Den Main und sein Ufergelände hat Schweinfurt bei der Stadtplanung lange ignoriert. Seit vielen Jahrhunderten ist der Fluss vor allem wichtiger Energielieferant, Verkehrs- und Handelsweg. Und an seinen Gestaden entstand im 19. Jahrhundert die Keimzelle der Schweinfurter Industrie. Aber erst am Anfang der 2000er-Jahre entdeckte das Rathaus seinen Wert auch für die Stadtentwicklung.
Die umgestaltete Mainlände im Osten und die Promenade im Westen – der Main-Fernradweg führt vorbei – sind beliebte Spazierwege, Aufenthaltsorte und Treffpunkte – auch dank des gewachsenen Gastroangebots. Es ist also viel Volk unterwegs, das allerdings keinerlei Notiz von einer verwitterten und offensichtlich sehr alten Tafel nimmt, die über Wegweisendes informiert: 1905 entstand zwischen der Spinnmühle und der Kulturwerkstatt Disharmonie das erste Elektrizitätswerk der Stadt, das für Strom „made in Schweinfurt“ sorgte.
Geplant und gebaut hat es der Elektrotechniker und Wasserkraftpionier Oskar von Miller (1855-1934), dem für sein segensreiches Wirken eine Straße im Stadtteil Bergl gewidmet ist. Die folgende, im wahrsten Wortsinn spannende Geschichte ist für Karla Wiedorfer „eines meiner Lieblingsbeispiele dafür, warum Geschichte und Wissen darüber nicht langweilig ist“. Die „Strom- Story“, von der die Gästeführerin erzählt, geht weit zurück, ins frühe 14. Jahrhundert.
Die noch junge Reichsstadt, seit 1282 urkundlich als solche erwähnt, war von den seinerzeit herrschenden Kaisern aus Geldmangel jeweils hälftig an die „Erzfeinde“, die Henneberger und die Bischöfe von Würzburg, verpfändet worden. Nun bestand die Gefahr, auf Dauer unter fremde Herrschaft zu geraten. Obwohl sich die Stadt damit hoch verschuldete, gelang es ihr bis 1385, sich unter größten finanziellen Opfern der Bürgerschaft wieder freizukaufen. „Schweinfurt war somit wieder eine freie Stadt des Reiches mit den entsprechenden Rechten geworden“, erklärt Wiedorfer.
Quasi als „Dankeschön dafür, dass die Stadt wieder ihm gehörte“, wie die Gästeführerin das so schön formuliert, verlieh König Wenzel IV. (1361- 1419) Schweinfurt etliche Privilegien. Das urkundlich belegte königliche Privileg vom 24. Juni 1397 ist wichtig für unsere Stromgeschichte: „(...) verleiht der Aussteller den Bürgern und Einwohnern der Reichsstadt Schweinfurt (das Recht), im Reichsstrom Main in und bei ihrer Stadt sowie innerhalb von deren Landgebiet Landebrücken, Stege, Mühlen, Wehre und andere Gebäude, die sie zu ihrer Notdurft benötigen, zu errichten.“
Damit erhielt die Reichsstadt unter anderen das Mühlenrecht zuerkannt, also das Recht zur Nutzung der Wasserkraft. Es war schon damals von großer Bedeutung für die Unabhängigkeit der Stadt, denn es war mit der Begründung, die Mühlwehre würden die Schifffahrt behindern, schon zuvor eine der Quellen jahrzehntelanger Streitigkeiten mit Würzburg gewesen.
Stadt nutzte gewährte Privilegien und begann Brücken zu bauen
Die Schweinfurter nutzten 1397 die ihnen eingeräumten Privilegien auch sofort und bauten – trotz des erbitterten Widerstands der Fürstbischöfe – Brücken, Wehre, Stege und Mühlwerke für ihre Stadt. Tatsächlich bringt dieses Privileg der Stadt bis heute große Vorteile.
Aber erst noch die weitere Historie. Nach den Zerstörungen im Zweiten Stadtverderben von 1554 war eines der ersten großen Vorhaben, die Mainmühle wieder funktionsfähig zu machen. Erneuert und vergrößert, wurde sie bis 1582 mit 16 Mahlgängen ausgestattet. Matthaeus Merian beschrieb den stattlichen Bau in seiner Topographia Frankonia: Die Mainmühle sei „dergestalt wohlerbaut, daß dergleichen am Mainstrome nicht viel zu sehen (ist)“. Das so mühsam erkämpfte Wasserrecht zahlte sich schon damals aus, denn am Main wurde Geschichte geschrieben.
Die Mühle wurde über Jahrhunderte zu einer der wichtigsten Einnahmequellen der Freien Reichsstadt. Noch 1803, als Schweinfurt bayerisch wurde, bewertete man ihr Maschinenwesen als vortrefflich und als eine der besten „Zubehörungen“ der Stadt. „Leider wurde diese historische, technisch immer noch beeindruckende Mühle 1841 ohne jede Dokumentation abgerissen“, berichtet Karla Wiedorfer. 1842 wurde sie an gleicher Stelle durch mehrere moderne Mühlen ersetzt.
