
Die SPD, die älteste Partei Deutschlands, feiert ihren 160. Geburtstag. Festrednerinnen und Festredner unterstreichen ihre historische Bedeutung - im politischen Ringen um Freiheit, soziale Gerechtigkeit und Demokratie. Was aber motiviert die Mitglieder an der Basis, bei den Sozialdemokraten mitzuwirken? Die Redaktion hat eine Jungsozialistin und ein SPD-Urgestein zum Gespräch eingeladen.
Rechtspfleger Hartmut Bräuer war von 1989 bis 2007 Bürgermeister von Gerolzhofen (Lkr. Schweinfurt). Erstmals 1978 in den Kreistag Schweinfurt gewählt, ist der 78-Jährige noch heute als Kreisrat aktiv. Die 20-jährige Annika Küspert studiert in Würzburg Pädagogik. Sie ist seit 2015 bei den Jungsozialisten (Jusos) aktiv und mittlerweile Co-Bezirksvorsitzende in Unterfranken. Der SPD gehört sie seit diesem Jahr an.
Hartmut Bräuer: Sehr gut. Es war der 22. Juli 1970. Anlass für meinen Einstieg in die Kommunalpolitik war die Gebietsreform, der Landkreis Gerolzhofen sollte aufgelöst werden. Da bin ich von SPD-Leuten angesprochen worden, ob ich bei einer Bürgerinitiative mitmache. Man kannte mich im Stadtleben vom Sport her – ich war Abteilungsleiter bei den Handballern - und als Rechtspfleger. Bald schon hat mich der Vorsitzende des SPD-Ortsvereins dann gefragt, ob ich auch Parteimitglied werden möchte.
Bräuer: Nein, es waren die Verhältnisse vor Ort. Im Hintergrund spielte aber auch meine Familiengeschichte eine Rolle. Ich bin in der Nähe von Görlitz geboren und in der DDR aufgewachsen. Ich war überzeugter Pionier. Erst mit zehn Jahren habe ich meinen Vater kennengelernt. Er war im Oktober 1955 einer der letzten Kriegsheimkehrer.
Bräuer: In der DDR haben wir gar nicht mitbekommen, dass Bundeskanzler Konrad Adenauer und der Sozialdemokrat Carlo Schmid nach Moskau gereist sind, um die letzten Gefangenen frei zu eisen. Meine Mutter bekam dann im Oktober 1955 ein Telegram aus Rentweinsdorf in den Haßbergen: "Vater heimgekommen. Kommt uns besuchen." Mein Vater war so clever gewesen, sich nicht in die DDR entlassen zu lassen, sondern zu seiner Tante Else in den Westen. Meine Mutter hat dann einen Antrag auf eine Besuchsreise nach Rentweinsdorf gestellt. Wir sind dort dann geblieben.

Bräuer: Mein Vater hat mir von Carlo Schmid erzählt, der damals viel mehr noch als Adenauer mit den Verantwortlichen der Sowjetunion ins Gespräch gekommen ist. "Carlo Schmid hat mir die Freiheit gebracht", hat er immer gesagt. So habe ich erfahren, was für eine kraftvolle Persönlichkeit Schmid war und was er für die Demokratie geleistet hat. Als Sozialdemokrat.
Annika Küspert: Ich bin mit 14 Jahren bei den Jusos eingetreten. Ich komme aus Hildenbach, einem Ortsteil von Wunsiedel. Dort lag lange Rudolf Heß, der Hitler-Stellvertreter, begraben. Das Grab ist mittlerweile aufgelöst. Aber es gibt bis heute jedes Jahr anlässlich des Todestages Demonstrationen von Neonazis. Meine Mutter hat mich früh auf die Gegendemo mitgenommen. Ich wusste in der ersten Klasse schon – zumindest rudimentär –, wer Hitler war und dass es Leute gibt, die ihn immer noch gut finden. Und ich wusste, dass das nicht richtig ist. So bin ich in den Antifaschismus reingewachsen. Als Jugendliche bin ich dann eigenständig zu den Demos und habe die drei Jusos vor Ort kennengelernt. Nach zwei Bier bei einem Treffen bin ich eingetreten. Ein Jahr später war ich auch schon Mitglied im Bezirksvorstand der Jusos Oberfranken.
Küspert: Ich bin den Sprüchen von anderen immer mit einer gewissen Selbstironie begegnet. Anders geht Parteiarbeit im ländlichen Raum auch gar nicht. Mein Großvater sagt jedes Mal, wenn wir uns sehen: "Tu mal fei selber denken." Dann sage ich: "Ja mei Opa, deshalb bin ich bei den Jusos."
Küspert: Nein. Da gibt es sicher in manchen Punkten Übereinstimmung. Aber mir ist das klare sozialpolitische und antikapitalistische Profil der Jusos wichtig – neben Umweltthemen und dem Feminismus. Es gab übrigens einen witzigen Moment, kurz nachdem ich Juso-Mitglied geworden bin: Da hat mich ein CSU-Vertreter gefragt, ob ich nicht bei der JU mitmachen möchte, ich sei doch ein "patentes junges Mädchen".
Küspert: Ich habe ihm gesagt: "Du bist zu spät." Die JU war keine Alternative. Warum gehen junge Menschen dorthin? Weil sie dort Freunde haben, weil die JU immer wieder Bierfeste veranstaltet. Die Jusos sind dagegen ein Verband, der auf die Inhalte pocht. Es ist anstrengender, sich über Marx zu unterhalten, als nur Bier zu trinken. Man kann aber auch beides tun.
Küspert: Klar gibt es historische Vorbilder wie Rosa Luxemburg, die wir in unseren Liedern besingen. Aber ganz konkret geprägt haben mich vor allem Frauen, mit denen ich eng zusammengearbeitet habe, zum Beispiel Anna Tanzer, die ehemalige bayerische Juso-Vorsitzende.

