatur geschützt, versteckt, versorgt. Bäcker und Metzger halfen mit Lebensmitteln. 2021 gab es dazu einen Artikel im Schweinfurter Tagblatt, zur Geschichte des Kronachers Andreas Bauer (1897-1964).
Der "Bunker-Bauer", ein vom Regime geschasster Journalist, Dissident und Heimatdichter, wird im Krieg Chef einer Gruppe des Landesschützenbataillons 805. Die Truppe soll die Zwangsarbeiter der Rüstungsschmiede am Main in Schach halten. 14.000 von ihnen verzeichnen die Unterlagen des Roten Kreuzes in Arolsen.
Am erbärmlichsten geht es verschleppten Sowjetbürgern. Dem gläubigen Christen Bauer ist klar: "Da geschieht Unrecht." Seine Eigeninitiative, mehr Schutzräume für die bedrohte Kugellager-Metropole zu schaffen, stößt ironischerweise auf den "Widerstand" der NS-Führung, die erst umdenkt, als sich ab 1943 die Luftangriffe verschärfen. Mehr als tausend Zwangsarbeiter oder Kriegsgefangene werden bei Eintreffen der US-Armee 1945 versteckt.
"Humanitären Widerstand" nennt Helferich die unscheinbaren, aber durchaus effektiven Handlungen der "Gelben Birke", von deren Mitgliedern 59 Namen verzeichnet sind. Die "Initiative gegen das Vergessen" will Andreas Bauer nun im Sommer mit einer umfassenden Broschüre ehren. Am Stammtisch entspannt sich eine lebhafte Debatte, was genau Widerstand war. Sicher ist, dass es ihn auch in der Industriehochburg Schweinfurt gab, unter Sozialdemokraten, Kommunisten, Kirchenleuten, Konservativen und stillen Alltagshelden.
Anders als in Kronach fehlt es in Schweinfurt aber noch an einer offiziellen Würdigung für den Lebensretter Bauer. SPD-Stadtrat Peter Hofmann stellt seinen Antrag vor, die Lüderitzstraße in Andreas-Bauer-Straße umzubenennen: Adolf Lüderitz war ein windiger, hochumstrittener Kolonialist in Namibia und NS-Idol. Alternativ soll ein Platz oder eine andere Straße nach dem Schweinfurter "Bunker-Bauer" benannt werden, als echtem Vorbild.