Ab 1897 erzwangen Eisgänge, Hochwasser und die Erfordernisse der Schifffahrt einen Umbau aller wasserbaulichen Anlagen am Main. Brücken, Schleusen und Wehre wurden mit riesigem Aufwand umgestaltet. In diesem Zusammenhang entschlossen sich die damals Verantwortlichen – dem Ruf der Zeit folgend – ein städtisches Elektrizitätswerk zu bauen, das mit der Wasserkraft des Mains elektrische Energie erzeugen sollte.
Planer und Erbauer war der eingangs erwähnte Oskar von Miller. Den Auftrag erhielt er „nach einem intensivem Auswahlverfahren“, berichtet Karla Wiedorfer. Ursächlich dafür war sein Vorschlag, die Energie mittels des relativ neuen Drehstromverfahrens, anstelle der gebräuchlichen Gleichstromanlagen, zu generieren und weil seine Betriebskostenberechnung die günstigste war.
Wie auf der Gedenktafel zu lesen ist, wurde die Anlage 1905 in Betrieb genommen. Eine technische Meisterleistung. Die zwei Francis-Turbinen mit je 400 PS waren die größten Strom-Turbinen Deutschlands. Und auch der fürs Kraftwerk notwendige Wasserdruck wurde mit einer Weltneuheit reguliert: mit der Walzenwehrtechnik. Sie kam in Schweinfurt erstmals zum Einsatz. Diese Anlage wurde vorbildhaft, versorgte den Schlachthof auf der Maininsel, öffentliche Gebäude, Industrie und später private Haushalte mit E-Energie.
Nur ein Jahr später machte das E-Werk die erste elektrische Straßenbeleuchtung in Schweinfurt möglich. „Wie unglaublich innovativ man damals in Schweinfurt doch war“, fasst Karla Wiedorfer die Rekorde zusammen. Das E-Werk, zunächst als reine städtische Einrichtung zur Selbstversorgung geplant, speiste schon ab den 1920er-Jahren ins Versorgungsnetz des Bayernwerks ein. Die Anlage wurde immer wieder modernisiert und der jeweils aktuellen Technik angepasst. Das ebenso in den 1920er-Jahren gestartete Kanalprojekt der „Rhein-Main-Donau-AG“ kam, nach Kriegsunterbrechung, Anfang 1960 in Schweinfurt an.
Schon bei der Gründung wurde bei der Konzessionsvergabe in einem Staatsvertrag zwischen dem Land Bayern und dem deutschen Staat festgelegt, dass sich der Kanalbau praktisch selbst finanzieren sollte. Die Idee war, entlang des Flusses Wasserkraftwerke zur Stromerzeugung zu bauen und mit dem Erlös die Finanzierung von Bau und Unterhalt zu sichern.
1963 mussten für den nun schon wieder notwendigen Umbau und die Erweiterung des Flussquerschnittes das legendäre, gerade mal 60 Jahre alte Walzenwehr und E-Werk schon wieder weichen. Damit hätte Schweinfurt nun eigentlich seine unabhängige, eigenständige Energieversorgung erstmals verloren.
Aber: Da war ja noch das königliche Privileg von 1397, also das Recht zur Nutzung der Wasserkraft. Auch mit Hilfe dieses Dokumentes setzte die Stadt „nach zähen Verhandlungen durch, dass ihr 25 Prozent des Erlöses aus dem neuen Mainkraftwerk zugutekommen“, weiß Karla Wiedorfer zu berichten. Der geschlossene Staatsvertrag gilt bis 2050. Fazit von Karla Wiedorfer: „Nach über 600 Jahren profitiert die Stadt heute noch immer vom damaligen Bürgerwillen für Unabhängigkeit und den politischen Konsequenzen. Sowohl die damalige Opferbereitschaft der Schweinfurter als auch die Privilegien erzählen von der Bedeutung jeweiliger politischer Entscheidungen für zukünftige Generationen.“
So geht's zur Gründungstafel
Vom Marktplatz bis zum Main, rechts hinunter auf der Gutermannpromenade. Die Tafel hängt am E-Werkgebäude zwischen Spinnmühle und Disharmonie.
Das Buch „Schweinfurter Geheimnisse“ ist in Kooperation zwischen der Main-Post und dem Bast Medien Verlag erschienen. Das Buch (Hardcover) kostet 19,90 Euro, hat 192 Seiten und ist durchgehend bebildert. Erhältlich im Buchhandel oder direkt beim Verlag: bestellungen@bast-medien.de (versandkostenfrei). ISBN: 978-3-946581-81-9