Küspert: Ich will jetzt nichts ausschließen, in manche Aufgaben wächst man auch rein. Ich sehe mich beruflich in der offenen Jugendarbeit. Leider müssen noch immer Jugendzentren und andere Träger der Jugendarbeit ihre Arbeit rechtfertigen. Es ist schön, wenn wir Skateparks bauen, aber es braucht Orte, wo junge Menschen abhängen, aber auch Ideen für ihre Stadt, ihr Dorf formulieren können.
Bräuer: Wir hatten immer mal wieder in den über 50 Jahren, die ich dabei bin, Spitzenleute, da dachte ich, die können was reißen. Aber nach zwei, drei Jahren sind sie dann wieder mehr oder weniger im Dunst verschwunden. Der Florian von Brunn versucht es zumindest.
Küspert: Vor Ort kann man auch als Juso gut Politik machen, wenn die Menschen einen kennen und wissen, wofür man steht. Auf Landes- und Bundesebene müssen wir als Partei mit klaren Zielen und Werten auftreten. Immer wieder fragen mich Leute: Wofür steht die SPD eigentlich? Dass es diese Frage gibt, sollte einer Partei, die 160 Jahre alt ist, zu denken geben.
Küspert: Die SPD steht für soziale Gerechtigkeit, für eine Politik für Menschen, die nicht viel haben in diesem Land, für benachteiligte Gruppen, für Inklusion auf allen Ebenen. Dies müssen wir klar nach außen tragen, da darf es auch provokante Forderungen geben.
Küspert: Kostenloser ÖPNV für alle! Das 49-Euro-Ticket reicht nicht. Der Mindestlohn war eine provokante Forderung, die wir Jusos formuliert haben. Aber es hat zehn Jahre gedauert, bis das in der Mutterpartei angekommen ist. Wir müssen deutlich formulieren, unsere Erfolge auch kommunizieren. Manchmal sind wir einfach zu bescheiden.
Bräuer: Sozialdemokratische Politik ist vor allem in der kommunalen Verantwortung grundehrlich, bürgerfreundlich und häufig erfolgreich. Auf Landes- und Bundesebene wird das ehrliche Wahlwerben der SPD von Mitbewerbern lautstark übertönt.
Bräuer: Scholz ist ein abwägender Mensch, der den Ausgleich sucht. Er hat es enorm schwer in dieser Dreier-Koalition mit Grünen und FDP. Aber er müsste mehr Führung zeigen. Er ist mir oft zu zaghaft. Man muss die Dinge auch mal in die Hand nehmen, auch wenn sie unpopulär sind.
Küspert: Klar. Wir verstehen uns als junge Sozialistinnen und Sozialisten, nicht als Sozialdemokraten. Die Utopie der Jusos ist der demokratische Sozialismus, mit der Betonung auf demokratisch. Gerade haben wir bei einer Landesversammlung elf Thesen zum Sozialismus verabschiedet.
Küspert: Ganz konkret fordern wir, dass es keine unbezahlten Praktika mehr geben darf. Jede geleistete Arbeit muss auch entlohnt werden. Wichtig ist uns auch, dass die Daseinsvorsorge in demokratisch legitimierten Händen liegt. Es darf nicht sein, dass private Unternehmen darüber entscheiden, wie viel Wasser oder Strom kostet, ob ich wohnen kann oder nicht.
Bräuer: Nein, ich bin in der SPD eher ein Konservativer. Soziale Empathie ist wichtig, aber um Ziele durchzusetzen, muss ich auch mal Abstriche von linken Idealvorstellungen machen. Ich bin da eher bei Machern wie Helmut Schmidt. Aber es stimmt schon: Manchmal denkt man als Bürgermeister den Kompromiss schon mit. Ihr Jusos braucht da weniger Rücksicht zu nehmen.

Bräuer: Nach 18 Jahren Bürgermeister bin ich unter vielen Tränen verabschiedet worden. Ich habe damals freiwillig aufgehört und wurde nicht, wie viele andere, abgewählt.
Küspert: Als ich in der Vorlesung saß und die Nachricht aufs Handy bekam, dass der Bundestag das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche aus dem Gesetz gestrichen hat. Da sind mir fast die Tränen gekommen. Da war ich sicher, in der richtigen Partei zu sein.
Bei vielen SPD Mitgliedern vermisse ich zudem das soziale Engagement, Vorteile mitnehmen: ja, auf jeden Fall und soviel wie möglich einfordern, sich für die Gesellschaft engagieren: nein, lieber nicht, das geht ja von der Freizeit ab.
Leute, so wird das leider nix...
Die SPD will so wie ich das erlebt habe denen, die sich ihren Wohlstand hart erarbeitet haben so viel wie möglich wegnehmen, um es dann unterschiedslos und mit der Gießkanne zu verteilen.
Auf so eine Partei, die dem Fleißigen Steine in den Weg legt und ihn reglementiert, kujoniert und schröpft kann ich verzichten.
Früher habe ich für die Plakate und Sticker geklebt und hitzige und handfeste Diskussionen mit Hardcore-Strauß-Fans ausgefochten.
Heute möchte ich aus Gründen der Netiquette nicht so deutlich wie vielleicht nötig sagen, was ich von denen halte.